Auf der richtigen Seite der Geschichte
Heute vor zwei Jahren rollten Russlands Panzer über die Grenze zur Ukraine. Das Land kämpft seither tapfer und bringt enorme Opfer für sein eigenes Überleben ebenso wie für die Verteidigung von Freiheit und Demokratie in Europa. Unübersehbar ist aber auch, dass sich Kriegsmüdigkeit breit macht, vor allem im Westen. Nur noch jeder zehnte Europäer glaubt heute daran, dass die Ukraine den Krieg gewinnen kann. Weshalb, so fragen manche angesichts einer festgefahrenen
Front, soll man weiter Unsummen in Waffenlieferungen investieren, die Tod und Zerstörung nur sinnlos verlängern?
Tatsächlich wäre es ein strategischer Fehler, wenn die Partner der Ukraine ihre Unterstützung ausgerechnet jetzt zurückfahren würden. Hat nicht der Tod von Alexej Nawalny vor einer Woche aller Welt erneut drastisch vor Augen geführt, mit welcher existenziellen Bedrohung es die freie Welt hier zu tun hat? Wladimir Putin hat ein Regime geschaffen, das bereit ist, seine imperialen Gelüste mit Waffengewalt durchzusetzen. Nach innen ist Russland heute ein diktatorischer Staat, der seine Gegner umbringt und Bürger wegsperrt, die Blumen zum Gedenken an einen verstorbenen Dissidenten niederlegen. Selbstverständlich darf nichts unversucht bleiben, einen Krieg mit den Mitteln der Diplomatie zu beenden. Das gilt auch für die Ukraine, selbst wenn die Aussichten auf eine friedliche Lösung derzeit extrem unrealistisch erscheinen. Doch die Folgen eines übereilten Waffenstillstandes heute wären noch gravierender als eine Niederlage der Ukraine vor zwei Jahren. Es wäre eine Demütigung für den Westen, der nicht die Willensstärke, den Mut und die Ressourcen hätte aufbringen können und seinen Partner im Stich gelassen hat, als es darauf ankam.
Der Schaden für die Glaubwürdigkeit der USA und der Europäischen Union als Verteidiger der freien Welt und verlässliche Alliierte wäre unabsehbar. Staaten in aller Welt, die sich von autoritären Regimen bedrängt sehen – ob im Baltikum, in Osteuropa, in Afrika oder Asien – würden mehr denn je versucht sein, sich mit den Diktatoren zu arrangieren, statt ihre Sicherheit dem wankelmütigen, egoistischen Westen anzuvertrauen. Die Grundlagen der internationalen Zusammenarbeit, ohne die weder Handel noch Klimaschutz organisiert werden könnten, wären auf Jahre hinaus gestört.
Wenn Putin den Eindruck habe, dass der Westen klein beigebe, dann werde er sich auf der Siegerstraße wähnen, sagte Jean-Claude Juncker im Télécran-Interview diese Woche. Daraus folgt: Nur wenn militärische und wirtschaftliche Hilfe aus dem Westen konsequent weitergehen, kann die Ukraine aus einer Position der Stärke agieren, ob auf dem Schlachtfeld oder am Verhandlungstisch. Zur Unterstützung des Landes gibt es keine Alternative. Europa und die Ukraine müssen am Ende auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.
Ein Waffenstillstand jetzt wäre eine Niederlage für die Ukraine und eine Demütigung für den Westen