Ohne massive Hilfe ist Putins Sieg in der Ukraine nahezu sicher
Nachdem die Ukraine der großangelegten russischen Invasion ab dem 24. Februar 2022 entgegen allen Erwartungen erfolgreich widerstanden hat, blieben größere strategische Erfolge auf dem Schlachtfeld aus. Nur mit peinlicher Verspätung traf für die geplante ukrainische „Frühjahrsoffensive“westliches Großgerät wie die Panzerhaubitze 2000 oder der Kampfpanzer Leopard 2 ein, was den
Von: Jan Kreller (JKr)
An: Steve Bissen (stb) Datum: 22.-23. Februar 2024 Betreff: Ukraine-Krieg
JKr: Hallo Steve, mich beunruhigen die Entwicklungen in der Ukraine. Es zeichnet sich aus meiner Sicht ab, dass Russland auf dem Schlachtfeld an Momentum gewinnt und die ukrainischen Streitkräfte nur noch reagieren, statt agieren zu können. In militärischen Konflikten war das schon immer ein Zeichen dafür, dass die militärische Schlagkraft und vielleicht der Glaube an den Sieg einseitig abgenommen haben.
Das ist ein verheerendes Signal in Richtung Moskau, zumal in Washington noch ein Milliarden-Hilfspaket für die Ukraine „klemmt“und von den europäischen Ländern nicht konsequent alles geliefert wird, was das Land für seine Verteidigung benötigt. Sollte kein Umdenken stattfinden, befürchte ich für die Ukraine das Schlimmste. stb: Hallo Jan, leider muss ich dir Recht geben. Die Russen haben derzeit militärisch das Momentum auf ihrer Seite. Schlimmer noch: Die schleppend verlaufende Auslieferung des benötigten Kriegsmaterials und der drohende Wegfall von US-Hilfen senden ein fatales Signal an Putin, der sich dadurch in seiner Ansicht berussischen Truppen viel Zeit für Verteidigungsvorbereitungen einräumte und den Beginn der militärischen Gegenoperation erheblich verzögerte. Seit dem faktischen Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive und einigen psychologischen Erfolgen der russischen Armee ist die Ukraine sichtlich in die Defensive geraten. Wie lange kann das noch gut gehen?
Will man Putin an den Verhandlungstisch zwingen, muss dem Kremlherrscher klargemacht werden, dass er diesen Krieg nicht militärisch gewinnen kann.
stärkt fühlt, diesen Krieg nur lange genug durchhalten zu müssen, um die Ukraine früher oder später in die Knie zu zwingen.
Und dennoch: Dass die Ukraine der scheinbar übermächtigen russischen Armee überhaupt – zwei Jahre nach Beginn der großangelegten Invasion – noch standhalten kann, ist bemerkenswert und unterstreicht den Kampfeswillen und die Entschlossenheit derer, die bereit sind, für ihre Unabhängigkeit zu sterben. Allerdings ist die Stärke der ukrainischen Armee letztlich entscheidend abhängig von der Unterstützung des Westens. Doch auch die Ressourcen Russlands sind nicht unerschöpflich …
JKr: Ja, Russlands Ressourcen sind sicher endlich, aber nach wie vor reichlich vorhanden. Das schließt menschliches Potenzial, sprich Soldaten, mit ein. Und die sterben bei den wellenartig vorgetragenen Angriffen reihenweise. Doch im Gegensatz zur Ukraine kann Putin diese Ausfälle noch kompensieren und zerstörtes Material nachschieben. Auf ukrainischer Seite wird sich der Verschleiß noch früher als bei den Russen in der Mannstärke bemerkbar machen. Menschen können nicht jahrelang ununterbrochen an der Front kämpfen. Wenn sie nicht verwundet werden, so sind sie nach jahrelanger Todesangst und körperlicher Auszehrung wenigstens psychologisch am Ende.
Je mehr ukrainische Männer nicht mehr kämpfen, in der Nachschubtruppe keinen Dienst leisten können, desto mehr modernes Kriegsgerät müssen sie erhalten, um wenigstens technologisch das Personaldefizit ausgleichen zu können. Die wenigen Exemplare an Leopard 2 oder Panzerhaubitze 2000 sind entweder verschlissen, zerstört oder beides. Eigentlich müsste Tag und Nacht der Nachschub rollen. stb: Der Krieg wird in der Tat immer mehr zur Abnutzungsschlacht. Was nochmals die Bedeutung der Unterstützung aus dem Westen unterstreicht. Diese darf jetzt auf keinen Fall nachlassen – im Gegenteil. Denn ohne diese wird die Ukraine den Krieg auf kurz oder lang verlieren. Will man Putin an den Verhandlungstisch zwingen, muss dem Kremlherrscher klargemacht werden, dass er diesen Krieg nicht militärisch gewinnen kann.
Und das gehört auch zur Wahrheit dazu: Kiew muss ebenfalls einsehen, dass der Konflikt nicht nur auf dem Schlachtfeld entschieden wird. Denn weder ein vollständiger russischer Sieg noch ein ukrainischer ist sehr wahrscheinlich. Was mich zu der letztlich entscheidenden Frage führt: Wie kann dieser Krieg überhaupt enden, wenn beide Seiten alles auf eine Karte setzen und daher nicht bereit sind, zum jetzigen Zeitpunkt Verhandlungskompromisse zu akzeptieren?
JKr: Um gleich auf Deine letzte Frage zu antworten: Das lässt sich realistisch aktuell nicht beantworten. Wenn die 60 Milliarden US-Hilfen im Kongress weiterhin blockiert werden, wenn die europäischen Länder noch länger an ihrem zurückhaltenden Kurs festhalten, dann wird Putin den Krieg auf dem Schlachtfeld entscheiden und dann gibt es nichts mehr zu verhandeln. Ein solcher Siegfrieden wäre die absolute Katastrophe, die näher rückt, je länger der Krieg dauert. Es ist ein Dilemma: Die Unterstützernationen müssten für eine schnelle Hilfe ihre eigenen Bestände angreifen und sich damit selbst in ihrer Verteidigungsfähigkeit schwächen.
Die allerorts postulierte Zusage, die Ukraine so lange zu unterstützen, wie es nötig ist, halte ich außerdem für naiv und gefährlich. Wenn die kampffähige Mannstärke der Ukraine so weit abgesunken ist, dass ganze Frontabschnitte nicht mehr gehalten werden können, marschieren die Russen irgendwann durch – oder der Westen versucht diese Personalausfälle gemäß ihrem Versprechen zu kompensieren. Mit überlegener Kriegstechnik oder – noch vollkommen unvorstellbar – mit eigenen Bodentruppen. Was dann passiert, kann sich niemand wünschen. stb: Das würde dann eine direkte militärische Konfrontation zwischen Russland und der NATO bedeuten, was beide Seiten aber tunlichst vermeiden wollen. Aus gutem Grund: Die Gefahr einer nuklearen Eskalation wäre zu groß. Deswegen schließen ja auch die meisten NATO-Mitgliedstaaten einen Beitritt der Ukraine in Kriegszeiten kategorisch aus. Realistischer ist eher ein anderes Szenario, nämlich das eines ein
Wenn die 60 Milliarden US-Hilfen im Kongress weiterhin blockiert werden, wenn die europäischen Länder noch länger an ihrem zurückhaltenden Kurs festhalten, dann wird Putin den Krieg auf dem Schlachtfeld entscheiden und dann gibt es nichts mehr zu verhandeln.
gefrorenen Konflikts. In dieser Variante sind die Armeen beider Seiten irgendwann militärisch so erschöpft, dass sie – anders als jetzt – keine substanziellen Geländegewinne mehr auf dem Schlachtfeld erwarten. Dann könnte sich der politische Wille durchsetzen, zumindest über eine Waffenruhe zu reden. Doch selbst das ist momentan – zwei Jahre nach Beginn der großangelegten Invasion – nur eine vage Aussicht auf Frieden im Osten Europas ...