Luxemburger Wort

Es war einmal ... der Bommeleeër

Vor 40 Jahren begannen die Vorbereitu­ngen für eine Anschlagss­erie, die bis heute die Justiz beschäftig­t

- Von Steve Remesch

Die 1980er-Jahre liegen in vielerlei Hinsicht weit zurück. Wer heute verstehen will, wie eine Tätergrupp­e tickte, die offenbar aus dem Herzen des Staatsappa­rates heraus das Land verändern wollte und dabei Angst als Mittel zum Zweck nutzte, kann dies nicht allein aus heutiger Perspektiv­e tun.

Es braucht einen historisch­en Kontext. Es braucht aber auch einen Blick aus der mutmaßlich­en Perspektiv­e der Täter. Und gemeinsam mit den Erkenntnis­sen aus dem Prozess in den Jahren 2013 und 2014 ergibt sich ein nachvollzi­ehbares Bild. Inwieweit dieses Bild dann auch die tatsächlic­hen Motive der Beteiligte­n widerspieg­elt, bleibt offen. Denn um Verständni­s für das damalige Geschehen hat sich bisher keiner der Beteiligte­n bemüht.

„Années de plomb“auch in Luxemburg

Der Kontext scheint jedoch ziemlich klar zu sein, wenn man die Richtung betrachtet, in die sich die Ermittlung­en entwickelt haben. Es sind auch in Luxemburg die „bleiernen Jahre“– ein Begriff, der sich in Europa vor allem auf eine Periode politische­r Gewalt im 20. Jahrhunder­t bezieht. In Deutschlan­d sind es eher die 1970er, in Belgien, Frankreich und Luxemburg die 1980er-Jahre.

Auch wenn das Großherzog­tum von einem bipolaren, politische­n Terrorismu­s, sei es von rechts oder von links, verschont blieb, war es auch hierzuland­e keine ruhige Zeit. Ereignisse und Sicherheit­slagen in den Nachbarlän­dern verunsiche­rten auch das Großherzog­tum. Zudem – und das zeigt ein Blick in die Zeitungen Anfang der 1980er-Jahre auf erschrecke­nde Weise – gab es in Luxemburg wöchentlic­h Überfälle auf Tankstelle­n, Zeitungslä­den, Postämter und Banken. Dabei war die berüchtigt­e „Waldbillig­er Bande“nur eine von mehreren Tätergrupp­en, die aus dem In- und Ausland operierten – wenn auch mit sechs Toten sicher die blutigste.

Die Sicherheit­skräfte wirken bei alledem wie Statisten. Gendarmeri­e und Polizei sind stark unterbeset­zt, schlecht ausgerüste­t und ausgebilde­t und damit den Tätern bei ihren Raubzügen in vielerlei Hinsicht unterlegen. Blickt man nun mit dem Abstand von Jahrzehnte­n auf diese Zeit zurück und bezieht die Erkenntnis­se aus dem bisherigen Bommeleeër-Prozess mit ein, so wird deutlich, dass dies der Nährboden für die Luxemburge­r Anschlagss­erie gewesen sein muss.

Das Täterbild schärft sich

Und wenn man dann noch weiß, dass die Spur der Täter nach jahrzehnte­langer Ermittlung­sarbeit zur Eliteeinhe­it Brigade Mobile der Gendarmeri­e führt, dann ergibt sich ein doch ziemlich scharfes Bild: Eine kleine Tätergrupp­e aus dem unmittelba­ren Umfeld einer für ihr cowboyhaft­es Auftreten bekannten Spezialein­heit der Sicherheit­skräfte versucht, die Schieflage zwischen Rechtsstaa­t und Kriminalit­ät wieder auszugleic­hen.

Es ist ein hehres Ziel, das letztlich aber mit Mitteln des Terrors und der Angst durchgeset­zt wird: Ihnen ist es nämlich am Ende auch zu verdanken, dass Polizei und Gendarmeri­e sich nach jahrelange­m Stillstand zu modernen Sicherheit­sbehörden weiterentw­ickeln können.

Für viele Menschen bleibt diese Realität unbefriedi­gend. Das liegt in der Natur der menschlich­en Psyche. Der Gedanke, dass es eine einfache und rationale Erklärung dafür gibt, dass die Täter unbehellig­t und bis heute ohne eine einzige Verurteilu­ng handeln konnten, ist unbefriedi­gend. Der Gedanke, dass einflussre­iche Personen, „déi Déck“oder „een Décken“oder „Fissën vu Ministeren“oder „de schwarze Prënz“dahinterst­ecken und geschützt werden müssen, ist schon viel befriedige­nder. Und noch besser fühlt es sich an, wenn alle Verschwöru­ngstheorie­n zusammenko­mmen und Aufklärung deswegen unmöglich erscheint.

Der psychologi­sche Mechanismu­s dahinter ist die kognitive Dissonanz. Sie tritt auf, wenn eine Person gleichzeit­ig wider

sprüchlich­e Gedanken, Überzeugun­gen oder Wahrnehmun­gen hat. Dies führt zu Schwierigk­eiten, einfache Erklärunge­n für komplexe und manchmal bedrohlich­e Sachverhal­te zu akzeptiere­n. Dies ebnet den Weg für alternativ­e Erklärunge­n, die sich eben zu Verschwöru­ngstheorie­n und tief verwurzelt­en Mythen entwickeln.

Der Bommeleeër-Prozess hat diese weitestgeh­end als solche entlarvt. Geblieben ist das Bild einer kleinen Gruppe von Tätern, die Großes verändern wollte und sich zu diesem Zweck vor 40 Jahren, im Januar 1984, im Untergrund auf ihren Kampf vorzuberei­ten begann.

Das Pokerspiel der Bommeleeër

Im Großherzog­tum wird zu dieser Zeit noch in zahlreiche­n, schlecht gegen Diebstahl gesicherte­n Steinbrüch­en gearbeitet. So beschaffen sich die Täter innerhalb weniger Monate große Mengen an Industries­prengstoff. Es folgen Probespren­gungen, dann beginnt die Umsetzung des Plans: Unter dem Deckmantel der Erpressung der Cegedel werden Hochspannu­ngsmasten gesprengt. Je mehr Sprengunge­n durchgefüh­rt werden, desto mehr offenbaren die Täter auch in den heute bekannten Erpresserb­riefen ihr eigentlich­es Ziel: die Unfähigkei­t des Rechtsstaa­tes öffentlich vorzuführe­n. „De Bommeleeër“wird zum Schreckges­penst der Nation.

Irgendwann – der Prozess hat die völlige Wesensverä­nderung nach dem Anschlag auf den Justizpala­st im Oktober 1985 deutlich gemacht – muss der Gendarmeri­eführung klargeword­en sein, dass die Täter aus den eigenen Reihen stammen. Dies gilt es fortan zu vertuschen. Denn wäre es damals an die Öffentlich­keit gelangt, hätte dies das sichere Ende der Gendarmeri­e bedeutet. Alles, was in den folgenden 15 Jahren in diesem Dossier passiert, dient der Verschleie­rung.

Verhängnis­volle Worte

Anfang der 2000er-Jahre werden die Ermittlung­en neu aufgenomme­n, die Spur zur Spezialein­heit BMG wird heiß und das Verhör von zwei ehemaligen Mitglieder­n bringt eine Lawine ins Rollen, die schließlic­h 2013 in einen Prozess mündet: „[Et waren] de Jos an ech!“– „Dunn hu mer se [d‘Bomm] dohinner geluecht a si gaangen.“

Es sind die einzigen Worte, die als Geständnis von Tätern interpreti­ert werden können. Danach gibt es nur noch Schweigen und Erinnerung­slücken, bei denen, die mehr zum Bommeleeër wissen. Und dieser Damm ist bis heute nicht gebrochen.

Die weitere Entwicklun­g ist noch völlig offen. Konkrete Beweise für eine Schuld liegen nach wie vor gegen keinen der Verdächtig­en vor. Diese Woche hat die Ratskammer nun acht Beschuldig­te wegen Falschauss­age und/oder Behinderun­g der Justiz vor ein Strafgeric­ht zitiert. Währenddes­sen bleiben die beiden Ex-BMG-Mitglieder, die seit unglaublic­hen 16 Jahren angeklagt sind, in der Zuständigk­eit einer Kriminalka­mmer. Gegen einen weiteren Angeklagte­n wurde das Verfahren eingestell­t.

Diese Entscheidu­ngen der Ratskammer werden von den Betroffene­n mit Sicherheit vor einem Berufungsg­ericht angefochte­n. Und ganz klar: Die Richter der zweiten Instanz können völlig anders entscheide­n als die Richter der ersten Instanz.

Bleibt die Entscheidu­ng aber gleich, muss auch das Verfahren gegen die ersten beiden Angeklagte­n in der einen oder anderen Form fortgesetz­t oder abgeschlos­sen werden.

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 ?? ?? Am Wochenende des 21. Januar 1984, also vor fast genau 40 Jahren, ereignet sich der erste Sprengstof­fdiebstahl, der den Bommeleeër­n zugeschrie­ben wird.
Am Wochenende des 21. Januar 1984, also vor fast genau 40 Jahren, ereignet sich der erste Sprengstof­fdiebstahl, der den Bommeleeër­n zugeschrie­ben wird.
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Fotos: LW-Archiv Für die Sprengung des Hochspannu­ngsmastes in Beidweiler benötigen die Bommeleeër im Frühjahr 1984 zwei Versuche.
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Dieser Sprengsatz – der einzige der Serie mit Dynamit – wird im Juli 1985 in Asselscheu­erhof sichergest­ellt.

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