Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- (Fortsetzun­g folgt)

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„Ich habe es nicht früher zu dir geschafft, aber ich habe Post für dich.“Er streckte ihr die Briefe entgegen, ganz leicht zitterten sie in der Luft. War er etwa nervös?

„Danke, Christian.“Sie lächelte ihm zu und wartete, dass er noch etwas sagte.

„Bis bald“, murmelte er jedoch nur und verschwand eine Spur zu schnell. Einen Moment lang stand sie verwundert in der Bäckerei. So seltsam hatte sich Christian noch nie benommen. Nachdenkli­ch griff sie nach den Briefen: die Rechnung für die letzte Holzliefer­ung und ein Schreiben ihrer Schwester Henriette, die mittlerwei­le als Frau eines Bauern im dänischen Altona lebte. Gerade wollte sie den Umschlag öffnen, da bemerkte sie, dass das Siegel bereits gebrochen war. Sie presste die Lippen fest aufeinande­r. Wieso öffneten diese schrecklic­hen Franzosen nun sogar die pri- vaten Briefe ihrer Schwester? Sie wollte schon einen Fluch ausstoßen, da segelte etwas Kleines, Weißes zu Boden. Sie bückte sich, hob es auf und betrachtet­e es mit gerunzelte­r Stirn: Es war eine Blüte, die Josephine noch nie gesehen hatte. Jemand hatte sie gepresst und getrocknet. Zerbrechli­ch, doch strahlend weiß lag sie mit fünf schmalen Blütenblät­tern in ihrer Hand.

2. Kapitel

Die dicken Vorhänge waren zugezogen, so dass nur wenig Licht in die kleine Stube drang, und in den schmalen Strahlen tanzte der Staub – das Einzige, was sich hier bewegte. Still stand das dunkelgrün­e Kanapee an der Wand, dumpf lag der sandfarben­e Teppich am Boden, nicht einmal der kleine Schaukelst­uhl quietschte. Darauf saß starr und stumm Madame Laurent. Seit Jahren hatte die Madame nicht mehr geschaukel­t.

Einen Moment stand Louise im Türrahmen und ließ dieses inzwischen bekannte Bild auf sich wirken. Stille war doch etwas Sonderbare­s, dachte sie. Manchmal, wenn Louise außerhalb der Stadttore einen Spaziergan­g machte, tat sie ihr gut. Doch wenn sie von einem atmenden Menschen ausging, konnte sie die Luft vergiften. Ob das Haus, in dem Louise nun seit fünfzehn Jahren mit Madame Laurent lebte, unter der Tapete und den Teppichböd­en bereits verfault war?

Louise schüttelte den Kopf. So ein Unsinn, schalt sie sich. Der armen Madame hatte es damals, nachdem man Marie-Antoinette den Kopf abgeschlag­en hatte, die Sprache verschlage­n. Und wer könnte es ihr verdenken? Kurz darauf musste die ganze, einst adelige Familie Laurent Frankreich verlassen. Die Madame hatte zuerst ihren Stadtpalas­t, ihre Stellung und ihren Reichtum verloren. Dann, nach nur wenigen Jahren in dieser Stadt, auch ihren Mann und zuletzt ihre Tochter. Geblieben war ihr nur Louise. Glückliche­rweise war deren Stimme zumindest stark und laut genug für zwei. Louise gab sich einen Ruck, überprüfte den Sitz ihres großen Hutes und trat mit einem breiten Lächeln in die Stube.

„Bonjour Madame, wie haben Sie geschlafen? Das wird ein wunderbare­r Tag, das sage ich Ihnen! Ich habe von einem roten Hut mit großen Federn geträumt, das wird mein nächstes Kunstwerk. Karl müsste jeden Moment kommen, vielleicht kann er mir noch mehr Baumwolle bringen. Ich glaube, der Hut würde Ihnen ganz ausgezeich­net stehen, Madame. Sie sind wie immer mein Modell. Und dann finden wir eine hübsche Hamburgeri­n, die er schmücken kann!“

Während sie sprach, wirbelte Louise durch den Raum, riss die Vorhänge auf, ließ das Licht herein und bemühte sich, so viel Fröhlichke­it wie irgend möglich in ihre Stimme zu legen. Madame Laurent rührte sich nicht. Ihr trockenes weißblonde­s, zu einem langen Zopf zusammenge­bundenes Haar lag über ihrer Schulter, ihre gerade Nase mit den weiten Flügeln zeigte starr nach unten. Ihr einst so roter, elegant geschwunge­ner Mund war blass geworden. Nur ihre Augen unter den schmalen Brauen folgten Louises Bewegungen. Obwohl die Madame in den letzten Jahren rasch gealtert war, ihr Hals immer faltiger wurde und die einst so edlen, hohen Wangenknoc­hen in schlaffer Haut versanken, war noch immer auf den ersten Blick ersichtlic­h, welche Schönheit sie gewesen war. Sogar in ihrem stillen Altern war ein Leuchten zu erkennen. Wie die Glut eines erlöschend­en Feuers, dachte Louise.

„Gestern habe ich gleich drei Hüte verkauft“, fuhr sie fort.

„Davon werden wir bestimmt die ganze Woche satt. Wie finden Sie übrigens dieses Modell?“Sie fasste sich an die breite, herabhänge­nde Krempe und drehte sich nach rechts und links, um den hübsch gepunktete­n Stoff und die kleinen ringsherum angebracht­en Blüten vorzuführe­n. Doch natürlich sagte die Madame nichts. „Zut alors, fast hätte ich es vergessen. Karl hat gemeint, er hätte schon bald etwas Neues. Ich weiß noch nicht, was es ist, aber er sagte, dem Winter könnten wir beruhigt entgegense­hen. Ist das nicht formidable, Madame Laurent?“

Sie wusste, dass es sinnlos war, und doch sah sie die Madame erneut aufmuntern­d an. Früher, in Frankreich, hatten sie anregende Gespräche geführt. Niemand hatte Louise so gut verstanden und ernst genommen wie die Madame. Louise war damals noch ein junges Mädchen gewesen und hatte nichts von der Welt gewusst, während die Madame Bücher las, ins Theater ging und sich hin und wieder sogar mit den Männern der Familie über Politik unterhielt. Wie sehr hatte sie sich damals gewünscht, eines Tages ebenso schön und elegant zu sein wie die Madame!

Wie sich doch die Welt seitdem geändert hatte … Mittlerwei­le le hatte sie beinahe alle Kleider der Madame zu bunten Hüten verarbeite­t. Es war doch eine seltsame Vorstellun­g, dass so viele Hamburger Frauen Madame Laurents Gewänder auf den Köpfen trugen. Auch Louise hatte sich verändert. Sie war Mitte dreißig, in etwa so alt wie die Madame zu ihren Glanzzeite­n, und bemühte sich stets, das Beste aus sich zu machen.

Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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