Die Spekulationen um Nawalnys Tod laufen heiß
Über den Tod des Mitte Februar in dem sibirischen Straflager „Polarwolf“umgekommen Oppositionellen kursieren viele Vermutungen
„Nawalny könnte jetzt und hier an meinem Platz sitzen“, erklärte seine Mitstreiterin Maria Pewtschich, Chefin der von Nawalny gegründeten Antikorruptionsstiftung FBK, gestern per Video. Nawalny habe wenige Tage vor seiner Freilassung gestanden. „Denn wir strebten eine Lösung an, ihn auszutauschen.“
Anfang Februar hätte der russische Finanzmagnat Roman Abramowitsch Wladimir Putin das Angebot übermittelt, den FSB-Killer Wadim Krassikow, der in Deutschland wegen des Mordes an dem früheren tschetschenischen Separatistenkämpfer Selimchan Changoschwili lebenslänglich einsitzt, gegen zwei US-Bürger und Alexej Nawalny auszutauschen. Pewtschich sagte, sie besitze bestätigte Informationen, dass sich die Verhandlungen zwischen Berlin, Moskau und Washington am 15. Februar, dem Vortag des Todes Nawalnys, in ihrer Endphase befanden.
„Ich sage“, so Pewtschich, „warum Nawalny gerade jetzt ermordet wurde: Man hatte Putin klar zu verstehen gegeben: Die einzige Möglichkeit, Krassikow zu bekommen, ist, ihn gegen Nawalny auszutauschen. Ach, hat Putin gedacht! Nawalny in Freiheit, das halte ich nicht aus.“Und er habe Nawalny ermordet, um das Tauschgeschäft zu verhindern. „Das ist absolut unlogisch, absolut irrational, das ist das Benehmen eines verrückt gewordenen Mafiosi.“Putin habe aus Hass auf Nawalny den Verstand verloren.
Pewtschichs Auftritt war nicht die einzige überraschende Enthüllung zu Nawalnys Tod. Am Sonntag hatte Kyrylo Budanow, Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, erklärt, auch wenn er jemanden enttäuschen könne, Nawalny sei wirklich durch eine Thrombose ums Leben gekommen, also auf natürliche Weise. „Und das ist mehr oder weniger bestätigt.“Kaum eine Stunde nach Nawalnys Tod hatte der russische Staatssender RT gemeldet, er sei durch ein geplatztes Blutgerinnsel gestorben. Eine solche Diagnose ist nach Ansicht von Medizinern erst nach einer Obduktion möglich.
Widersprüchliche Behauptungen
Ein Sprecher der deutschen Bundesregierung lehnte nach Angaben von Reuters jeden Kommentar zu Austauschverhandlungen ab. In russischen Oppositionskreisen werden auch die Aussagen Budanows mit Unglauben aufgenommen. „Woher wollen die Ukrainer denn diese Informationen gekriegt haben?“, staunt ein liberaler Politologe anonym.
Aber auch Pewtschichs Version sei höchst unlogisch. „Das heißt, jemand im Kreml verhandelte, um Nawalny auszutauschen, jemand anders aber gab das Kommando, ihn umzubringen.“Es klinge widersinnig, dass Putin Verhandlungen erst zustimme, dann aber Nawalny wegen dieser Verhandlungen ermorden ließ. Wenn Putin seine Meinung bezüglich eines Austausches von Nawalny geändert hätte, hätte er die Gespräche einfach abbrechen können.
„Pewtschich lieferte keinerlei Dokumente oder Zeugenaussagen, die ihre Version bestätigen“, kommentiert auch das Exilportal „meduza.io“skeptisch.
Nawalny, dessen Leichnam die Behörden erst nach über einer Woche freigaben, soll bis zum 1. März in Moskau beerdigt werden, so Nawalnys Pressesprecherin Kira Jarmysch am Montag. Nach Angaben des Telegramkanals Baza wird bereits eine Grabstätte auf dem Borisower Friedhof in Moskau vorbereitet. Aber es werden auch zwei andere Moskauer Friedhöfe genannt, wo Nawalny seine letzte Ruhe finden könnte. Laut Baza soll das am Donnerstag, dem 29. Februar geschehen.
Damit würde der tote Oppositionspolitiker Putin noch einmal Konkurrenz machen: Der russische Staatschef will an diesem Tag seine Rede zur Lage der Nation halten. Allerdings bezeichnete Iwan Schdanow, ein weiterer Mitstreiter Nawalnys, alle Meldungen zum Begräbnis am 29. Februar als Fake.