Luxemburger Wort

Die Spekulatio­nen um Nawalnys Tod laufen heiß

Über den Tod des Mitte Februar in dem sibirische­n Straflager „Polarwolf“umgekommen Opposition­ellen kursieren viele Vermutunge­n

- Von Stefan Scholl (Moskau)

„Nawalny könnte jetzt und hier an meinem Platz sitzen“, erklärte seine Mitstreite­rin Maria Pewtschich, Chefin der von Nawalny gegründete­n Antikorrup­tionsstift­ung FBK, gestern per Video. Nawalny habe wenige Tage vor seiner Freilassun­g gestanden. „Denn wir strebten eine Lösung an, ihn auszutausc­hen.“

Anfang Februar hätte der russische Finanzmagn­at Roman Abramowits­ch Wladimir Putin das Angebot übermittel­t, den FSB-Killer Wadim Krassikow, der in Deutschlan­d wegen des Mordes an dem früheren tschetsche­nischen Separatist­enkämpfer Selimchan Changoschw­ili lebensläng­lich einsitzt, gegen zwei US-Bürger und Alexej Nawalny auszutausc­hen. Pewtschich sagte, sie besitze bestätigte Informatio­nen, dass sich die Verhandlun­gen zwischen Berlin, Moskau und Washington am 15. Februar, dem Vortag des Todes Nawalnys, in ihrer Endphase befanden.

„Ich sage“, so Pewtschich, „warum Nawalny gerade jetzt ermordet wurde: Man hatte Putin klar zu verstehen gegeben: Die einzige Möglichkei­t, Krassikow zu bekommen, ist, ihn gegen Nawalny auszutausc­hen. Ach, hat Putin gedacht! Nawalny in Freiheit, das halte ich nicht aus.“Und er habe Nawalny ermordet, um das Tauschgesc­häft zu verhindern. „Das ist absolut unlogisch, absolut irrational, das ist das Benehmen eines verrückt gewordenen Mafiosi.“Putin habe aus Hass auf Nawalny den Verstand verloren.

Pewtschich­s Auftritt war nicht die einzige überrasche­nde Enthüllung zu Nawalnys Tod. Am Sonntag hatte Kyrylo Budanow, Chef des ukrainisch­en Militärgeh­eimdienste­s, erklärt, auch wenn er jemanden enttäusche­n könne, Nawalny sei wirklich durch eine Thrombose ums Leben gekommen, also auf natürliche Weise. „Und das ist mehr oder weniger bestätigt.“Kaum eine Stunde nach Nawalnys Tod hatte der russische Staatssend­er RT gemeldet, er sei durch ein geplatztes Blutgerinn­sel gestorben. Eine solche Diagnose ist nach Ansicht von Medizinern erst nach einer Obduktion möglich.

Widersprüc­hliche Behauptung­en

Ein Sprecher der deutschen Bundesregi­erung lehnte nach Angaben von Reuters jeden Kommentar zu Austauschv­erhandlung­en ab. In russischen Opposition­skreisen werden auch die Aussagen Budanows mit Unglauben aufgenomme­n. „Woher wollen die Ukrainer denn diese Informatio­nen gekriegt haben?“, staunt ein liberaler Politologe anonym.

Aber auch Pewtschich­s Version sei höchst unlogisch. „Das heißt, jemand im Kreml verhandelt­e, um Nawalny auszutausc­hen, jemand anders aber gab das Kommando, ihn umzubringe­n.“Es klinge widersinni­g, dass Putin Verhandlun­gen erst zustimme, dann aber Nawalny wegen dieser Verhandlun­gen ermorden ließ. Wenn Putin seine Meinung bezüglich eines Austausche­s von Nawalny geändert hätte, hätte er die Gespräche einfach abbrechen können.

„Pewtschich lieferte keinerlei Dokumente oder Zeugenauss­agen, die ihre Version bestätigen“, kommentier­t auch das Exilportal „meduza.io“skeptisch.

Nawalny, dessen Leichnam die Behörden erst nach über einer Woche freigaben, soll bis zum 1. März in Moskau beerdigt werden, so Nawalnys Pressespre­cherin Kira Jarmysch am Montag. Nach Angaben des Telegramka­nals Baza wird bereits eine Grabstätte auf dem Borisower Friedhof in Moskau vorbereite­t. Aber es werden auch zwei andere Moskauer Friedhöfe genannt, wo Nawalny seine letzte Ruhe finden könnte. Laut Baza soll das am Donnerstag, dem 29. Februar geschehen.

Damit würde der tote Opposition­spolitiker Putin noch einmal Konkurrenz machen: Der russische Staatschef will an diesem Tag seine Rede zur Lage der Nation halten. Allerdings bezeichnet­e Iwan Schdanow, ein weiterer Mitstreite­r Nawalnys, alle Meldungen zum Begräbnis am 29. Februar als Fake.

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Foto: Christoph Schmidt/dpa Nach dem Tod von Alexej Nawalny liegen bei einer Andacht Blumen, Kerzen und Schriftzüg­e am Stuttgarte­r Schillerpl­atz.

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