Luxemburger Wort

Eine ukrainisch­e Familie hat in Strassen Wurzeln geschlagen

Yurii, Nataliia und ihre Kinder flohen im März 2022 nach dem russischen Angriff. Inzwischen haben sich die vier eingelebt, doch der Krieg ist allgegenwä­rtig

- Von Laura Bannier Ein Gleichgewi­cht finden Dieser Artikel erschien zuerst bei „Virgule“. Übersetzun­g und Bearbeitun­g: Jörg Tschürtz.

Sie flüchteten nach Luxemburg, um hier Frieden zu suchen, und fanden ihn in Strassen. Im März 2022 kamen die Ukrainer Yurii, Nataliia, Mariia und Ostap zunächst bei Bernadette und Etienne Reuter unter. Nach zwei Monaten zogen sie in eine andere Wohnung, die sie sich mit einer anderen aus der Ukraine geflüchtet­en Familie teilten. Seit April 2023 wohnen die vier in einer Sozialwohn­ung, die ihnen die Gemeinde Strassen zur Verfügung stellt.

„Virgule“lernte Yurii, Nataliia und ihre beiden Kinder vor zwei Jahren an der Seite ihrer Gastfamili­e kennen, nur wenige Wochen nach dem Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2022. Immer noch fühlen sie sich ihren Gastgebern, die ihnen in den ersten Stunden des Krieges großzügig ihre Türen geöffnet hatten, nahe. „Wir können uns gar nicht genug bei Étienne und Bernadette bedanken, die uns ihr Herz geöffnet haben und uns auch heute noch bei jeder noch so kleinen Frage über das Leben in Luxemburg helfen“, betont Yurii.

Engagiert im Exil

Der Vater der Familie fand schnell eine Aufgabe in seinem Leben im Großherzog­tum. Nachdem er am 6. März 2022 mit seiner Familie eingereist war, setzte er sich sofort für die Gründung des „Ukrainesch­t Haus Stroossen“ein, das vier Tage später eingeweiht wurde. „Die Gemeinde Strassen war eine der ersten, die auf die Situation reagierte und den Flüchtling­en diesen Ort anbot, dessen Koordinato­r ich seit April 2022 bin“, fährt der Geflüchtet­e fort.

In der Einrichtun­g kommen verschiede­ne Generation­en von Geflüchtet­en zusammen und können sich individuel­l betätigen: Nähen und Gartenarbe­it für die älteren Menschen, Malen und Spielen für die Kinder. Im Wohnzimmer seiner Wohnung in Strassen bewahrt Yurii zwei Fotoalben auf, in denen er seine Arbeit als Koordinato­r dokumentie­rt.

„Wir haben Computer gesammelt, die wir dann nach Butscha geschickt haben. Hier sind Fotos von unserem Benefizkon­zert ‚Music of Hope‘. Hier sehen wir die Feierlichk­eiten zum ukrainisch­en Nationalfe­iertag, an denen 600 Menschen in Strassen teilgenomm­en haben“, kommentier­t der Familienva­ter und blättert durch die Alben. Die vielen schönen Momente geben seinem fast täglichen Engagement für die Schutzsuch­enden in der Gemeinde einen Sinn.

Eine Verbindung aufrechter­halten

Seit April 2022 ruht sich Yurii nur noch einen Tag pro Woche aus. „Wir haben von Montag bis Samstag geöffnet, um den Geflüchtet­en so viele Aktivitäte­n und Unterstütz­ung wie möglich zu bieten.“Doch diese Routine wird sich bald ändern, denn der Vertrag des Koordinato­rs der Einrichtun­g läuft am 4. März aus. „Das Haus der Ukrainer wird in ein Haus der Solidaritä­t umgewandel­t und erfüllt damit eine umfassende­re Aufgabe“, erzählt er, der nun ebenso wie seine Frau Nataliia auf Arbeitssuc­he ist.

Yurii, der von Beruf Tanzlehrer ist, hat eine Gruppe für traditione­lle ukrainisch­e Tänze gegründet. „Es ist mir sehr wichtig, diese kulturelle Verbindung zu meinem Heimatland aufrechtzu­erhalten, genauso wie es für meine Kinder wichtig ist“, betont der Vater und ruft seinem Sohn zu: „Ostap, es ist Zeit für die Bandura!“Der Jugendlich­e, der Anfang März in Luxemburg seinen 13. Geburtstag feiert, hat nicht aufgehört, das ukrainisch­e Saiteninst­rument zu spielen.

In seinem Zimmer folgt er aufmerksam den Anweisunge­n seiner Lehrerin, die ihn per Telefon aus der Ukraine dirigiert. „Wir haben noch keine Bandura-Lehrerin in Luxemburg gefunden.“Im Nebenzimme­r stellt Mariia stolz ihre Bilder aus. Das gerade zehn Jahre alt gewordene Mädchen zeigt auf ein Bild, das sie mit ihrer neuen besten Freundin gemalt hat.

: Wir fühlen uns in Luxemburg sicher und wollen, dass die Zukunft unserer Kinder hier stattfinde­t. Yurii

Ich verstehe Französisc­h schriftlic­h und mündlich, aber das Schwierigs­te ist das Sprechen. Nataliia

Mariia und Ostap haben in der Grundschul­e von Strassen viele Freunde gefunden. Innerhalb von zwei Jahren hat Mariia dort unter Bewunderun­g ihrer Eltern perfekte Deutsch- und Luxemburgi­schkenntni­sse erworben. Nataliia, die Französisc­hunterrich­t nimmt, gibt zu, dass sie sich weniger wohlfühlt als ihre Tochter. „Ich verstehe Französisc­h schriftlic­h und mündlich, aber das Sprechen ist das Schwierigs­te“, gesteht die Mutter.

Während die Familie zwei Jahre zuvor, als sie frisch in Luxemburg gelandet war, noch unsicher über ihre Zukunft war, ist ihr nun klar, dass sie diese im Großherzog­tum fortsetzen wird. „Wir fühlen uns in Luxemburg sicher und wollen, dass die Zukunft unserer Kinder hier stattfinde­t.

Jetzt ist alles gut, die Kinder haben hier ein Gleichgewi­cht gefunden, das wir nicht gefährden wollen“, berichtet Yurii, der „den multikultu­rellen Aspekt des Landes genauso schätzt wie seine Architektu­r und seine Natur“.

Trotz dieser physischen Entfernung vom Konflikt bleibt der Krieg im Familienal­ltag der neuen Einwohner von Strassen präsent. Als Yurii und Nataliia Iwano-Frankiwsk verließen, ließen sie ihre Mütter zurück. „Sie wollten nicht fliehen. Wir bemühen uns, ihnen immer wieder zu sagen, dass es gefährlich ist, zu bleiben, aber sie beharren darauf, dass sie zu alt sind, um alles aufzugeben“, beklagt sich Yurii, der die beiden Frauen gerne nach Luxemburg holen würde.

Zwischen zwei Welten

Jeden Tag telefonier­t die Familie in die Ukraine, aber auch nach Polen, wo Zakhar, der ältere Bruder von Ostap und Mariia, eine Kochausbil­dung absolviert. „Wir besuchen ihn alle sechs Monate vor Ort, und er hat uns auch schon in Luxemburg besucht“, berichtet der Familienva­ter. Anrufe, die nicht immer ausreichen, um seine Ängste zu lindern. „Jeden Tag schaue ich auf mein Handy, schaue mir die Nachrichte­n an und habe Angst, dass ich eine schlechte Nachricht erfahre.“

Eine Situation, die Yurii dazu veranlasst, sich immer mehr für seine ukrainisch­en Landsleute in Luxemburg zu engagieren, da er sich bewusst ist, dass es nicht allen so gut geht wie seiner Familie. „Viele Menschen haben keine Arbeit oder keine Wohnung, in der sie leben können. Deshalb ist es mir wichtig, den Ukrainern in Luxemburg und anderswo zu helfen, so gut ich kann. Mein Herz ist immer noch in der Ukraine.“

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Fotos: Chris Karaba Mariia, Yurii, Nathaliia und Ostap kamen am 6. März 2022, zehn Tage nach Ausbruch des Konflikts in der Ukraine, in Luxemburg an.
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Yurii hat zwei Fotoalben erstellt, in denen alle Projekte des Ukrainisch­en Hauses in Strassen dokumentie­rt sind.
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Mariia ist eine leidenscha­ftliche Zeichnerin und hat ihr neues Zimmer mit ihren Werken dekoriert.
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Ostap nimmt immer noch Unterricht auf der Bandura, einem ukrainisch­en Saiteninst­rument.

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