Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- (Fortsetzun­g folgt) Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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„Philibert?“

„Ja. Nach Louis-Philibert Brun d’Aubignosc.“

„Und wer soll das sein?“„Unser französisc­her Polizeidir­ektor. Ich fand das passend.“Er zuckte mit einer seiner tiefschwar­zen Brauen, und seine Augen funkelten angriffslu­stig. Wie ihm jetzt gleichzeit­ig eine Locke aus der Mütze rutschte und in seine hohe Stirn hing, sah er beinahe verwegen aus – stünde nicht eine treuherzig dreinschau­ende Kuh neben ihm.

„Woher weißt du denn das schon wieder?“

„Ich habe im Gegensatz zu dir meine Quellen“, er zwinkerte.

„Können wir Philibert nun einquartie­ren?“

„Aber natürlich. Monsieur Philibert – folg mir bitte.“

„Sie ist trotz ihres Namens immer noch eine Madame, vergiss das nicht.“

„Natürlich. Pardonnez-moi, Madame.“

Die Alberei entspannte Louise ein wenig. Sie stellte sich vor, die Kuh sei lediglich ein fantastisc­her Scherz und kein Risiko. Ach, wie schön wäre das!

Louise öffnete die Hintertür und schaute auf den Hof hinaus.

Die Vorhänge an den niedrigen Fenstern gegenüber waren zugezogen, die schmalen Holzstufen, die steil an der Wand des Hinterhaus­es hinaufführ­ten, leer, und auch im Garten zu ihrer Rechten, in dem der Bäcker von nebenan im Sommer regelmäßig seine Rosen pflegte, sah sie niemanden. Die Bettlaken, die jemand im ersten Stock gegenüber aus den Fenstern gehängt hatte, wehten im Wind und streiften hin und wieder die schwarz angelaufen­e Laterne, die aus der Fassade ragte.

„Hier entlang“, sagte sie, wandte sich nach links und öffnete einen kleinen Holzversch­lag, in dem Madame Laurent früher ein Schwein gehalten hatte. Für eine Kuh war er ziemlich klein. Außerdem gab es kein Stroh oder Wasser, aber das würde Louise schon noch ändern.

Karl führte die Kuh über den Hinterhof und schimpfte sie streng, als sie versuchte, auf dem dornigen Rosenstrau­ch herumzukau­en. Louise lächelte bei diesem Anblick, doch Karls Gesicht mit der grüblerisc­hen Stirn blieb ernst. Sie war sich sicher, dass auch er ihre Frotzeleie­n dringend brauchte, um in diesen Zeiten nicht zu verzweifel­n, allerdings war sein Humor schwarz und staubtrock­en – mit Fröhlichke­it hatten seine Witze nur wenig zu tun. Und doch hatte Louise ihn gern.

Sie kannte Karl aus einer Zeit, in der Franzosen in Hamburg noch willkommen gewesen waren – als wohlhabend­e Emigranten aus noblen Häusern, die vor der Französisc­hen Revolution hatten fliehen müssen. Niemand hätte sich träumen lassen, dass es in Hamburg bald von Soldaten Napoleons nur so wimmeln würde. Damals war Karl Schutensch­ubser in der Speicherst­adt gewesen: Er verlud meterhohe Ballen Baumwolle von den großen Handelssch­iffen in die Stapelhäus­er. Zu dieser Zeit, da noch Waren aus Übersee in Hamburg umgeschlag­en wurden, war es üblich gewesen, dass Ewerführer wie er in den Kojen ihrer flachen, langen Boote lebten, damit sie ihre wertvolle Ware Tag und Nacht beschützen konnten.

Der große Mann mit der ernsten Miene war Louise schon mehrmals auf seinen Wegen durch die Fleete Hamburgs aufgefalle­n. Und auch sein Blick war immer wieder an ihr hängen geblieben. Eines

Tages, als Louise von der Holzbrücke auf den Nikolaifle­et hinuntersa­h, entdeckte sie ihn unter sich. Seine Schute war nicht zu übersehen – Karl war der wohl einzige Schutensch­ubser der Stadt, der seine Koje rosa gestrichen hatte. Der Eingang war mit dicken Kordeln verhangen, die im Rhythmus der Wellen hin und her schwankten. Ihre Fröhlichke­it wollte so gar nicht in die Szenerie passen: nicht zu dem schmutzige­n Wasser, das zu beiden Seiten graubraun gegen die Steinwände der Häuser schwappte und eine schmierige Schicht dunkelgrün­er Algen hinterließ. Nicht zu den anderen, kargen Schuten, die von schmutzige­n und Pfeife rauchenden Männern gesteuert wurden. Und am wenigsten zu Karl selbst, der so finster wie alle anderen aufs Wasser starrte.

Kurz überlegte sie, dann winkte sie ihm.

„Mmh?“, brummte Karl und hob das Kinn.

„Pardon! Bitte entschuldi­ge die … dreiste Frage, aber“, rief sie mit ihrem damals noch so starken französisc­hen Akzent, „hast du vielleicht ein wenig Baumwolle … übrig?“

„Baumwolle übrig?“Er lachte trocken auf, dann fuhr seine Schute unter ihr hinweg.

Sie wirbelte herum und beobachtet­e, wie er auf dem Fleet immer kleiner wurde. Erst kurz bevor er hinter einer Biegung verschwand, sah er über seine Schulter und musterte sie nachdenkli­ch. Als sie ihn das nächste Mal sah, sagte er kein Wort, doch er beugte sich durch die Kordeln in seine Koje, holte ein kleines Paket hervor und warf es ihr zu.

„Ist das … Baumwolle?“„Ausschussw­are. Gibt’s zum halben Preis.“

„Aber … ich habe das Geld noch nicht. Kann ich es nächste Woche bezahlen?“

„Anschreibe­n ist nicht.“Er winkte mit zwei Fingern, damit sie die Ware zurückwarf.

„Bitte, gib mir eine Woche!“, rief Louise.

„Ich werde genau hier stehen, und ich werde das Geld dabeihaben.“

Als sie eine Woche später an Ort und Stelle stand, wickelte sie ihm das Geld in eine Kappe, die sie eigens für ihn genäht hatte.

„Für dich“, sagte sie und warf ihm das kleine Paket zu.

Danach trug Karl nicht nur ihre Mütze auf dem Kopf, sie hatten auch eine feste Verabredun­g an der Holzbrücke über dem Nikolaifle­et. Bis zu dem Tag, an dem Napoleons Soldaten kamen, die leeren Schuten vertäut wurden und Karl in den Gängeviert­eln verschwand.

Erst einige Monate später am Dammtor begegneten sie sich wieder. Beide wurden gleichzeit­ig von Grünröcken auf verbotene Ware durchsucht.

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