CSV stimmt für umstrittenes EU-Naturschutz-Gesetz
Die Christsozialen weichen von der offiziellen Fraktionslinie der Europäischen Volkspartei ab und bejahen ein Kernstück des europäischen Green Deal
Die EU-Abgeordneten der CSV, nämlich Isabel Wiseler-Lima und Martine Kemp, haben sich gestern gegen die offizielle Linie ihrer Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) gestellt, und für das umstrittene Gesetz zur Wiederherstellung der Natur gestimmt. Das neue Regelwerk, was nach dem Abschluss der Verhandlungen zwischen Mitgliedstaaten und EU-Parlament noch im Plenum der europäischen Volksvertretung angenommen werden musste, fand gestern eine knappe Mehrheit.
Die EVP hatte vor dem Votum angekündigt, gegen das Gesetz zu stimmen. „Wir wollen keine neuen und weiteren Formen von Bürokratie und Berichtspflichten für Landwirte. Lasst die Landwirte wirtschaften“, hieß es seitens der christdemokratischen Fraktion. Die Abstimmung war am Ende denkbar knapp. Ungefähr 50 der 705 Stimmen machten am Ende den Unterschied. Die christdemokratische Fraktion stimmte, zusammen mit rechtskonservativen und rechtsextremen Parlamentariern, mehrheitlich gegen den Vorschlag.
Ziel des neuen Regelwerks ist es, auf EU-Ebene Maßnahmen einzuführen, mit denen bis 2030 mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresgebiete der EU, die sich in einem schlechten Zustand befinden, wiederhergestellt werden. Gemäß der neuen Regeln haben die Mitgliedstaaten die Wahl, festzulegen, wie sie diese Ziele erreichen wollen. Die EU-Staaten müssen zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes nationale Renaturierungspläne vorlegen. „Der Text zur Wiederherstellung der Natur wurde in einigen Punkten positiv nachgebessert, und somit ist es nun sinnvoll, für den Verhandlungstext zu stimmen“, verteidigt Martine Kemp, EU-Parlamentarierin der CSV, ihre Rebellion gegen die Fraktionslinie. Noch im Juli hatten die CSV-Abgeordneten gegen den Text (damals die Verhandlungsposition des EU-Parlaments) gestimmt. „Zum einen wurde die Ernährungssicherheit ein zentraler Punkt in der Vorschrift, zum anderen werden die Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur in der Landwirtschaft inzwischen auf die Anstrengungen bewertet und nicht auf das Resultat“, so Martine Kemp weiter. „Auch wurde die vom Europaparlament gefragte Notbremse in den Text integriert, um die Bestimmungen für die Landwirtschaft in außergewöhnlichen Situationen temporär einzufrieren.“
Gehört die CSV zum grünen Flügel der EVP?
Tatsächlich wurde der Entwurf des Gesetzes im Laufe der Verhandlungen deutlich im Sinne der CSV und der EVP verwässert. Die CSV steht nämlich, ähnlich wie die EVP, derzeit für eine weitere Flexibilisierung der Umweltauflagen. „Ein wichtiger Punkt ist auch, dass der Fokus zur Wiederherstellung der Natur auf Natura 2000-Flächen liegt, anstatt auf Farmland außerhalb dieser Schutzgebiete“, so Kemp. „In einem nächsten Schritt wäre es aus Luxemburger Sicht von Bedeutung, dass die Natura 2000-Direktive nachgebessert wird, um mehr Flexibilität für die Landwirte zu schaffen.“Das Abstimmverhalten der CSV-EU-Parlamentarierin gestern verrät demnach nicht unbedingt viel über die künftige Ausrichtung der Partei in der Umweltpolitik – auch wenn sie sich beim Gesetz zur Wiederherstellung der Natur dem überschaubaren „grünen“Flügel der EVP angeschlossen hat.
Die EVP hatte das Regelwerk zum Kernstück eines Kulturkampfes gemacht, bei dem die vermeintlichen Interessen der Industrie und der Landwirtschaft gegen neue Umweltregeln ausgespielt wurden. Beim Gesetz zur Wiederherstellung der Natur handelt es sich nicht nur um „ein zentrales Gesetz für die Erreichung des Green Deals, sondern es ist auch eine Auseinandersetzung über den Kurs der EVP“, analysiert etwa Terry Reintke, die CoChefin der grünen Fraktion im EU-Parlament. In den vergangenen Monaten hat der EVP-Fraktionschef und Parteipräsident Manfred Weber sich immer wieder öffentlich gegen den Green Deal, ein umfassendes EU-Maßnahmenpaket zur grü
Naturschutz geht einher mit den Interessen der Bauern. Martin Schirdewan, Fraktionschef der EU-Linken
nen Wende, positioniert. Dabei wurde der Green Deal von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen initiiert – ebenfalls eine EVP-Politikerin.
Die EVP-Wahlkampf-Strategie, die Weber verfolgt, scheint demnach klar: Landwirtschaft und Umweltschutz werden als gegensätzliche Pole definiert. Im EU-Parlament stößt diese Politisierung der Umweltpolitik allerdings auf Kritik links der EVP. „Naturschutz geht einher mit den Interessen der Bauern“, meint etwa Martin Schirdewan, Fraktionschef der EU-Lin
Wir wollen keine neuen und weiteren Formen von Bürokratie und Berichtspflichten für Landwirte. EVP-Fraktion
ken. „Ohne Natur, keine Lebensmittel. Ohne Natur, keine Landwirtschaft“, sagt auch Tilly Metz, EU-Abgeordnete für Déi Gréng.
Im Allgemeinen stört sich Metz an der unter Manfred Weber gepflegten Haltung der Christdemokraten auf EU-Ebene, was Umweltpolitik angeht. „Es wurden viele Halbwahrheiten und falsche Informationen in Umlauf gebracht, insbesondere dass der Landwirtschaft zusätzliche Produktionsfläche weggenommen werden sollte“, sagt sie. „Besonders einige rechte Kollegen haben mich in dieser Hinsicht sehr enttäuscht.“