Der Duft von Zimt
10
Ihre Blicke trafen sich, und Louise musste lachen. Auch Karls Mund verzog sich zu einem Schmunzeln, und als die Douaniers sie endlich durchließen, führte er sie am Ellenbogen ein paar Schritte weiter.
„Verkaufst du noch deine Hüte?“, fragte er sie leise. „Ich habe da nämlich eine Idee.“
Anfangs hatte sie keine Ahnung gehabt, wie praktisch ihre Hüte sein würden, um Waren in die Stadt zu schmuggeln. In den großen Schachteln ließen sich neben ihren Kreationen auch wunderbar Kaffee, Zucker oder verbotene Gewürze verstecken. Schon bald brachte Karl sie auf die kreativsten Manöver. Und bis heute hielten sie an dem kleinen Arrangement fest.
Nun zerrte und zog Karl an Philiberts Strick, um sie von den Rosen weg und zum Stall zu führen. Endlich trottete die Kuh in den kleinen Stall hinein. Etwas ratlos schaute sie währenddessen über die Schulter in Louises Richtung, als wollte sie sie fragen, ob hier wirklich auch alles seine Richtigkeit hatte.
Sobald Philibert im Verschlag stand, schnaufte Louise durch.
„Alors, willst du mir jetzt erklären, was das zu bedeuten hat?“
Doch Karl antwortete nicht, starrte nur erschrocken an Louise vorbei, und als sie sich umdrehte, stockte ihr ebenfalls der Atem. In dem kleinen Rosengarten nebenan stand Josephine. Ein paar Strähnen ihres zimtfarbenen Haars wehten im Wind, und mit ihren großen Augen sah sie Louise verwundert an.
3. Kapitel
„War das etwa eine …?“, entfuhr es Josephine. „Die Soldaten haben vorhin nach einer gesucht, aber das kann doch nicht …“Sie unterbrach sich selbst. „Entschuldigt, das geht mich überhaupt nichts an.“
Sie wollte sich schnell wieder abwenden, da trat Louise zwei energische Schritte auf sie zu, ihr grünes Kleid flatterte. Sie schob sich ihren voluminösen Hut in den Nacken, so dass ihre honigblonden Haare hervorlugten, hob das Kinn und sah Josephine direkt in die Augen. „Ich kann dir vertrauen, habe ich recht?“
Josephine zögerte einen Moment. Onkel Fritz war aus irgendeinem Grund der Meinung, man solle sich vor der Nachbarin mit den bunten Hüten in Acht nehmen. Seit Carolines Tod hatte Josephine immer versucht, sich an seinen Rat zu halten. Schließlich hatte der Onkel eine gute Menschenkenntnis. Doch nun lag eine so aufrichtige Bitte in Louises Blick, dass Josephine nicht anders konnte, als zu murmeln: „Natürlich, Madame …“
Louise hob überrascht die Augenbrauen. „Madame? Wie schmeichelhaft“Sie lachte, und Josephines Gesicht wurde heiß. Sie wusste selbst nicht, warum ihr diese Anrede herausgerutscht war. Schließlich war die Nachbarin lediglich die Hausdame der alten Madame Laurent, die seit Jahren niemand mehr auf der Straße gesehen hatte. Es hatte eine Zeit gegeben, als die Madame durch die Straßen Hamburgs flaniert war und die elegantesten Bälle besucht hatte. Damals war Louise als ihr Dienstmädchen noch in graue Gewänder gehüllt gewesen und unscheinbar hinter ihr hergelaufen. Dann, als man Madame Laurent immer seltener auf der Straße sah, hatte sich Louise allmählich verändert. Jedes Mal, wenn Josephine ihr begegnet war, oft an ihrem eigenen Küchentisch, da sich Louise und Josephines Mutter zunehmend angefreundet hatten, war sie etwas bunter und auffälliger gekleidet. Und spätestens seitdem die Madame von der öffentlichen Bildfläche verschwunden war, war Louise aufgeblüht. Mittlerweile wirkte sie so selbstbewusst, trug derart ausgefallene Hüte und ein so strahlendes Lächeln im Gesicht, dass man sie einfach für eine Madame halten wollte.
„Louise“, korrigierte sich Josephine selbst. Mit steifen Bewegungen versuchte sie, ihre vom Wind verwehten Haare einzufangen und hinter die Ohren zu schieben.
„Was sagtest du eben von den Soldaten?“
Bei diesen Worten hob der Mann, der gerade noch so konzentriert die Kuh geführt hatte, die Augenbrauen. Karl, wenn Josephine sich recht erinnerte. Er war schon ein- oder zweimal im Backhus gewesen.
„Soldaten?“, knurrte er. „Wo sind sie hingelaufen?“
„In die andere Richtung, zum Pferdemarkt runter“, antwortete Josephine.
Karl nickte zufrieden. „Anna sei Dank“, murmelte er.
„Du solltest sie nicht bei solchen Dingen um Hilfe bitten“, zischte Louise über ihre Schulter. „Das Mädchen ist erst elf !“
„Und wenn es will, steckt es uns alle in die Tasche“, brummte er.
„Wie dem auch sei …“Louise sah wieder Josephine an und lächelte. „Du verrätst niemandem etwas, oder?“
„Nein, keine Sorge“, antwortete sie nach einem kurzen Zögern. Selbst wenn Onkel Fritz mit seiner Meinung über Louise recht haben sollte – gegen die Franzosen hielt man zusammen.
„Auch nicht wegen des Zimts?“Josephine schüttelte den Kopf. Kurz sah sie zu dem Mann hinüber.
„Keine Sorge, Karl weiß Bescheid.“
„Was glaubst du, von wem sie das Zeug hat?“Er zog einen Mundwinkel hoch, und zum ersten Mal seit dieser seltsamen Begegnung hatte Josephine das Gefühl, dass er gar nicht so rau und schroff war, wie er auf den ersten Blick wirkte.
„Josephine! Fritz! Ist jemand da?“, rief eine Stimme aus der Bäckerei.
„Oh, ich habe die Tür noch nicht abgeschlossen!“Eilig verabschiedete sich Josephine und lief zurück, durch die längliche Backstube in den kleinen Verkaufsraum.
Vor dem Tresen stand Fräulein Weber, das Dienstmädchen ihrer Schwester Ida. „Guten Tag, Fräulein Thielemann. Herr und Frau Altmann sitzen draußen in der Kutsche und lassen fragen, ob Sie mit zum Grasbrook fahren möchten.“Josephine sah sie verwundert an.
Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7