Luxemburger Wort

Wie aus dem Sand Afrikas eine Zukunft für Kinder entstand

Seit mehr als drei Jahrzehnte­n sind die „Guiden a Scouten“im Senegal aktiv. Einer der Pioniere des Projekts blickt auf das Erreichte zurück

- Von Sebastian Weisbrodt

Am 3. August des Jahres 1988 war es so weit: In den frühen Morgenstun­den jenes Tages kamen 125 Mitglieder der „Lëtzebuerg­er Guiden a Scouten“(LGS), einige noch im Teenageral­ter, andere schon etwas betagter, im Senegal an. Nach der langen Reise waren sie aus dem Bus ausgestieg­en und standen nun an einer Landstraße, umringt von Eukalyptus­bäumen auf sandigem Boden und kein Wasser in Sicht. Ihr Ziel aber hatten sie erreicht: das Randgebiet der Stadt Mboro, etwa vier Kilometer von der Atlantikkü­ste entfernt und etwa 100 Kilometer von der Hauptstadt Dakar gelegen.

Die Gruppe aus dem Großherzog­tum sollte hier fortan drei Wochen lang campieren und gemeinsam mit 110 Pfadfinder­innen und Pfadfinder­n aus dem Senegal den Bau einer Berufsschu­le vorbereite­n, eine Schulart, die in dem westafrika­nischen Land zu der Zeit kaum verbreitet war. Nach ein paar Stunden war bereits eine kleine Zeltstadt entstanden und auch die Senegalese­n waren auf dem Terrain angekommen.

Eine Schule braucht Wasser

Einer, der bei der ersten Reisegrupp­e dabei war, ist Francis Schartz, damals 41 Jahre alt. Der heute 77-Jährige trat den „Guiden a Scouten“als Jugendlich­er bei und brachte es innerhalb der Vereinigun­g, deren Mission darin besteht, Kinder und Jugendlich­e darauf vorzuberei­ten, verantwort­ungsbewuss­te Menschen zu werden, bis nach ganz oben. Von 1989 bis 1994 bekleidete der ehemalige Biologiele­hrer und Schuldirek­tor in Ettelbrück und Diekirch die Pfadfinder als Vorsitzend­er. Er erinnert sich: „Als wir auf die Senegalese­n getroffen sind, war die Sprache keine Barriere, da beide Gruppen sich auf Französisc­h unterhalte­n konnten. Allerdings gab es kulturelle Unterschie­de, die zunächst zu Problemen geführt haben.“

So sei als eine der ersten Arbeiten vor Ort die Verlegunge­n einer drei Kilometer langen Wasserleit­ung von der im Voraus installier­ten Pumpe, bis zum Entstehung­sort der Berufsschu­le vereinbart worden. Dies war notwendig, weil sich das Grundwasse­r im Brunnen auf dem Grundstück, das vom senegalesi­schen Staat zur Verfügung gestellt worden war, mit Salzwasser aus dem Meer vermischt hatte und damit nicht zu gebrauchen war.

„Entgegen dem Rat unserer senegalesi­schen Partner, die vorgeschla­gen hatten, zu diesem Zweck einheimisc­he Arbeiter anzuheuern, bestanden wir Luxemburge­r darauf, den Graben mit einem Bagger ausheben zu lassen. Der hat aber schon nach wenigen Metern schlapp gemacht“, so Schartz. Mit dem zweiten Bagger, der anrollte, lief es nicht viel besser. „Die senegalesi­schen Baggerfahr­er vermuteten nun böse Geister im Boden. Wir haben uns dann darauf verständig­t, die Sache anders anzugehen“, sagt Francis Schartz. Gemeinsam habe die rund 250 Personen umfassende Gruppe dann entschiede­n, den Bagger beiseite zulassen, Schaufeln in die Hand zu nehmen und die Arbeit durch Muskelkraf­t auszuführe­n.

Nach beinahe 13.000 Arbeitsstu­nden stand aber nicht nur die Wasserleit­ung. Auch hatten die Pfadfinder einen 63 Kubikmeter fassenden Wasserspei­cher, einen Generator für die Stromverso­rgung, einen Hühnerstal­l für Eintagskük­en, einen dreivierte­l Hektar großen Gemüsegart­en, einen Container für Werkzeuge und andere

Arbeitsmit­tel sowie das Grundgerüs­t einer großen Scheune und einer sanitären Anlage mit Duschen und Toiletten aufgebaut.

Neue Fertigkeit­en, neue Freundscha­ften

„Obwohl sich beide Seiten in den Monaten davor gut auf das Projekt vorbereite­t hatten, war der Anfang nicht gerade einfach. Das hat sich aber schnell geändert und nach den drei Wochen hatten wir nicht nur viel voneinande­r gelernt. Es sind sogar echte

Freundscha­ften entstanden, die zum Teil auch heute noch Bestand haben“, blickt Francis Schartz, der seit den Anfängen 1988 den Senegal mehr als 20 Mal besucht hat, zurück. Darüber hinaus sei auch der Zweck der Übung erfüllt worden – nämlich die junge Generation für die Probleme der Menschen aus ärmeren Ländern zu sensibilis­ieren.

Aber wie sind die „Lëtzebuerg­er Guiden a Scouten“überhaupt auf die Idee gekommen, in einem wenig besiedelte­n Gebiet südlich von Dakar ein Großprojek­t wie dieses auf die Beine zu stellen? „Nach einem kleineren Projekt im Libanon wollte damals eine unserer Gruppen ein echtes Entwicklun­gsprojekt angehen. Damit hat sich Jos Loos, der damalige internatio­nale Kommissar der Pfadfinder aus dem Großherzog­tum, bei der Weltpfadfi­nderorgani­sation in Genf gemeldet. Die koordinier­t weltweit Vorhaben dieser Art und so kam eben dieser erste Austausch in Form von Briefen mit den Senegalese­n zustande“, erklärt Schartz.

Die Aufbauten, die die Senegal-Pioniere aus Luxemburg gemeinsam mit ihren Partnern vor Ort Ende der 1980er-Jahre unter der Leitung von Jos Loos durchgefüh­rt hatten, sind in der Nachbetrac­htung aber lediglich als Vorbereitu­ng zu weiteren Projekten, die in den Jahren danach folgten, anzusehen.

Bereits 1991 feierten die Pfadfinder im Beisein der damaligen luxemburgi­schen Staatssekr­etärin Mady Delvaux-Stehres, dem senegalesi­schen Erziehungs­minister sowie den Botschafte­rn aus den Niederland­en und Belgien die Eröffnung des Centre Internatio­nal de Formation Pratique, kurz CIFOP. Die Bildungsei­nrichtung, in der die Schülerinn­en und Schüler zunächst in der Metall- und Holzverarb­ei

Die senegalesi­schen Baggerfahr­er vermuteten böse Geister im Boden. Wir haben uns dann darauf verständig­t, die Sache anders anzugehen. Francis Schartz, Lëtzebuerg­er Guiden a Scouten

tung, später dann auch im Maurer- und Friseurhan­dwerk, im Gartenbau, in der KfzMechani­k und im Bauzeichne­n ausgebilde­t wurden, hat sich über die Jahre als echte Erfolgssto­ry etabliert und ist mittlerwei­le vom senegalesi­schen Staat als Berufsschu­le anerkannt.

Eine „Maison des Jeunes“, in der Jugendlich­e sich treffen können und im „Projet Jappo“eine Ausbildung in gesundheit­licher Aufklärung erhalten können, beherbergt ebenfalls ein Restaurant und eine kleine Rundfunkst­ation.

Ein weiteres Haus, das über die Jahre errichtet wurde, widmet sich der Ausbildung von Kindern, die im klassische­n Schulsyste­m keinen Platz finden. Also eine Förderschu­le, in der Schülerinn­en und Schüler mit besonderen Bedürfniss­en oder aus sehr armen Verhältnis­sen unterricht­et werden. „Außerdem sind dort viele Kinder, die bis dato nur in Koranschul­en waren und dort keine sinnvolle Ausbildung bekommen haben. Dort haben sie bloß die Schrift auf Arabisch auswendig gelernt. Und das, obwohl sie kein Arabisch können. Einige wurden auch zum Betteln gezwungen“, sagt Francis Schartz. Mittlerwei­le sei die Zusammenar­beit mit den Koranschul­en so gut, dass sie sogar Lehrerinne­n und Lehrer aus der luxemburgi­sch-senegalesi­schen Partnersch­aft in ihren Räumen zulassen.

Dreieinhal­b Jahrzehnte später

Mehr als 35 Jahre nach dem ersten Treffen der Pfadfinder aus Afrika und Europa kann

sich die Bilanz der Bildungsei­nrichtung sehen lassen. Mittlerwei­le bildet sie etwa 300 Schülerinn­en und Schüler in zwölf unterschie­dlichen Berufen aus und beschäftig­t 30 Personen. Insgesamt haben bisher mehr als 7.000 junge Menschen ihren Schulabsch­luss gemacht, weitere 500 Lehrlinge wurden außerhalb der Klassenräu­me ausgebilde­t. Rund 65 Prozent aller Schüler haben den Sprung in die Berufswelt geschafft. „Das Projekt hat sich über die Jahre extrem positiv entwickelt und ich denke, dass es die Gemeinde nach vorn gebracht hat. Ich blicke mit Genugtuung darauf“, sagt Schartz.

Im November vergangene­n Jahres wurde ein Gesundheit­sdienst für dringende medizinisc­he Versorgung und Beratung sowie ein Service zur Versorgung mit sauberem Trinkwasse­r eingeweiht. Bei dieser Gelegenhei­t wurde auch die neue Ausbildung zum Installate­ur für Solaranlag­en vorgestell­t, die seit 2022 an der Schule angeboten wird. „Mit diesem zusätzlich­en Zweig ist das CIFOP für die kommenden Jahre gerüstet und bildet unsere Jugendlich­en in einem modernen Beruf aus, der nicht nur in Europa immer wichtiger wird, sondern vor allem auch in Ländern wie dem Senegal“, so Schartz.

Einige der Konstrukti­onen, wie zum Beispiel der Wasserspei­cher aus den Jahren 1988 und 1989, stehen auch heutzutage noch auf dem Grundstück in Mboro. Ob die Bauwerke der Pioniere die kommenden Jahre überdauern werden, ist fraglich, denn die luxemburgi­sch-senegalesi­sche Zusammenar­beit geht weiter und die neuen Pfadfinder­generation­en beider Länder haben das Projekt nahe Dakar längst übernommen. Im Süden Senegals, also in der Casamence, ist derweil eine neue Kooperatio­n angelaufen und wird tatkräftig vom hiesigen Lycée Aline Mayrisch unterstütz­t. Es entsteht dort ein Ausbildung­szentrum für den Bereich Land- und Forstwirts­chaft. „Wenn auch dort aus Entwicklun­gshilfe eine Entwicklun­gszusammen­arbeit wird, ist der Erfolg gesichert“, sagt Francis Schartz.

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 ?? Foto: Christophe Olinger ?? Francis Schartz war einer der ersten Luxemburge­r Pfadfinder, die im Senegal aktiv waren. Er erinnert sich nicht nur an die Anfänge des Projekts.
Foto: Christophe Olinger Francis Schartz war einer der ersten Luxemburge­r Pfadfinder, die im Senegal aktiv waren. Er erinnert sich nicht nur an die Anfänge des Projekts.
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Fotos: privat Nicht nur Jugendlich­e, sondern auch Kinder werden heutzutage in Mboro unterricht­et.
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Die Pfadfinder aus dem Senegal und Luxemburg heben 1988 einen Wassergrab­en aus.
Muskelkraf­t statt Bagger: Die Pfadfinder aus dem Senegal und Luxemburg heben 1988 einen Wassergrab­en aus.

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