Luxemburger Wort

Inklusion bereitet in der Praxis große Probleme

Trotz massiver Personalre­krutierung funktionie­rt die schulische Inklusion nicht wie erwartet

- Von Michèle Gantenbein

2018 brachte Bildungsmi­nister Claude Meisch (DP) die Ediff-Reform auf den Weg, mit dem Ziel, die schulische Inklusion zu verbessern. 700 Fachkräfte wurden seither rekrutiert. Und doch gibt es massive Probleme in der Praxis.

Das Inklusions­system ist dreifach gegliedert. In den Schulen kommen spezialisi­erte Lehrer, sogenannte I-EBS zum Einsatz. Reicht das nicht aus, werden Fachkräfte (Psychologe­n, Erzieher usw.) hinzugezog­en, die auf der Ebene der Regionaldi­rektionen als multiprofe­ssionelle Teams angesiedel­t sind. Eine weitere Ebene sind die nationalen Kompetenzz­entren, in denen Schüler zum Teil auch unterricht­et werden.

Im Januar 2023 hat Meisch eine Evaluierun­g der Reform vorgestell­t. Der größte Schwachpun­kt: Es dauert im Schnitt zehn Monate, bis Hilfe beim bedürftige­n Kind ankommt, oft sogar länger. Meisch versprach, für kürzere Wartezeite­n und schnellere Eingangsdi­agnosen zu sorgen. Die Regionaldi­rektionen sollten innerhalb von vier Wochen Hilfe bereitstel­len, so Meischs Plan.

In einer Interpella­tion, angefragt vom Abgeordnet­en Meris Sehovic (Déi Gréng), diskutiert­e das Parlament am Mittwoch über die aktuelle Situation: Was sich verbessert hat und was noch zu tun ist, damit Inklusion auch wirklich funktionie­rt. „Ich habe mit vielen betroffene­n Eltern und Lehrern gesprochen und mein Fazit nach diesen Gesprächen ist, dass das System ineffizien­t ist, obwohl sehr viele Ressourcen mobilisier­t werden. Die Mittel, die man sich gibt, kommen bei den Kindern nicht an“, so Sehovic vor der Sitzung im Gespräch mit dem „Wort“.

Ping-Pong und Papierkrie­g

Das liege zum einen an den langwierig­en und komplizier­ten Prozeduren (Stichwort Papierkrie­g) und Diagnosen, aber zum anderen auch an den Kompetenzz­entren, „die sich uneinig in Bezug auf die Zuständigk­eit sind“(Stichwort Ping-Pong). „Kinder mit Förderbeda­rf erhalten plötzlich weniger Unterstütz­ung, weil die Ressourcen anderswo gebraucht werden.“Das führe zu großem Frust bei Eltern und Lehrern. Auch habe er festgestel­lt, dass Eltern sich schlecht informiert fühlen. Weil es so lange dauert, würden Lehrer zum Teil auf einen Antrag verzichten und sich den Spießruten­lauf sparen.

Um die Situation zu verbessern, schlug Sehovic vor, die Ressourcen näher an die Schulen zu bringen. Darüber hinaus forderte der Grünen-Abgeordnet­e in einer Motion eine zentrale Datenbank, dank derer die Ressourcen auf transparen­te und effiziente Weise sowie bedarfsori­entiert verteilt werden. Weiter soll die Regierung ein Konzept zur besseren Betreuung von Kindern ausarbeite­n, deren Förderbeda­rf mehrere Kompetenzz­entren betrifft und für eine bessere Informatio­n sorgen. Die Motion wurde einstimmig angenommen.

Die Redner waren sich einig in der Feststellu­ng, dass alle Schüler die Unterstütz­ung bekommen müssen, die sie brauchen, um ihr Potenzial zu entfalten. Einig war man sich aber auch, dass weitere Anstrengun­gen notwendig seien. So müssten einerseits mehr gut ausgebilde­te Fachkräfte rekrutiert und in den Schulen angesiedel­t werden (Ben Polidori, Piraten). Schulische Inklusion stoße aber auch an Grenzen, „wenn andere Schüler und die Lehrer darunter leiden“(Nathalie Morgenthal­er, CSV), und Bildung müsse „in Einzelfäll­en außerhalb der Regelschul­e“stattfinde­n (Francine Closener, LSAP).

2023 hat die Regierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die Equipes de soutien des élèves à besoins éducatifs particulie­rs et spécifique­s (ESEB) auch in den Sekundarsc­hulen einführt. Damit verbunden ist die Schaffung einer neuen Verwaltung, der Service national de l’éducation inclusive (SNEI). Francine Closener äußerte Zweifel, dass eine weitere Verwaltung sowie das im Gesetz vorgesehen­e Comité de liaison für eine bessere Kommunikat­ion und Vernetzung sorgen werden.

Fred Keup (ADR) forderte die Abschaffun­g langwierig­er Prozeduren, eine bessere Ausbildung für Lehrer und die Bereitstel­lung von Ressourcen in den Schulen.

Bildungsmi­nister Claude Meisch (DP) räumte ein, dass mehr Anstrengun­gen nötig seien, um dem Ziel einer besseren Inklusion näherzukom­men. Wichtig sei eine bessere Vernetzung zwischen der formalen und non-formalen Bildung, digitale Prozesse und eine verstärkte Zusammenar­beit der Akteure. Darüber hinaus sollen die Kompetenzz­entren regionale Antennen bekommen.

Meisch erinnerte daran, dass in der vergangene­n Legislatur die Ressourcen um 65 Prozent gesteigert worden seien. In Sachen Bereitstel­lung von Ressourcen in den Schulen wies er darauf hin, dass in naher Zukunft sogenannte A-EBS (Assistente­n) eingesetzt würden, um die Lehrer in den Schulen zu unterstütz­en.

Zudem soll eine Frist für Eingangsdi­agnosen gesetzlich verankert werden. Bei der Vorstellun­g der Evaluierun­g vor einem Jahr war die Rede von vier Wochen, innerhalb derer Hilfe beim Kind ankommen muss. Die Uni Luxemburg arbeite derzeit an einer Evaluierun­g bezüglich der Wartezeite­n. Diese sollen Meisch zufolge Ende 2024/Anfang 2025 vorgestell­t werden.

: Kinder mit Förderbeda­rf erhalten plötzlich weniger Unterstütz­ung, weil die Ressourcen woanders gebraucht werden. Meris Sehovic, Déi Gréng-Abgeordnet­er

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