Was hinter den Gerüchten rund um einen Austausch von Nawalny steckt
Ein Gefangenenaustausch des mittlerweile verstorbenen Oppositionspolitikers gegen den FSB-Killer Wadim Krassikow scheiterte kurz vor Nawalnys Tod
Alexej Nawalny findet seine letzte Ruhe auf dem Borisower Friedhof im Moskauer Stadtteil Marino. Wie seine Pressesprecherin Kira Jarmysch gestern mitteilte, wird der russische Oppositionspolitiker dort am Freitag beerdigt – zwei Wochen nach seinem plötzlichen Tod in dem Straflager Nr. 3 im nordwestsibirischen Charp.
Die Tage vorher wurden durch das Tauziehen um die Freigabe seines Leichnams überschattet, aber auch durch eine lautstarke Debatte um seinen möglichen Austausch gegen den in Deutschland lebenslang einsitzenden FSB-Killer Wadim Krassikow. Am Montag hatte Nawalnys Vertraute Maria Pewtschich erklärt, Wladimir Putin habe Nawalny spontan ermorden lassen, um eine schon fast perfekte Einigung über den Freitausch Nawalnys und zweier in Russland einsitzender US-Bürger gegen Krassikow zu vereiteln.
Mehrere westliche Medien bestätigten diese Verhandlungen, aber es bleibt unklar, wie weit sie wirklich vorangeschritten waren. Und viele russische Oppositionelle sind wenig glücklich, dass sie überhaupt publik wurden. „Solche Verhandlungen sind immer sehr diskret, sie finden ja ohne jede gesetzliche Grundlage statt, ihr Erfolg hängt stark vom politischen Willen der beteiligten Staatsführungen ab“, sagt Sergej Dawidis, Experte des Menschenrechtszentrums Memorial für politische Gefangene. „Jetzt ist die Chance, jemanden gegen Krassikow auszutauschen, extrem verringert, wenn nicht ganz zunichtegemacht worden.“
Über 1.000 politische Gefangene
Alexej Nawalny war keineswegs der einzige Strafgefangene, dessen Freitausch gegen Krassikow oder andere in westlichen Gefängnissen sitzende Russen man in Oppositionskreisen diskutierte. Laut dem Rechtsschutzportal OWD-Info gibt es in Russland wieder über 1.000 politische Gefangene, ihre Zahl hat sich nach Angaben von Memorial seit 2014 mehr als verzehnfacht.
Dazu gehören Provinzjournalisten, pazifistische Teenager, Krimtataren oder Ingenieure, aber auch bekannte Menschenrechtler wie Oleg Orlow, Mitvorsitzender der mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Memorial-Organisation. Der 70-Jährige wurde erst am Dienstag wegen „Diskreditierung der Armee“zu 2,5 Jahren Gefängnis verurteilt, er hatte vorher Putin und seinen Truppen in der Ukraine Massenmord vorgeworfen.
Aber Dawidis und andere Experten nennen noch andere Häftlinge, die es gilt, möglichst zügig freizubekommen. „Die wichtigsten Kriterien sind dabei die Dauer ihrer Haftstrafe und die Bedrohung für ihr Leben und ihre Gesundheit hinter Gittern.“
Als einer der ersten Kandidaten wurde schon vor Nawalnys Tod der Oppositionsjournalist Wladimir Kara-Mursa, 42. Er wurde vergangenes Jahr zu 25 Jahren verurteilt – unter anderem wegen Landesverrat und Verleumdung der Armee. Er hatte vorher ähnlich wie Nawalny zwei Giftanschläge überlebt. Und wie Nawalny landet er immer wieder im Strafkarzer. Dabei leidet er wegen Polyneuropathie an schweren Lähmungen, viele Beobachter halten seinen Zustand für lebensgefährlich.
Geringe Hoffnung für inhaftierte Oppositionelle
Als ebenfalls dringender Fall gilt der Moskauer Lokalparlamentarier Alexej Gorinow, 62, der erste Kriegsgegner, der im Juni 2022 eine Haftstrafe erhielt – sieben Jahre wegen „Fakeaussagen über die Armee“. Auch der chronische Lungenkranke gilt gesundheitlich als stark angeschlagen.
Das gilt ähnlich für die Petersburger Künstlerin Alexandra Skotschilenko, die nach dem Ausbruch der Kämpfe in der Ukraine Preisschildchen in einem Supermarkt mit Kriegsopferzahlen beschriftet hatte und deshalb als „Verleumderin der Armee“zu sieben Jahren Straflager verurteilt worden war. Sie leidet unter Lebensmittelallergien, aber vor allem unter chronischer Herzschwäche. Dawidis lehnt es ab, eine Liste der ärgsten, auf einen Austausch drängenden Fälle zu erstellen. „Dazu gibt es zu viele Leute, die sofort Anspruch darauf hätten, freizukommen. Sie in eine Hierarchie einzuordnen, wäre ungerecht gegenüber allen.“Er hofft, es werde auch nach dem gescheiterten Krassikow-Austausch weiter verhandelt. „Aber leider kümmert den Kreml das Schicksal der Russen, die für ihn im Westen straftätig werden, in der Regel nicht besonders.“Die Zahl der für einen Austausch infrage kommenden Personen bleibe deshalb beschränkt.
Solche Verhandlungen sind immer sehr diskret, sie finden ja ohne jede gesetzliche Grundlage statt, ihr Erfolg hängt stark vom politischen Willen der beteiligten Staatsführungen ab. Sergej Dawidis, Experte des Menschenrechtszentrums Memorial für politische Gefangene