„Die Diagnose riss uns den Boden unter den Füßen weg“
Der vierjährige Elias leidet an einer extrem seltenen Krankheit. Die Familie hat einen langen Weg hinter sich. Heute kann der Junge dank eines Medikaments fast normal leben
Auf den ersten Blick wirkt Elias wie ein ganz normaler Junge. Ausgelassen spielt der Vierjährige mit seinem Spielzeug, scheint das Leben in vollen Zügen zu genießen. Was man ihm nicht ansieht: Elias hat bereits einen langen Leidensweg hinter sich. „Alles begann im Oktober 2019, vier Monate nach seiner Geburt“, erinnert sich seine Mutter Sarah.
Elias kam im Juni 2019 zur Welt, sieben Wochen zu früh. Zunächst schien alles normal. „Er war ein ganz gewöhnliches Kind, hat sich normal entwickelt“, berichtet Sarah. Im Oktober merkten seine Eltern aber, dass etwas nicht stimmt. „Er hat viel geweint und weniger gegessen, er war immer müde“, berichtet die Mutter. Vater Emmanuel ergänzt: „Dinge, die er konnte, konnte er auf einmal nicht mehr. Seine Entwicklung blieb stehen, war sogar rückläufig“.
Mit eineinhalb Jahren an den Rollstuhl gebunden
Die Eltern suchten ärztlichen Rat, zunächst ohne Erfolg. Eine Osteopathin überwies die Familie schließlich in die Notaufnahme. Im Dezember wurden im Krankenhaus zahlreiche Tests durchgeführt. „Elias wurde komplett durchgecheckt, vom IRM über den Kardiologen bis zum Augenarzt. Die Ärzte konnten aber nichts finden“. Der Kinderneurologe empfahl den Eltern daraufhin, genetische Tests durchzuführen. „Dann kam aber Corona. Das hat alles verlangsamt“, so Sarah.
Inzwischen ging es Elias immer schlechter. Der Junge saß im Rollstuhl, konnte seinen Kopf nicht richtig halten und sich nicht bewegen. „Er konnte nur mit seinen Augen und seinem Lächeln mit uns kommunizieren“, erinnert sich der Vater. „Am aktiven Leben konnte er gar nicht teilnehmen“, ergänzt die Mutter. Elias erhielt Physiotherapie, Microkinesitherapie und Versorgung bei „Hëllef fir de Puppelchen“. Es gab kleine Verbesserungen, jedoch keinen wirklichen Durchbruch.
Wahrscheinlich einziger Betroffener in Luxemburg
Weitere Monate vergingen, bis die Eltern endlich wussten, an welcher Krankheit ihr Sohn leidet. „Erst im September 2020 haben wir die Diagnose erhalten. Das Warten kam uns extrem lang vor. Es war schlimm, so viele Monate in der Ungewissheit zu leben“, erinnert sich Sarah.
Die Diagnose, die Elias erhält, ist ein Schock für die Eltern. Ihr Sohn leidet an einer seltenen Form des Tyrosin-Hydroxylase-Mangels, der DYT5b. „Vereinfacht erklärt, bedeutet das, dass Elias’ Gehirn nicht genug Dopamin produziert, damit die Informationen vom Gehirn in den Körper übermittelt werden können“, schildert die Mutter. Dies erklärt die Bewegungsstörungen. „Die Diagnose riss uns den Boden unter den Füßen weg. Es ist, als ob man gegen eine Wand rennt“, fährt Sarah fort.
Die Krankheit ist sehr selten. „Die Wahrscheinlichkeit, daran zu erkranken, liegt bei 0,5 bis eins zu einer Million Menschen. Es ist also wahrscheinlicher, im Lotto zu gewinnen. In Luxemburg ist uns kein weiterer Fall bekannt“, erklärt Vater Emmanuel. Es gibt verschiedene Formen der Krankheit. „Es gibt Varianten, die weniger schlimm sind sowie Varianten, die etwas schlimmer sind. Elias hat jedoch die schlimmste Variante“, so Sarah.
Die Krankheit ist genetisch bedingt. Sowohl Elias’ Mutter als auch sein Vater sind Träger desselben Gendefekts, ohne es zu wissen. „Man macht nicht einfach einen Gentest, um so etwas herauszufinden“, schildert Emmanuel. Sarah ergänzt: „Es gab bei uns in der Familie zuvor auch keine Krankheitsfälle.“
Medikament als täglicher Begleiter
Die Diagnose hat das Leben von Elias und das seiner Eltern völlig auf den Kopf gestellt. Er muss seitdem viermal am Tag ein Dopamin-Medikament einnehmen. L-Dopa, das er in Form eines Saftes einnimmt, ist eigentlich für Parkinson-Patienten gedacht, wirkt jedoch auch bei ihm. Dank des Medikaments kann der mittlerweile Vierjährige ein weitestgehend normales Leben führen, kann sich wieder bewegen, zur Schule gehen, sich austoben. „Ihm geht es gut, er hat sich super entwickelt“, berichtet seine Mutter.
„Ohne sein Medikament könnte er aber nicht viel machen, er könnte sich nicht bewegen, er würde wahrscheinlich wieder im Rollstuhl sitzen“, erläutern die Eltern. „Wahrscheinlich würden wir schon einen Unterschied bemerken, wenn wir das Medikament nur einmal vergessen würden“, erzählen sie. Es könnten zum Beispiel Gang- oder Gleichgewichtsstörungen auftreten. Daher ist es wichtig, den Saft zu präzisen Tageszeiten zu verabreichen. „Die Dosierung des Medikaments muss auch immer wieder an das
Körpergewicht angepasst werden“, so Sarah. Auch bei körperlicher Aktivität und emotionaler Belastung muss die Dosis etwas erhöht werden.
Probleme sieht die Mutter jedoch weniger im Verabreichen des Saftes, als vielmehr im administrativen Bereich. „Es gibt viele administrative Hürden. Um das Medikament zu erhalten, muss ich beispielsweise alle sechs Monate ein neues Formular ausfüllen, das von mir, vom Kinderneurologen und vom Apotheker unterschrieben werden muss. Dann wird es an die Santé und an die Krankenkasse übermittelt. Erst dann erhalten wir die Bewilligung, obwohl klar ist, dass Elias ohnehin nicht ohne das Medikament leben kann“.
Mutter wünscht mehr Toleranz
L-Dopa ermöglicht es Elias zwar, ein nahezu normales Leben zu führen, die Diagnose, die er erst mit eineinhalb Jahren erhielt, bedeutet aber auch, dass er seitdem einen Entwicklungsrückstand gegenüber gleichaltrigen Kindern aufholen muss. „Der behandelnde Arzt in Heidelberg sagte, dass die Diagnose wie eine zweite Geburt sei“, berichtet der Vater. Elias musste anschließend vieles lernen, was Gleichaltrige bereits konnten. Mittlerweile habe er aber den Großteil des Rückstandes aufgeholt, sagen seine Eltern. „Er ist sehr ehrgeizig, er ist ein Kämpfer“, so sein Vater.
Einige Besonderheiten bleiben aber im Leben von Elias und seinen Eltern. „Elias benötigt viel Routine und braucht auch immer ausreichend Zeit, um sich an neue Dinge zu gewöhnen“, erläutert Sarah und ergänzt: „Wir können daher nur begrenzt spontan sein“. Arztbesuche stehen ohnehin häufig auf dem Programm, auch sei die Krankheit mit einem hohen Organisationsaufwand verbunden, vor allem aufgrund des Medikaments. „Wir fahren zwar normal in den Urlaub, bleiben aber stets in der EU. Falls dann etwas passiert, zum Beispiel, falls eine Flasche Saft kaputtgehen würde, sind wir schnell wieder zu Hause“.
Mittlerweile haben sich die Eltern an die Krankheit ihres Sohnes gewöhnt. „Am Anfang findet man die Diagnose ungerecht, macht sich sogar Vorwürfe und stellt sich die Frage: ‚Warum ist das gerade uns passiert?‘. Heute bin ich froh darüber, dass Elias bei uns aufwachsen konnte und kann“, berichtet die Mutter. „Seine Freude am Leben hat uns immer wieder neue Kraft gegeben“, ergänzt der Vater.
Von der Gesellschaft wünscht sich die Mutter indes mehr Toleranz: „Man sieht Elias seine Krankheit nicht an. Dennoch ist er schwer krank. Die Gesellschaft sollte daher toleranter sein“. Für ihren Sohn haben die Eltern indes nur einen Wunsch: „Wir wünschen uns, dass Elias ein unbeschwertes Leben führen kann“.