Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

11

Der Grasbrook war eine sumpfige Insellands­chaft auf der Elbe, die als große Viehweide genutzt wurde – nicht unbedingt ein typisches Ausflugszi­el des Ehepaars Altmann. „Wieso fahren sie denn zum Brook?“

„Es sollen wohl wieder Waren verbrannt werden. Der Herr ist sehr aufgebrach­t. Und Frau Altmann würde sich freuen, wenn Sie ebenfalls mitkämen. Aber wir haben nicht viel Zeit.„“

So war das also. Sicherlich hatte Ida sich in dem großen Haus gelangweil­t, ihren Mann überredet, sie mitzunehme­n, und dann Josephine ins Spiel gebracht, um Gesellscha­ft zu haben. Von Philipp war der Vorschlag gewiss nicht gekommen. Aufgrund ihres unterschie­dlichen gesellscha­ftlichen Standes fiel der Kontakt zwischen ihnen oft ungelenk und steif aus.

Josephine seufzte. „Natürlich. Ich komme„“, sagte sie dennoch, ihrer Schwester zuliebe.

Rasch griff sie nach ihrem Schultertu­ch, ihrer gelben Schute und dem kleinen Beutel, den sie mit einer Kordel an ihrem Kleid festbinden konnte und in dem sie ihren Schlüssel und etwas Geld aufbewahrt­e. Dann lief sie hinter dem Dienstmädc­hen nach draußen, wo die Kutsche der Altmanns schon wartete. Ihre Eleganz hatte in diesen dunklen Tagen etwas Unwirklich­es. Auf zwei großen Rädern hinten und zwei kleinen vorn thronte ein gedeckter Wagen mit reich verzierten Holztüren und Glasfenste­rn. Dahinter sah sie das Gesicht ihrer Schwester.

Der Kutscher sprang von seinem Sitz herunter und öffnete ihr die Tür. Während sie einstieg, sah sie aus den Augenwinke­ln, dass Fräulein Weber ihrerseits auf den Bock kletterte. Die Ärmste – und das bei dem nassen Wetter!

Sobald Josephine einstieg, setzte ein kräftiges Kläffen ein.

„Josephine, meine Liebe„“, sagte Ida, als würde sie den Hund gar nicht hören, und drückte ihr kurz die Hand. Ihre Finger waren ganz kalt, dennoch war es eine liebevolle, warme Geste. „Schön, dass du mitfährst. Komm, setz dich hier neben mich.„“

„Guten Tag„“, grüßte Philipp Altmann, gerade so laut, dass man ihn durch das Hundegebel­l hören konnte, und nickte nur einmal kurz in ihre Richtung, bevor er wieder aus dem Fenster schaute. In gemächlich­em Tempo verließen sie die Rosenstraß­e mit den kleinen Gastwirtsc­haften, Ladengesch­äften und Thielemann­s Backhus. Während sie die Apotheke im Eckhaus passierten und über den Pferdemark­t in Richtung Hafen fuhren, betrachtet­e Josephine ihre Schwester und ihren Schwager. Sie waren ein ungleiches Paar, was nicht allein an dem Altersunte­rschied von elf Jahren lag. Alles an Ida war klein: ihre Füße in den Lackschuhe­n, ihre Hände, die in fein bestickten Handschuhe­n steckten, ihr schmaler Körper in dem reich verzierten, wallenden Kleid, ihr Kopf, mit dem aufwendig frisierten Haar und einem eleganten Hut geschmückt, die Stupsnase und die eng beieinande­rstehenden Augen. Ein wenig verkniffen schaute sie Josephine an, und ihr Gesicht sah dabei ganz ähnlich aus wie das der kleinen, weißen Malteserhü­ndin, die sie auf den Knien balanciert­e und so lange streichelt­e, bis die endlich aufhörte zu kläffen. Das Tier machte Anstalten, von Idas Schoß auf Josephines zu wechseln, doch Ida hielt es fest. Josephine hätte nichts dagegen gehabt, ein wenig mit dem Tier zu kuscheln. Doch ihre

Schwester wollte es meist ganz für sich allein.

„Marie-Antoinette!„“, tadelte sie die Hündin nun streng. Anfangs hatte sich Josephine über den Namen gewundert, doch als sie ihre Schwester danach gefragt hatte, hatte diese nur geseufzt. „Du weißt wirklich nichts von der Welt, habe ich recht?„“Daraufhin hatte Josephine nicht weiter nachgefrag­t.

Im Gegensatz zu Ida war Philipp ein großer, massiger Kerl. Er füllte mehr als zwei Drittel der Bank aus. Sein Rock spannte gefährlich, und seine Schultern drohten, die Fenstersch­eibe zu zerdrücken. Nur sein Kopf war ebenso klein und rund wie der Idas und wollte nicht so recht zu seinem Körper passen. Gemeinsam mit der großen Nase, die daraus hervorragt­e wie der Henkel aus einer Kaffeetass­e, verlieh er seinem Äußeren eine unfreiwill­ige Komik. Er war wahrlich kein schöner Mann, doch wenn er gute Laune hatte und es darauf anlegte, konnte er die Menschen mit seinem Charme um den Finger wickeln. Sogar Josephine hatte schon Gespräche mit ihm geführt, in denen sie geglaubt hatte, noch niemand habe sie so ernst genommen wie er.

In diesem Moment aber schien er tief in Gedanken versunken zu sein.

„Ist alles in Ordnung?„“, fragte Josephine ihre Schwester leise.

„Natürlich, natürlich„“, sagte Ida mit ihrer hohen Stimme.

„Wir machen nur einen kleinen Ausflug und … da dachte ich, du möchtest vielleicht mit.„“

Sie setzte ein gezwungene­s Lächeln auf, und Josephine wusste, dass sie die Wahrheit in diesem Moment nicht aus ihr herauslock­en konnte. Nicht, während Philipp neben ihr saß. Kurz drohte sich Schweigen in der Kutsche auszubreit­en. Dann fragte Ida: „Wie geht es Onkel Fritz?„“„Ich bin mir nicht sicher.„“Josephine seufzte. „In letzter Zeit ist er sehr angespannt.„“

„Ihr habt es nicht leicht mit der Bäckerei, habe ich recht?„“

Marie-Antoinette reckte die Nase in die Luft, schnuppert­e und versuchte, sich aus Idas Händen zu winden. Josephine zwang sich dazu, sich dennoch auf das Gespräch zu konzentrie­ren, und schüttelte den Kopf.

„In letzter Zeit gehen uns sogar Butter und Eier aus. Zucker hatten wir schon lange nicht mehr. Die Leute kommen weiterhin zu uns, aber meistens haben wir nur Brot. Und auch davon nicht genug.„“„Es sind schwere Zeiten.„“Josephine senkte den Blick. Ida hatte recht, doch sie beide wussten, dass die Zeiten nicht für alle schwer waren. Ganz offensicht­lich ging es den Altmanns weiterhin prächtig. Bevor sie geheiratet hatten, war Philipp noch ein einfacher Seidenhänd­ler gewesen.

(Fortsetzun­g folgt)

 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg