„Frans Hals benutzte seinen Pinsel wie ein Florett“
Nach Vermeer und Rembrandt präsentiert das Rijksmuseum „Frans Hals“, eine Ausstellung mit rund 50 der größten Gemälde des niederländischen Meisters
Freudig überrascht streckt er dem Betrachter sein volles Weinglas entgegen, gerade so, als wolle er ihm zuprosten. Die andere Hand hat er zum Gruß erhoben. „Schön, dass du da bist!” scheint er zu sagen. „Komm rein und setz dich zu mir!” Denkt man sich die Halskrause und den Hut weg, könnte es der Nachbar sein, dem man unerwartet in der Stammkneipe begegnet ist. Bei keinem anderen Maler aus dem 17. Jahrhundert ist das Gefühl so stark, es mit echten Menschen zu tun zu haben.
Der „fröhliche Trinker” von Frans Hals (1582 bis 1666) ist das erste Bild, was Besucher auf der großen Retrospektive im Amsterdamer Reichsmuseum zu sehen bekommen. „Weil sich alles, was Hals zu Hals macht, auf diesem Gemälde findet”, erklärt Kurator Friso Lammertse. Der Pinselstrich ist gut 200 Jahre vor den Impressionisten revolutionär locker und kühn. Und anders als die bis dahin gängigen statischen und steifen Porträts von Hals’ Zeitgenossen pulsiert dieses Bildnis hier regelrecht vor Leben – da ist Bewegung drin, Dynamik.
Auch das Gesicht des Dargestellten ist nicht starr und ernst, im Gegenteil – er lacht. Sogar seine Zähne sind zu sehen! So mancher Zeitgenosse muss sich bei diesem Anblick verschluckt haben, „denn Zähne zeigten damals nur die Hunde!“, schmunzelt Konservator Lammertse. „Es gehörte sich nicht.“Was Hals herzlich egal gewesen sein muss: Auf seinen Werken wird immer gelacht oder wenigstens gelächelt. Selbst die sauertöpfischste der Regentinnen auf dem Gruppenbildnis des Altmännerheims von Haarlem zieht noch leicht die Mundwinkel nach oben. „Keiner konnte lachende Menschen so überzeugend darstellen wie Hals – weder vor ihm noch nach ihm“, sagt Lammertse. „Seine Bilder machen fröhlich.“
Insgesamt werden rund 50 Gemälde des alten Meisters gezeigt. Landschaftsbilder oder Stillleben sind keine dabei, Hals hat ausschließlich Porträts gemalt oder Genrefiguren, „aber die sind streng genommen ja auch Porträts“. Vermutlich, weil er das am besten konnte und sich damit auch am meisten verdienen ließ. Bei der Haarlemer Oberschicht standen seine Porträts hoch im Kurs. Dennoch herrschte im Haushalt der Familie ständig Geldnot, denn die Kinderschar, die der Maler gezeugt hatte, war größer als eine Fußballmannschaft.
Die Ausstellung ist eingeteilt in Bildnisse von Ehepaaren, Gruppenbilder von Schützengilden und Porträts reicher Kaufleuten und Regenten. Aber auch Bildnisse von Musikanten sind zu sehen, von Schaustellern, Sängern, einer Prostituierten und einem Fischerjungen: Hals war der erste, der auch soziale Außenseiter im Porträtformat festgehalten hat. Bekanntestes Beispiel ist die Malle Babbe mit der Eule auf der Schulter, die verrückte Barbara: Sie lebte in der Haarlemer Arbeits- und Irrenanstalt, in der auch zwei von Hals’ Kindern aufgenommen wurden.
Lachen überzeugend darzustellen, ist extrem schwierig! Es kann ganz schnell zu einem Grinsen entgleisen oder zu einem Heulen. Friso Lammertse, Kurator
Frans Hals erneuerte die Malerei bereits, als Vermeer noch geboren werden musste und Rembrandt ein Kind war! Taco Dibbits, Museumsdirektor
Nach Vermeer und Rembrandt nun Frans Hals
Nach der spektakulären Vermeerschau im letzten Jahr und den beiden großen Rembrandtausstellungen 2015 und 2019 widmet das Reichsmuseum in Zusammenarbeit mit der National Gallery in London und der Berliner Gemäldegalerie damit nun auch dem dritten großen niederländischen Meister aus dem 17. Jahrhundert eine umfangreiche Werkschau.
„Alle drei malten in Öl auf Leinwand, aber alle drei sind total verschieden“, so Museumsdirektor Taco Dibbits. Vermeer suchte Stille und Intimität; Rembrandt erzählte Geschichten oder versuchte, in die Psyche der dargestellten Menschen einzudringen. Hals hingegen hatte mit Tiefsinn und Stille nichts am Hut: Ihm ging es um Bewegung. Er wollte den Moment festhalten, das Flüchtige und Spontane, und darin war er beispiellos: „Er hatte ein fotografisches Auge“, so Dibbits. „Hals erneuerte die Malerei bereits, als Vermeer noch geboren werden musste und Rembrandt ein Kind war!“
Im Selfie-Zeitalter haben es Porträts von Frans Hals schwer
Dennoch steht er heute im Schatten der beiden. „Das liegt daran, dass seine Malweise und das Dargestellte für uns ganz normal geworden sind“, erklärt Lammertse. Im Selfie-Zeitalter werden wir von Schnappschüssen la
chender Menschen geradezu begraben. „Aber zu Lebzeiten von Hals – und wer sich diese Ausstellung anschaut, darf das nicht vergessen – gab es weder Fotoapparate geschweige denn Smartphones!” Auch der extrem lockere Pinselstrich erstaunt heute keinen mehr. Die Menschen damals hatten so etwas noch nie gesehen, wir aber sind es durch die Impressionisten längst gewöhnt.
Denen stockte der Atem, als sie die Bilder von Hals entdeckten. Egal, ob Manet, Jongkind, Whistler oder van Gogh – sie alle wussten nicht, wie schnell sie sich nach Haarlem begeben sollten, nachdem sie einen Artikel gelesen hatte, in dem der französische Kunstkenner und Journalist Théophile Thoré 1862 geschrieben hatte, dass es da jemanden gab, der 200 Jahre vor ihnen so gemalt hatte, wie sie malen wollten. „Was für ein großer Genuss!“, schwärmte Vincent van Gogh. Das sei doch etwas völlig anderes als „die Bilder, auf denen alles sorgfältig und auf gleiche Weise glatt gestrichen ist“. Der Amerikaner James McNeill Whistler wartete bei seinem Besuch im Haarlemer Rathaus, wo die Werke von Hals zu sehen waren, sogar auf einen unbeobachteten Moment, bis der Wächter im Saal nebenan war. Dann holte er aus der nächsten Ecke einen Stuhl und kletterte drauf, um die Wange einer der Regentessen auf dem Gruppenbildnis des Altmännerheims streicheln zu können. „Oh, what a swell he was!“soll er ausgerufen haben. „Was war er doch für ein toller Kerl!“
Erfunden hat Hals den lockeren Pinselstrich nicht. Vor ihm hatten sich darin bereits Tizian und Tintoretto geübt. Und Peter Paul Rubens, der 1608 aus Italien nach Antwerpen zurückgekehrt war – der Stadt, in der 1582 auch Hals geboren worden war. Doch wie so viele protestantische Glaubensflüchtlinge hatte auch seine Familie ihr Heil im freien Norden gesucht und sich in Haarlem niedergelassen.
Hals kannte die Werke von Rubens; während einer Antwerpenreise hat er das flämische Schwergewicht in dessen Atelier am Wapper aufgesucht und dabei auch Rubens’ wichtigsten Schüler kennengelernt: Anthonis van Dijk. Der malte ebenfalls ungewöhnlich locker für seine Zeit. Bis er als Porträtmaler am Hof der englischen Könige Karriere machte, seinen Pinsel zähmte und wieder glatter malte. „Bei Hals war es umgekehrt“, sagt Kurator Lammertse. „Sein Pinsel wurde immer wilder.“
So wild, dass er sich noch zu Lebzeiten vorwerfen lassen musste, schlampig zu arbeiten oder gar zu tief ins Glas geschaut zu haben. Im 18. Jahrhundert, als sich der Geschmack änderte und ein feiner Pinselstrich gefragt war, fiel er gänzlich in Ungnade: Hals, so rümpfte etwa Joshua Reynolds, britischer Porträtmaler und Direktor der Royal Academy, die Nase, „fehlte die Geduld, das zu vollenden, was er richtig begonnen hatte“.
Kunstkritiker Thoré hingegen, der im 19. Jahrhundert für die Wiederentdeckung von Hals sorgte, verglich den Maler mit einem Fechter: „Hals benutzte seinen Pinsel wie ein Florett!” Zack – hier ein kleiner waagrechter Pinselstrich in weiß, zack, da ein zweiter: Mehr braucht es nicht, um die Augen des Lautenspielers vor Lebensfreude sprühen zu lassen.
Meister im Suggerieren von Bewegung
Hals entdeckte auch schnell, dass sich mit dem Pinselstrich Bewegung suggerieren ließ. Je wilder, desto dynamischer. Denn sobald sich etwas bewegt, verwischen die Details. Und wenn er die Menschen dabei auch noch in ungewöhnlichen Haltungen festhielt, also in Posen, die sie nicht lange durchhalten konnten, ließ sich die Dynamik weiter erhöhen. Das war ein zweites Mittel, um Bewegung zu suggerieren, denn dadurch entsteht Spannung: Der Lautenspieler muss sich jeden Moment wieder nach vorne beugen, sonst bekommt er Rückenschmerzen und einen Krampf im Arm. Der reiche Textilhändler Willem van Heythuijsen, der übermütig auf seinem Stuhl wibbelt, kann jeden Moment nach hinten kippen. Der Fisch, den der Leidener Stadtbote Pieter Cornelisz van der Mersch in der Hand hält, kann ihm in der nächsten Sekunde aus den Fingern gleiten. Und bei der deutlich beschwipsten Schützengilde aus Haarlem dauert es nicht mehr lange, das ist unübersehbar, und alle sind sturzbetrunken. Die Bilder von Hals sind wie Stills aus einem Film, der kurz angehalten wurde, aber gleich weitergeht. Darin war er ein Meister.
Das gilt auch für das Lachen auf den Gesichtern seiner Menschen. „Lachen überzeugend darzustellen, ist extrem schwierig!“, erklärt Kurator Lammerste. „Es kann ganz schnell zu einem Grinsen entgleisen oder zu einem Heulen.“Von Hals’ Zeitgenossem Gabriel Metsu etwa gebe es eine lachende Frau, die aussehe, als ob sie Zahnschmerzen habe.
Bei Hals hingegen braucht es auch hier oft nur einen Hieb mit seinem Florett – und schon ist das Lachen echt. Bester Beweis: Es wirkt ansteckend. Genau das tun die Menschen auf seinen Bildern. Und zwar seit Jahrhunderten. Auch jetzt wieder, auf dieser Ausstellung. Das sei „das Wunder von Hals“, so Kurator Lammertse: „Wir lachen mit Menschen aus dem 17. Jahrhundert.“
Keiner konnte lachende Menschen so überzeugend darstellen wie Hals – weder vor ihm noch nach ihm, seine Bilder machen fröhlich. Friso Lammertse, Kurator