Macrons Tabubruch ist ein Ablenkungsmanöver
Bis zu Macrons Alleingang gab es innerhalb der NATO einen Konsens, sprich: Die Ukraine wird mit Waffen unterstützt und, ja, auch so lange wie nötig. Aber eben nicht mit Bodentruppen. Denn zu groß wäre die Gefahr, dann Kriegspartei zu werden, mit unabsehbaren Folgen. Dieses Mantra hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auch gebetsmühlenartig seit dem 24. Februar 2022 wiederholt. Mit der eindeutigen Botschaft: Der Westen tritt nicht in den Krieg mit Russland ein. Doch für Emmanuel Macron scheint das alles nicht so wichtig zu sein. Offensichtlich ohne jede Absprache mit den Alliierten stellte er die bisher gültige NATO-Strategie infrage. Doch leider hilft Macrons publikumswirksamer Aufritt der geschundenen Ukraine derzeit nicht und lenkt von den wahren Herausforderungen ab.
Denn was Kiew derzeit vor allem braucht und auch zurecht vehement fordert, sind ausreichend Munition, Ausrüstung und moderne Waffensysteme von seinen westlichen Verbündeten, um den Invasoren standhalten zu können. Was aber nicht in ausreichendem Masse passiert. Und gerade in diesem Punkt war Paris bisher nicht gerade ein Musterschüler. Das Land liegt in der Liste der Ukraine-Unterstützer ganz weit hinten, hat vergleichsweise wenig Waffen geliefert und auch bei den Finanzhilfen gespart. Und so rangiert Frankreich nur in der zweiten Reihe hinter Ländern wie den Niederlanden, Dänemark oder auch Deutschland.
Zudem ist das Timing von Macrons Vorstoß mehr als ungünstig, weil dieser erneut gnadenlos die europäischen Differenzen bloßlegt. Zu einem Zeitpunkt, da in den USA das Wahlkampfgetöse zunehmend den Ton angibt und die US-Waffenhilfe blockiert ist, müssten Frankreich und Deutschland eigentlich die Führungsrolle in Europa übernehmen und gemeinsam an einem Strang ziehen, anstatt widersprüchliche Signale an Moskau und Kiew zu senden. Denn was soll Putin davon halten, wenn Macron einerseits von möglichen Bodentruppen spricht – was alle anderen NATO-Verbündeten bisher unisono ablehnen – und andererseits etwa Olaf Scholz behauptet, dass er keine Taurus-Raketen liefern könne, weil deutsche Soldaten diese für die Ukraine programmieren müssten, was wiederum zu einer Eskalation des Konflikts mit Russland führen könnte?
Anstatt also große Reden zu schwingen und wild über Szenarien zu spekulieren, die derzeit nicht konsensfähig sind, täte Macron besser daran, gemeinsam mit seinen europäischen Verbündeten eine Antwort auf die gegenwärtigen Nachschubprobleme zu finden und sich in Rüstungsfragen stärker abzustimmen – auch mit Blick auf einen möglichen Komplettausfall der US-Hilfen im Falle eines Wahlsiegs von Trump. Macron muss zunächst seine Hausaufgaben erledigen, sprich mehr finanzielle und militärische Hilfe bereitstellen und nicht nur rhetorisch versuchen, eine Führungsrolle zu übernehmen.
Frankreich und Deutschland müssten eigentlich die Führungsrolle in Europa übernehmen und gemeinsam an einem Strang ziehen.