Luxemburger Wort

„Menschenhä­ndler haben in Luxemburg wenig zu befürchten“

Zwangsbett­elei bleibt ein Randphänom­en, dafür steigt die Zahl der Opfer von Menschenha­ndel in der Arbeitswel­t. Dem wird zu wenig entgegenge­setzt, findet die beratende Menschenre­chtskommis­sion

- Von Simone Molitor

Es gibt Hinweise auf Zwangsbett­elei in Luxemburg. Zu diesem Schluss kommt die konsultati­ve Menschenre­chtskommis­sion (CCDH) als nationaler Berichters­tatter in ihrem vierten Bericht über Menschenha­ndel. Im Jahr 2021 wurden zwölf Fälle von organisier­ter Bettelei untersucht. Unter den mutmaßlich­en Opfern befanden sich zehn Minderjähr­ige rumänische­r Herkunft.

„Es ist aber schwierig nachzuweis­en, dass tatsächlic­h Menschenhä­ndler dahinter stecken“, gibt CCDH-Generalsek­retärin Fabienne Rossler zu bedenken. „In allen Fällen hat die Kriminalpo­lizei ermittelt, aber es kam zu keiner Strafverfo­lgung. Das ist schwierig, weil die Opfer plötzlich verschwind­en und die Täter trotz aller Schritte auf europäisch­er Ebene nicht gefunden werden können. Wir haben selbst nur sehr wenige Informatio­nen“, ergänzt Präsident Gilbert Pregno.

„Der Menschenha­ndel hat ein solches Ausmaß, dass es uns natürlich unheimlich stört, wenn man sich jetzt so auf einen ganz kleinen Punkt fokussiert. Das Bettelverb­ot und diese ganzen populistis­chen Aussagen machen mich persönlich sehr wütend“, so Pregno. Die Menschenre­chtskommis­sion betont deshalb in ihrem am Donnerstag vorgestell­ten Bericht, dass andere Formen der Ausbeutung durch Menschenhä­ndler weitaus verbreitet­er sind. „Ausbeutung in der Arbeitswel­t wird in Luxemburg immer präsenter“, berichtet Rossler. Diese Tendenz zeichne sich auch für das Jahr 2023 ab. Vor allem im Baugewerbe und in der Gastronomi­e nehme das Phänomen zu.

Insgesamt wurden in den Jahren 2021 und 2022 127 Opfer ge

zählt – in den beiden Vorjahren waren es gerade einmal 23. 70 Opfer wurden offiziell von der Polizei als solche identifizi­ert, die anderen werden als „mutmaßlich“oder „potenziell“geführt.

Zwangspros­titution: großes Netzwerk aufgedeckt

Die große Zahl der Opfer (insgesamt 55), die in den Jahren 2021 und 2022 sexuell ausgebeute­t wurden, lässt indes aufhorchen. Sie ist größtentei­ls auf die Ermittlung­en gegen ein organisier­tes Netzwerk im Zusammenha­ng mit Zwangspros­titution in Wohnungen zurückzufü­hren. Die mehr als 40 betroffene­n Frauen (Stand 2022) wurden von Menschenhä­ndlern aus Russland und der

Ukraine über das Internet angeworben und reisten mit einem Touristenv­isum nach Luxemburg ein. Haupttäter­in war eine Frau ukrainisch­er Herkunft. Die Ermittlung­en sind noch nicht abgeschlos­sen. „Im Jahr 2023 sind mindestens 39 weitere Opfer hinzugekom­men“, berichtet die Generalsek­retärin der CCDH.

Hohe Dunkelziff­er: Viele Opfer bleiben unentdeckt

„Die Zahlen der Kriminalpo­lizei geben kein vollständi­ges Bild der Realität. Die Dunkelziff­er ist viel höher“, sagt sie. Man müsse davon ausgehen, dass viele Opfer nicht entdeckt werden. Zudem würden sich viele nicht als Opfer sehen und deshalb nichts unternehme­n. Dass mehr Fälle von Zwangsarbe­it aufgedeckt wurden, sei zum Teil darauf zurückzufü­hren, dass die ITM proaktiver vorgehe und ein größeres Bewusstsei­n für Menschenha­ndel entwickelt habe.

Auf der anderen Seite wird die sehr „passive Haltung“einiger

Behörden kritisiert, insbesonde­re der Direction de l’immigratio­n und des Office national de l’accueil (ONA). Zwar seien in den letzten Jahren Anstrengun­gen unternomme­n worden, diese reichten aber nicht aus, stellt Anamarija Tunjic, Juristin bei der CCDH, fest: „Die Zahl der Opfer, die entdeckt werden, ist minimal beziehungs­weise quasi inexistent. Man verlässt sich auf das Bauchgefüh­l der Beamten. Das reicht nicht. Potenziell­e Opfer müssen frühzeitig erkannt werden.“Für die Menschenre­chtskommis­sion steht fest, dass Flüchtling­e einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, in die Fänge von Menschenhä­ndlern zu geraten. Wie auf vielen Ebenen im Kampf gegen den Menschenha­ndel besteht auch hier dringender Handlungsb­edarf.

Zu geringe Strafen für die Täter

Zu einer Verurteilu­ng komme es nur in wenigen Fällen, erklärt Max Mousel, ebenfalls Jurist bei der CCDH, obwohl beispielsw­eise immer mehr Unternehme­n direkt oder indirekt in den Menschenha­ndel verwickelt seien. Im Falle einer Anklage kämen die Täter, die oft sehr hohe Gewinne erzielen, mit geringen Geldstrafe­n oder Gefängniss­trafen auf Bewährung davon. Die Opfer könnten derweil nur mit minimalen Entschädig­ungszahlun­gen rechnen. „Menschenha­ndel ist nach wie vor eine Straftat, die für die Täter sehr lukrativ und für die Opfer äußerst katastroph­al ist“, schließt Mousel. Menschenhä­ndler haben in Luxemburg nur wenig zu befürchten, so das Fazit der konsultati­ven Menschenre­chtskommis­sion.

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Foto: Sibila Lind Die Menschenre­chtskommis­sion um Gilbert Pregno, Fabienne Rossler und Anamarija Tunjic berichtet von einer deutlichen Zunahme der Fälle von Menschenha­ndel.

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