„Menschenhändler haben in Luxemburg wenig zu befürchten“
Zwangsbettelei bleibt ein Randphänomen, dafür steigt die Zahl der Opfer von Menschenhandel in der Arbeitswelt. Dem wird zu wenig entgegengesetzt, findet die beratende Menschenrechtskommission
Es gibt Hinweise auf Zwangsbettelei in Luxemburg. Zu diesem Schluss kommt die konsultative Menschenrechtskommission (CCDH) als nationaler Berichterstatter in ihrem vierten Bericht über Menschenhandel. Im Jahr 2021 wurden zwölf Fälle von organisierter Bettelei untersucht. Unter den mutmaßlichen Opfern befanden sich zehn Minderjährige rumänischer Herkunft.
„Es ist aber schwierig nachzuweisen, dass tatsächlich Menschenhändler dahinter stecken“, gibt CCDH-Generalsekretärin Fabienne Rossler zu bedenken. „In allen Fällen hat die Kriminalpolizei ermittelt, aber es kam zu keiner Strafverfolgung. Das ist schwierig, weil die Opfer plötzlich verschwinden und die Täter trotz aller Schritte auf europäischer Ebene nicht gefunden werden können. Wir haben selbst nur sehr wenige Informationen“, ergänzt Präsident Gilbert Pregno.
„Der Menschenhandel hat ein solches Ausmaß, dass es uns natürlich unheimlich stört, wenn man sich jetzt so auf einen ganz kleinen Punkt fokussiert. Das Bettelverbot und diese ganzen populistischen Aussagen machen mich persönlich sehr wütend“, so Pregno. Die Menschenrechtskommission betont deshalb in ihrem am Donnerstag vorgestellten Bericht, dass andere Formen der Ausbeutung durch Menschenhändler weitaus verbreiteter sind. „Ausbeutung in der Arbeitswelt wird in Luxemburg immer präsenter“, berichtet Rossler. Diese Tendenz zeichne sich auch für das Jahr 2023 ab. Vor allem im Baugewerbe und in der Gastronomie nehme das Phänomen zu.
Insgesamt wurden in den Jahren 2021 und 2022 127 Opfer ge
zählt – in den beiden Vorjahren waren es gerade einmal 23. 70 Opfer wurden offiziell von der Polizei als solche identifiziert, die anderen werden als „mutmaßlich“oder „potenziell“geführt.
Zwangsprostitution: großes Netzwerk aufgedeckt
Die große Zahl der Opfer (insgesamt 55), die in den Jahren 2021 und 2022 sexuell ausgebeutet wurden, lässt indes aufhorchen. Sie ist größtenteils auf die Ermittlungen gegen ein organisiertes Netzwerk im Zusammenhang mit Zwangsprostitution in Wohnungen zurückzuführen. Die mehr als 40 betroffenen Frauen (Stand 2022) wurden von Menschenhändlern aus Russland und der
Ukraine über das Internet angeworben und reisten mit einem Touristenvisum nach Luxemburg ein. Haupttäterin war eine Frau ukrainischer Herkunft. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. „Im Jahr 2023 sind mindestens 39 weitere Opfer hinzugekommen“, berichtet die Generalsekretärin der CCDH.
Hohe Dunkelziffer: Viele Opfer bleiben unentdeckt
„Die Zahlen der Kriminalpolizei geben kein vollständiges Bild der Realität. Die Dunkelziffer ist viel höher“, sagt sie. Man müsse davon ausgehen, dass viele Opfer nicht entdeckt werden. Zudem würden sich viele nicht als Opfer sehen und deshalb nichts unternehmen. Dass mehr Fälle von Zwangsarbeit aufgedeckt wurden, sei zum Teil darauf zurückzuführen, dass die ITM proaktiver vorgehe und ein größeres Bewusstsein für Menschenhandel entwickelt habe.
Auf der anderen Seite wird die sehr „passive Haltung“einiger
Behörden kritisiert, insbesondere der Direction de l’immigration und des Office national de l’accueil (ONA). Zwar seien in den letzten Jahren Anstrengungen unternommen worden, diese reichten aber nicht aus, stellt Anamarija Tunjic, Juristin bei der CCDH, fest: „Die Zahl der Opfer, die entdeckt werden, ist minimal beziehungsweise quasi inexistent. Man verlässt sich auf das Bauchgefühl der Beamten. Das reicht nicht. Potenzielle Opfer müssen frühzeitig erkannt werden.“Für die Menschenrechtskommission steht fest, dass Flüchtlinge einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, in die Fänge von Menschenhändlern zu geraten. Wie auf vielen Ebenen im Kampf gegen den Menschenhandel besteht auch hier dringender Handlungsbedarf.
Zu geringe Strafen für die Täter
Zu einer Verurteilung komme es nur in wenigen Fällen, erklärt Max Mousel, ebenfalls Jurist bei der CCDH, obwohl beispielsweise immer mehr Unternehmen direkt oder indirekt in den Menschenhandel verwickelt seien. Im Falle einer Anklage kämen die Täter, die oft sehr hohe Gewinne erzielen, mit geringen Geldstrafen oder Gefängnisstrafen auf Bewährung davon. Die Opfer könnten derweil nur mit minimalen Entschädigungszahlungen rechnen. „Menschenhandel ist nach wie vor eine Straftat, die für die Täter sehr lukrativ und für die Opfer äußerst katastrophal ist“, schließt Mousel. Menschenhändler haben in Luxemburg nur wenig zu befürchten, so das Fazit der konsultativen Menschenrechtskommission.