Das Mullah-Regime will keine Überraschungen
Was vom ersten Urnengang im Iran seit den gewaltsam niedergeschlagenen Kopftuch-Protesten im Herbst 2022 zu erwarten ist. Sechs Fragen und Antworten
Zum ersten Mal seit den blutigen Protesten nach dem Tod der kurdischen Frauenrechtlerin Mahsa Amini im September 2022 wird im Iran gewählt. Das Volk soll über die Zusammensetzung des Parlaments sowie des Expertenrates entscheiden, der den Nachfolger des gesundheitlich angeschlagenen Revolutionsführer Ali Khamenei bestimmt.
Fragen 6 Antworten Das Regime forderte die Bevölkerung zu einer „massiven Wahlbeteiligung auf“, um zumindest die eigene Legitimität zu verteidigen; die Protestbewegung rief zu einem Wahlboykott auf. Was ist zu erwarten?
Laut einer Umfrage der in den Niederlanden ansässigen Organisation „Group for Analyzing and Measuring Attitudes in Iran“wollen 77 Prozent der 58.015 Befragten die Wahl boykottieren. 15 Prozent wollen an dem Urnengang teilnehmen; acht Prozent seien unentschlossen. Obwohl die Umfrage nicht als repräsentativ eingestuft werden kann, dürfte sie die Stimmungslage im Iran dennoch widerspiegeln. Selbst regimenahe Persönlichkeiten wie Gholammali Radjali, ein Berater des ehemaligen Staatspräsidenten Haschemi Rafsandjani, erklärte unlängst in einer Fernsehdiskussion, dass „bis zu 75 Prozent“der Bevölkerung das religiös-politische System ablehne – und betonte: „Wir sind verbraucht: Die Islamische Republik bietet keine Zukunft mehr. So wie jetzt kann es nicht weitergehen.“
Trotzdem verschließt das Regime seine Augen vor der Wirklichkeit. Wie lange werden die Mullahs ihre Macht noch verteidigen können?
Iran steht vor großen Umwälzungen. In absehbarer Zeit wird ein Nachfolger des gesundheitlich stark angeschlagenen Revolutionsführers Ali Khamenei bestimmt werden müssen. Verantwortlich dafür ist der sogenannte Expertenrat, dessen Mitglieder am ersten März ebenfalls gewählt werden. Wie bei den Parlamentswahlen wurden auch alle kritischen Kandidaten für den Expertenrat vorab von den Urnengängen ausgeschlossen. Ob diese und andere Manipulationen zur längerfristigen Machtsicherung ausreichen, ist fraglich.
Was könnte passieren?
Experten halten es für denkbar, dass es zu einem Putsch der Revolutionsgardisten kommen könnte. „Sie könnten der Mullah-Theokratie ein Ende bereiten und eine Militärdiktatur errichten“, befürchtet die Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Aminpur. Das von den Revolutionsgardisten errichtete Regime wäre dann mit den Militärdiktaturen in Ägypten, Pakistan oder Myanmar vergleichbar.
Sind auch andere, positivere Szenarien, wie ein Sieg der von Frauen dominierten Protestbewegung möglich?
Kurzfristig sicherlich nicht, längerfristig aber schon. Nach Erkenntnissen der Organisation „Human Rights Activists in Iran“wurden im Iran im Zusammenhang mit den Pro
testen 22.000 Menschen verhaftet. Auch die Zahl der Hinrichtungen hat zugenommen. Allein im vergangenen Jahr wurden mindestens 585 Hinrichtungen vollstreckt. Trotzdem gehen die Proteste weiter. Das zeigen auch die Reaktionen des Regimes, das vor den Wahlen den Internetzugang stark eingeschränkt. Verboten wurde die Nutzung von VPN-Apps. Mithilfe dieser „Tunneldienste“können die im Iran gesperrten Netzwerke Instagram, X und Telegram aufgerufen werden.
Warum tut sich die Protestbewegung im Iran so schwer?
Die Protestbewegung ist sehr heterogen; die Oppositionsparteien im Ausland sind zersplittert und untereinander verfeindet. Es fehlen charismatische Führungspersönlichkeit wie es beispielsweise Nelson Mandela in Südafrika oder – trotz aller Vorbehalte – der Ayatollah Khomeini während der Revolution gegen das Schah-Regime vor 45 Jahren waren.
Welche Rolle spielt der Krieg im Gazastreifen, wo Iran die Hamas unterstützt. Und welche Auswirkungen haben die von Irans „Stellvertretern“geführten Kleinkriege im Libanon, Syrien, Irak und Jemen?
All diese Kriege sind im Iran höchst unpopulär, da sie viel Geld verschlingen, was der Bevölkerung dann fehlt. Von den Protest- und Oppositionsbewegungen sicherlich
Experten halten es für denkbar, dass es zu einem Putsch der Revolutionsgardisten kommen könnte.
mit Genugtuung registriert wurde die Eliminierung hochrangiger Generäle und Geheimdienstoffiziere in Syrien und im Libanon. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung hat Angst vor einer Ausweitung des Kriegs. Sollte Iran allerdings von den USA oder Israel direkt angegriffen werden, dürfte sich das Volk auf die Seite des Regimes schlagen. Das war auch im Sommer 1980 so, als der Iraker Saddam Hussein den Iran angriff. Den Überfall hatte Khomeini damals als ein „Geschenk Gottes“bezeichnet, weil er zu einer markanten Stabilisierung der noch jungen Islamischen Republik führte.