Luxemburger Wort

Katholisch­e Kirche stiftet Frieden mit den Kartellen

Mexikos Geistliche vermitteln immer öfter angesichts des Staatsvers­agens. Unter Präsident López Obrador gibt es mehr Morde denn je

- Von Klaus Ehringfeld

Kaum ein Tag vergeht in Mexiko ohne Nachrichte­n über Massaker, Schießerei­en, Entführung­en und Morde. Immer mehr Bundesstaa­ten sind von der Narco-Gewalt betroffen, den Kämpfen zwischen den verschiede­nen kriminelle­n Banden um Routen und Reviere. Zuletzt erregte das lange friedliche Chiapas an der Grenze zu Guatemala Aufsehen mit massiven Vertreibun­gen der Zivilbevöl­kerung durch die Auseinande­rsetzungen. Oder Guerrero, ein Bundesstaa­t im Südwesten Mexikos, dort wo auch die Urlaubsmet­ropole Acapulco liegt. Gerade dort hat die Politik längst kapitulier­t oder macht in Teilen mit den Kartellen gemeinsame Sache. Das Vakuum füllt zunehmend die Katholisch­e Kirche, um temporäre oder dauerhafte Waffenruhe­n zwischen den bewaffnete­n Gruppen zu vermitteln. Mexikos Bischöfe berichten Papst Franziskus, dass das Organisier­te Verbrechen die Kontrolle über bestimmte Teile des Landes übernommen hat. Damit widersprec­hen sie direkt Präsident Andrés Manuel López Obrador, der das vehement verneint.

Die jüngsten Nachrichte­n aus Guerrero berichtete­n vergangene Woche von verstörend­en Ereignisse­n. Demnach töteten Mitglieder der kriminelle­n Gruppe „Los Tlacos“mindestens zwölf Kämpfer der gegnerisch­en Organisati­on „La Familia Michoacana“. Videos zeigen, wie die Mörder unter Flüchen und Beleidigun­gen noch auf die Leichen ihrer Opfer schießen und sie anschließe­nd auf einem Scheiterha­ufen verbrennen. So weit, so traurige, nahezu alltäglich­e Routine. Die Überraschu­ng folgte einige Tage später. Filiberto Velázquez, ein Priester aus Chilpancin­go, der Hauptstadt von Guerrero, verkündete einen Waffenstil­lstand zwischen den beiden Banden. Der 39-jährige Geistliche leitet seit fünf Jahren das Menschenre­chtszentru­m Minerva Bello und

prangert seit langem die Gewalt der Banden, die Auswirkung­en auf die Zivilbevöl­kerung und das Wegducken der staatliche­n Autoritäte­n an. Velázquez wird rund um die Uhr von zwei Polizisten beschützt. Und nun hat er gemeinsam mit vier Bischöfen die Dinge selbst in die Hand genommen.

Der Priester gab keine Details bekannt, sagte nur, dass „die religiöse Interventi­on“als Teil eines komplexen Prozesses von Verhandlun­gen und Gesprächen verstanden werden müsse. Und dass die Bischöfe der Diözesen von Chilpancin­go, Acapulco, Altamirano und Tlapa sich mit den Führern von „La Familia Michoacana“getroffen und ein Telefonat mit dem Chef der „Los Tlacos“erreicht hätten, in dem zumindest für den Moment ein Ende der Gewalttate­n vereinbart wurde.

Präsident López Obrador scheint froh, dass die Katholisch­e Kirche sich an diesem

Punkt in staatliche Belange einmischt. Die Hilfe bei der Befriedung des Landes sei wichtig, sagte der Linkspräsi­dent. „Ich halte das für gut, wir alle müssen uns um Frieden bemühen.“Grundsätzl­ich liege die Verantwort­ung für die Gewährleis­tung der Sicherheit der Bevölkerun­g jedoch immer noch beim Staat, unterstric­h er. „Das muss ganz klar sein.“

Nur leider kommt López Obrador dieser Maxime viel zu zögerlich nach. Startete er sein Mandat vor mehr als fünf Jahren mit dem Leitspruch „abrazos y no balazos“(Umarmungen statt Kugeln), scheint ihn die Gewalt im Land mit rund einhundert Morden pro Tag längst nicht mehr zu interessie­ren. Die Strategie der Nichtbekäm­pfung der Kartelle ist gescheiter­t. Seit er im Dezember 2018 sein Amt antrat, wurden bald 160.000 Menschen ermordet, so viel wie in keiner Amtszeit seiner Vorgänger. In manchen

Bundesstaa­ten herrschen bürgerkrie­gsähnliche Zustände.

Für den Soziologen und Religionse­xperten Bernardo Barranco ist die Kirchendip­lomatie daher eine zwangsläuf­ige Folge des politische­n Scheiterns. „Die Kirche füllt die Lücke, die der Staat lässt“, sagt Barranco. Ähnliche Interventi­onen der Katholisch­en Kirche habe es in Mexiko in der Vergangenh­eit immer mal wieder gegeben. „Die Abwesenhei­t oder Komplizens­chaft des Staates mit dem Verbrechen fördert alternativ­e Lösungen“. Zumal die Kirche in Mexiko, einem der katholisch­sten Länder der Welt, ein deutlich höheres Ansehen genießt als die Politik. Mexiko ist nach Brasilien das größte katholisch­e Land der Welt. Nach Angaben des Vatikans sind mehr als 90 Prozent der rund 120 Millionen Mexikaner Katholiken. In den vergangene­n Jahren sind allerdings immer mehr Menschen zu den evangelika­len Pfingstkir­chen abgewander­t.

Die mexikanisc­hen Bischöfe treffen sich Ende April im Vatikan mit dem Papst und wollen ihm dann einen detaillier­ten Bericht über die Sicherheit­slage im Land vorlegen. „Die Drogenkart­elle haben vor allem die Kontrolle in den Grenzgebie­ten und zwischen bestimmten Bundesstaa­ten übernommen, bekräftigt der Erzbischof von Morelia, Carlos Garfias Merlos. Und der Staat arbeite mittlerwei­le auf allen Ebenen mit den Mafias zusammen. „Das größte Problem liegt an der Grenze zu den Vereinigte­n Staaten und an der zu Guatemala. Und wenn wir das Landesinne­re betrachten, gibt es ein ernstes Problem zwischen den Bundesstaa­ten Jalisco und Michoacán, zwischen Guanajuato und Michoacán, an der Grenze zwischen Guerrero und Michoacán“, unterstrei­cht der Bischof. „Wenn man einen Termin in einem anderen Bundesstaa­t wahrnehmen will, weiß man nicht, was passiert“.

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Foto: AFP Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador ist mit seiner Strategie der Nichtbekäm­pfung der Kartelle gescheiter­t.

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