Katholische Kirche stiftet Frieden mit den Kartellen
Mexikos Geistliche vermitteln immer öfter angesichts des Staatsversagens. Unter Präsident López Obrador gibt es mehr Morde denn je
Kaum ein Tag vergeht in Mexiko ohne Nachrichten über Massaker, Schießereien, Entführungen und Morde. Immer mehr Bundesstaaten sind von der Narco-Gewalt betroffen, den Kämpfen zwischen den verschiedenen kriminellen Banden um Routen und Reviere. Zuletzt erregte das lange friedliche Chiapas an der Grenze zu Guatemala Aufsehen mit massiven Vertreibungen der Zivilbevölkerung durch die Auseinandersetzungen. Oder Guerrero, ein Bundesstaat im Südwesten Mexikos, dort wo auch die Urlaubsmetropole Acapulco liegt. Gerade dort hat die Politik längst kapituliert oder macht in Teilen mit den Kartellen gemeinsame Sache. Das Vakuum füllt zunehmend die Katholische Kirche, um temporäre oder dauerhafte Waffenruhen zwischen den bewaffneten Gruppen zu vermitteln. Mexikos Bischöfe berichten Papst Franziskus, dass das Organisierte Verbrechen die Kontrolle über bestimmte Teile des Landes übernommen hat. Damit widersprechen sie direkt Präsident Andrés Manuel López Obrador, der das vehement verneint.
Die jüngsten Nachrichten aus Guerrero berichteten vergangene Woche von verstörenden Ereignissen. Demnach töteten Mitglieder der kriminellen Gruppe „Los Tlacos“mindestens zwölf Kämpfer der gegnerischen Organisation „La Familia Michoacana“. Videos zeigen, wie die Mörder unter Flüchen und Beleidigungen noch auf die Leichen ihrer Opfer schießen und sie anschließend auf einem Scheiterhaufen verbrennen. So weit, so traurige, nahezu alltägliche Routine. Die Überraschung folgte einige Tage später. Filiberto Velázquez, ein Priester aus Chilpancingo, der Hauptstadt von Guerrero, verkündete einen Waffenstillstand zwischen den beiden Banden. Der 39-jährige Geistliche leitet seit fünf Jahren das Menschenrechtszentrum Minerva Bello und
prangert seit langem die Gewalt der Banden, die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung und das Wegducken der staatlichen Autoritäten an. Velázquez wird rund um die Uhr von zwei Polizisten beschützt. Und nun hat er gemeinsam mit vier Bischöfen die Dinge selbst in die Hand genommen.
Der Priester gab keine Details bekannt, sagte nur, dass „die religiöse Intervention“als Teil eines komplexen Prozesses von Verhandlungen und Gesprächen verstanden werden müsse. Und dass die Bischöfe der Diözesen von Chilpancingo, Acapulco, Altamirano und Tlapa sich mit den Führern von „La Familia Michoacana“getroffen und ein Telefonat mit dem Chef der „Los Tlacos“erreicht hätten, in dem zumindest für den Moment ein Ende der Gewalttaten vereinbart wurde.
Präsident López Obrador scheint froh, dass die Katholische Kirche sich an diesem
Punkt in staatliche Belange einmischt. Die Hilfe bei der Befriedung des Landes sei wichtig, sagte der Linkspräsident. „Ich halte das für gut, wir alle müssen uns um Frieden bemühen.“Grundsätzlich liege die Verantwortung für die Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung jedoch immer noch beim Staat, unterstrich er. „Das muss ganz klar sein.“
Nur leider kommt López Obrador dieser Maxime viel zu zögerlich nach. Startete er sein Mandat vor mehr als fünf Jahren mit dem Leitspruch „abrazos y no balazos“(Umarmungen statt Kugeln), scheint ihn die Gewalt im Land mit rund einhundert Morden pro Tag längst nicht mehr zu interessieren. Die Strategie der Nichtbekämpfung der Kartelle ist gescheitert. Seit er im Dezember 2018 sein Amt antrat, wurden bald 160.000 Menschen ermordet, so viel wie in keiner Amtszeit seiner Vorgänger. In manchen
Bundesstaaten herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände.
Für den Soziologen und Religionsexperten Bernardo Barranco ist die Kirchendiplomatie daher eine zwangsläufige Folge des politischen Scheiterns. „Die Kirche füllt die Lücke, die der Staat lässt“, sagt Barranco. Ähnliche Interventionen der Katholischen Kirche habe es in Mexiko in der Vergangenheit immer mal wieder gegeben. „Die Abwesenheit oder Komplizenschaft des Staates mit dem Verbrechen fördert alternative Lösungen“. Zumal die Kirche in Mexiko, einem der katholischsten Länder der Welt, ein deutlich höheres Ansehen genießt als die Politik. Mexiko ist nach Brasilien das größte katholische Land der Welt. Nach Angaben des Vatikans sind mehr als 90 Prozent der rund 120 Millionen Mexikaner Katholiken. In den vergangenen Jahren sind allerdings immer mehr Menschen zu den evangelikalen Pfingstkirchen abgewandert.
Die mexikanischen Bischöfe treffen sich Ende April im Vatikan mit dem Papst und wollen ihm dann einen detaillierten Bericht über die Sicherheitslage im Land vorlegen. „Die Drogenkartelle haben vor allem die Kontrolle in den Grenzgebieten und zwischen bestimmten Bundesstaaten übernommen, bekräftigt der Erzbischof von Morelia, Carlos Garfias Merlos. Und der Staat arbeite mittlerweile auf allen Ebenen mit den Mafias zusammen. „Das größte Problem liegt an der Grenze zu den Vereinigten Staaten und an der zu Guatemala. Und wenn wir das Landesinnere betrachten, gibt es ein ernstes Problem zwischen den Bundesstaaten Jalisco und Michoacán, zwischen Guanajuato und Michoacán, an der Grenze zwischen Guerrero und Michoacán“, unterstreicht der Bischof. „Wenn man einen Termin in einem anderen Bundesstaat wahrnehmen will, weiß man nicht, was passiert“.