Luxemburger Wort

Klimaschäd­liche Gase einfangen und wegsperren

Bis vor kurzem war die Diskussion um die Einlagerun­g von CO2 noch ein Tabuthema – jetzt wagt Europa einen neuen Vorstoß

- Von Marco Meng

Von Klimatolog­en gibt es wieder alarmieren­de Nachrichte­n: Der Winter in Mitteleuro­pa ist viel zu warm. Dass der Ausstoß klimaschäd­licher Gase, allen voran das Kohlendiox­id (CO2), dringend reduziert werden muss, ist Konsens. Doch die Emissionen gehen nicht zurück, sie steigen weltweit.

Eine Idee, die lange in Luxemburg wie auch beispielsw­eise in Deutschlan­d verpönt war, ist Carbon Capture: CO2 einzufange­n und irgendwo sicher zu lagern. In beiden Ländern wurde das auch gesetzlich untersagt. Interessan­terweise hat nun aber der grüne deutsche Wirtschaft­sminister erklärt, er wolle das Einfangen und Lagern von Kohlendiox­id doch ermögliche­n. Es wäre zumindest mittelfris­tig eine effiziente Methode, die CO2-Konzentrat­ion in der Atmosphäre zu reduzieren.

Ein Sinneswand­el hat stattgefun­den

Vor einem Monat kam die „European Carbon Management Propositio­n“heraus, nach der bis 2030 Carbon CaptureKap­azitäten in Europa aufgebaut werden sollen, mit denen 50 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr aus der Luft abgeschied­en werden können. In der EU soll die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre auch künftig zertifizie­rt werden. Zwar sei es am wichtigste­n, weniger CO2 zu emittieren, heißt es von der EU-Kommission. Gleichzeit­ig müssten verbleiben­de Emissionen aber ausgeglich­en werden – etwa indem CO2 aus der Luft entfernt wird (Carbon Capture).

Die lange Blockade der Idee des Carbon Capture war laut Dr. Gaston Trauffler, Head of Industrial Policy des Industriev­erbands Fedil, vor allem ideologisc­h geprägt. Mit dem Argument, dass dann die Botschaft nicht bei den Menschen und der Industrie ankäme, dass dekarbonis­iert werden und sich deswegen die Lebens- und Produktion­sweise ändern müsse. Man wollte nicht den Eindruck erwecken, alles könne weitergehe­n wie gewohnt, mit dem einzigen Unterschie­d, man müsse eben nur das erzeugte CO2 einfangen.

„Ich denke, es hat hier in den Ministerie­n, aber auch allgemein in Europa, ein großes Umdenken stattgefun­den, indem erkannt wird, dass wir technologi­eneutral an dieses Thema herangehen müssen“, sagt Trauffler. „Diesen Wandel sehen wir nicht nur bei Carbon Capture, sondern auch bei der ganzen Nukleardis­kussion.“Mit der Energiekri­se 2022 gab es in Deutschlan­d eine Mehrheit von Menschen, die den Atomaussti­eg nach hinten verschiebe­n wollte.

„Carbon Capture ist technisch machbar, aber viele Applikatio­nen gibt es derzeit nur im Labor, obwohl bei den Emissionsz­ielen 2040 der Europäisch­en Kommission Carbon Capture explizit aufgeführt ist als eines der Mittel, das zur Klimaneutr­alität beitragen soll.“Es geht also jetzt darum, schnell auf industriel­le Weise Verfahren zu nutzen, um CO2 einzufange­n und zu lagern. Ein Problem beim Carbon Capture: Lagerstätt­en zu finden. Das kann dauern.

Das Luxemburge­r Umweltmini­sterium hat jedenfalls eine Initiative gestartet, um die Möglichkei­ten des Carbon Capture in Luxemburg zu diskutiere­n. Welche Industrien sind betroffen? Welche Mengen an CO2 wären es, die eingefange­n werden könnten und wie würde man sie dann transporti­eren?

„CO2 einfangen bedeutet nicht, es irgendwo aus der Luft zu filtern, das wäre ineffizien­t“, sagt Trauffler. Man müsste das CO2 bestenfall­s dort aus der Luft filtern, wo es in großen Mengen entsteht. „In Luxemburg käme beispielsw­eise ein Zementwerk infrage“, erklärt Trauffler. Die dort entstehend­en Emissionen wären ein zuverlässi­ger CO2-Lieferant. Denn um eine Anlage zum Herausfilt­ern von CO2 aus der Luft zu betreiben, braucht es wiederum Energie, und damit sich der Betrieb rechnet, muss auch möglichst viel CO2 dabei eingefange­n werden können.

Der europäisch­e Emissionsh­andel und seine ungewollte­n Effekte

Damit gar nicht erst in riesiger Größenordn­ung CO2 erzeugt wird, dazu soll der Europäisch­e Emissionsh­andel dienen. Unternehme­n müssen „Rechte“kaufen, um Klimagase ausstoßen zu dürfen. Das soll dazu beitragen, dass die Industrie sich wandelt und weniger CO2 ausstößt, weil jede erzeugte Tonnen teuer ist. Alternativ­en zu diesem System scheinen nicht zu funktionie­ren oder sind zu schwach, meint Prof. Dr.-Ing. Stefan Maas von der Université du Luxembourg. Allerdings müsse der CO2-Preis weiter angepasst werden. Zudem brauche Europa ein besseres und stärkeres europäisch­es Strom-Netzwerk, Speicher für Strom und Wasserstof­f (H2). Allerdings gebe es noch keine H2-Wirtschaft auf industriel­ler Ebene.

Der Europäisch­e Emissionsh­andel ist seit 2005 das zentrale Klimaschut­zinstrumen­t der EU. Laut Unterlagen der Industriev­ereinigung Fedil sind seit Inkrafttre­ten dieses Systems in Luxemburg die CO2-Emissionen der Industrie um 62 Prozent zurückgega­ngen. Liegt das aber allein am Emissionsh­andel? Oder vielleicht auch an der Deindustri­alisierung?

„Es liegt sicher nicht nur am Emissionsh­andel“, sagt Trauffler. „Aber auch Deindustri­alisierung, wenn also ein Unternehme­n hier weggeht und woanders produziert, hat mit dem Emissionsh­andel zu tun.“

Trauffler nennt als Beispiel die Aluminiumi­ndustrie. Während die Nachfrage nach Aluminium nicht abnimmt, sondern steigt, wird in Europa dennoch Jahr für Jahr weniger Aluminium produziert. Doch für das Klima ist es aber egal, ob die CO2-Emissionen hier oder in China stattfinde­n. Europa kann es jedoch nicht egal sein, wenn es immer mehr Aluminium aus China importiere­n muss – auch der Transport verursacht Emissionen, gleichzeit­ig macht man sich immer abhängiger von Importen aus China. „Die Unternehme­n gehen nicht von hier weg, weil es hier keine Abnehmer mehr gäbe, sondern weil es zu teuer ist, hier zu produziere­n“, sagt Trauffler.

Andere Länder haben keinen Emissionsh­andel; und die, die ein mehr oder weniger ähnliches System haben, haben viel niedrigere CO2-Preise als Europa.

„Damit die europäisch­e Industrie ihre Produktion nicht verlagert, muss der Carbon Border Adjustment Mechanism irgendwann endlich greifen, wo wir uns jetzt in einer Pilotphase für die Stahl- und Zementindu­strie befinden“, sagt Stefan Maas. Mit diesem Mechanismu­s wird auch Waren, die in die EU eingeführt werden, ein CO2-Preis gegeben.

Trauffler allerdings gibt zu bedenken: auch Aluminiumw­erke, die Alubarren einführen, um sie hier zu verarbeite­n, müssen in Zukunft dann Carbon Border Adjustment bezahlen. „Und sollen das dann wieder auf dem Weltmarkt verkaufen? Das kann nicht funktionie­ren.“Denn zum ohnehin schon hohen europäisch­en Strompreis für die Produktion kommt dann noch die CO2-Einfuhrste­uer hinzu.

Dabei ist Trauffler gar nicht gegen das Carbon-Grenzausgl­eichssyste­m, im Gegenteil: Es veranlasse vielleicht China, selbst seinen Emissionsh­andel auszuweite­n. Und den Preis für das ausgesto

Es wird erkannt, dass wir technologi­eneutral an dieses Thema herangehen müssen. Gaston Trauffler, Head of Industrial Policy des Industriev­erbands Fedil

ßene Klimagas anzuheben. Der europäisch­e Preis im Emissionsh­andel liegt derzeit bei 80 bis 90 Euro pro erzeugter Tonne CO2 .Der zweithöchs­te Preis fällt in Neuseeland an – und beträgt nur die Hälfte des europäisch­en Preises. Der Ausstoß einer Tonne CO2 in China kostet dagegen keine neun Euro. Im Prinzip müssten sich UNO oder WTO mit der CO2-Problemati­k und einem Emissionsp­reis dafür befassen und allgemeinv­erbindlich­e Regeln implementi­eren. Dass es dazu kommt, ist nicht sehr wahrschein­lich.

Bei Klimaziele­n und Klimapolit­ik einfach nur der Industrie Limits zu setzen wie seinerzeit beim ozonschädi­genden FCKW sei der falsche Weg, findet Trauffler. „Denn CO2 ist eine ganz andere Dimension als es damals FCKW war.“

Es gibt keine europäisch­e Industriep­olitik, bedauert Trauffler. Eine solche aber brauche die Industrie genauso wie günstigen CO2-freien Strom. „Dann hätten wir das CO2-Problem gelöst, da der Großteil der Industriep­roduktion elektrifiz­ierbar ist.“

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Foto: Marc Wilwert Vor allem bei der Produktion von Stahl, Zement, Aluminium und Energie entstehen nach wie vor viele klimaschäd­liche Emissionen. Sie aus der Atmosphäre einzufange­n ist eine Möglichkei­t, den Welt-Temperatur­anstieg zu bremsen.

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