Luxemburger Wort

Serbien geht hart gegen Kreml-Kritiker vor

Belgrad und Moskau unterhalte­n schon lange enge Beziehunge­n zueinander. Daran änderte auch der Einmarsch in die Ukraine nichts

- Von Markus Schönherr

„Der Mörder heißt Putin“, „Frieden für die Ukraine, Freiheit für Russland“. Über ihren Bannern schwenkten die Demonstran­ten die Flaggen der Ukraine und der EU. Dabei waren es Russen, die in den vergangene­n Tagen auf die Straßen von Novi Sad gingen und in Belgrad ein Kerzenmeer für den Kremlkriti­ker Alexei Nawalny entzündete­n. Jedoch wird der Spielraum für russische Regierungs­gegner in Serbien immer enger: Die Regierung ihres Gastgeberl­andes ist ein enger Verbündete­r Putins.

Wiederholt geriet Serbien in den vergangene­n zwei Jahren in die internatio­nale Kritik, da Belgrad keine Sanktionen gegen Russland erließ. Die Hauptstadt hat sich seither zu einer beliebten Urlaubsdes­tination und einem Refugium für Russen entwickelt – ironischer­weise auch für Kreml-Kritiker. „Heute leben viele russische Migranten in Serbien, darunter auch Vertreter der Zivilgesel­lschaft und der Opposition“, erzählt der Politologe Nikola Burazer in Belgrad. Während nach Beginn des russischen Angriffskr­iegs auch Ukrainer in das Westbalkan-Land flohen, seien Russen in Anzahl und Sichtbarke­it deutlich voran. „Ukrainisch­e Flüchtling­e hatten viele Möglichkei­ten, darunter EU-Mitgliedss­taaten, russische Migranten nicht.“

EU-Beitritt in weiter Ferne

Eine politische Irrfahrt – so beurteilen einige Beobachter die Außenpolit­ik von Serbiens Präsidente­n Aleksandar Vucic. Während er selbst Neutralitä­t beanspruch­e, strebe er für das Westbalkan-Land eine EU-Mitgliedsc­haft an und unterhalte gleichzeit­ig gute Beziehunge­n zu China und Russland. Zwar betonte der starke Mann in Belgrad, dass die Beziehung zu Russland nach Nawalnys Tod „schwierige­r“werde. Doch fast im gleichen Atemzug lehnte er eine Sanktionie­rung des Verbündete­n ab. „Das ist typisch für Vucic. Er sagt das, was man sowohl in Moskau als auch in Brüssel und Berlin hören will“, erzählt der Balkanexpe­rte Dušan Reljic.

Mitte Februar, an Serbiens Nationalfe­iertag, präsentier­te Vucic seinem Volk ein neues Militärars­enal: Ein Drohnenabw­ehrsystem, Panzer, Raketen, angeschaff­t aus Moskau. Für die Exil-Russen muss es wie ein Schlag gewesen sein. „Es gibt Berichte, wonach die serbischen Behörden sie administra­tiv schikanier­en oder im Interesse Russlands sogar ausspionie­ren“, erzählte Politologe Burazer diese Woche. Am selben Tag berichtete die Nachrichte­nagentur AP von einer Russin in Belgrad, deren Aufenthalt­sgenehmigu­ng aufgehoben wurde, nachdem sie eine Petition gegen den Ukraine-Angriff unterschri­eben hatte. So erging es laut der Russisch-Demokratis­chen Gesellscha­ft zuletzt immer mehr kritisch denkenden Russen in Belgrad. Ein Vertreter des Diaspora-Vereins sei wegen der fortdauern­den Schwierigk­eiten nach Deutschlan­d geflohen.

Seit 2012 ist Serbien ein EU-Beitrittsk­andidat. In den vergangene­n Wochen ist die Aufnahme aber wieder in weite Ferne gerückt – und das nicht nur wegen des engen Verhältnis­ses zu Russland und China. Auch innenpolit­isch driftet Belgrad immer mehr von Brüssel ab. Bei den

Parlaments- und Lokalwahle­n im Dezember soll es zu Stimmenkau­f und Einschücht­erung gekommen sein, ganz zu schweigen von den regierungs­nahen Propaganda-Medien, in denen Vucic den Serben inzwischen fast täglich die Welt erklärt. Das EU-Parlament forderte eine unabhängig­e Untersuchu­ng. Ebenfalls noch ausständig ist die staatliche Anerkennun­g des Kosovos, die als Voraussetz­ung für Serbiens EU-Beitritt gilt. 2008 hatte der Kosovo seine Unabhängig­keit ausgerufen. Belgrad betrachtet diesen immer noch als serbische Provinz.

Serbiens Russland-Kurs sorgt für Streit in der Region

Kann Vucic seinen Kurs in einer zusehends polarisier­ten Welt noch lange fortsetzen, sowohl Russland als auch dem Westen Freundscha­ft vorgaukeln? Darauf hat Außenpolit­ikexperte Reljic schnell die passende Gegenfrage parat: „Was würde ihn daran hindern?“Vonseiten der EU gebe es keine feste Zusage über einen Beitritt und selbst Gelder, die über den Fonds für die Annäherung an die EU versproche­n wurden, seien kein ernstes Druckmitte­l. Wirtschaft­lich könne sich Serbien auch gut ohne die Hilfe aus Brüssel über Wasser halten. Zudem werde es sich Vucic nicht mit gleich zwei Veto-Mächten des UN-Sicherheit­srats verscherze­n, solange der Kosovo-Streit ungelöst bleibt: „Ein gutes Verständni­s mit Peking und Moskau ist von größter Bedeutung“, so Reljic.

Politologe Burazer verweist zudem auf die politische­n Zugeständn­isse, mit denen Vucic die EU hinhält: Seine Stimme bei UN-Resolution­en und mutmaßlich­e Waffenlief­erungen an die Ukraine. „Solange Serbien nicht dabei hilft, Russlands Außenpolit­ik voranzutre­iben, bleibt das für alle Beteiligte­n eine hinnehmbar­e Situation.“

Für Streit hingegen sorgt Serbiens Russland-Kurs in der Region, ausgerechn­et mit dem jungen EU-Mitglied Kroatien. Nachdem er Vucic als „russischen Satelliten“bezeichnet hatte, betonte der Zagreber Außenminis­ter Gordan Grlic Radman: „Wir werden keinen russischen oder anderen böswillige­n Einfluss erlauben, der die Stabilität des Westbalkan­s gefährdet.“Aus Belgrad folgte daraufhin neben einer offizielle­n Protestnot­e auch eine Erinnerung von Außenminis­ter Ivica Dacic Kroatien solle nicht vergessen, dass es selbst mal der Lakai des österreich­ischen Kaisers und Hitlerdeut­schlands gewesen sei.

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Foto: AFP Am zweiten Jahrestag der russischen Invasion der Ukraine nahmen Tausende an einem Solidaritä­tsmarsch in der serbischen Hauptstadt Belgrad teil.

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