„Die Leute hier sind hilfsbereit und offen“
Vor zwei Jahren ist die zehnköpfige Familie aus der Ukraine geflohen und lebt jetzt an der Mosel. Die Jüngeren fanden im Handumdrehen einen Job
An der Fassade des alten Winzerhauses in Bech-Kleinmacher wehen die ukrainische und die luxemburgische Fahne im Wind. Seit knapp zwei Jahren wohnen hier Anna und Natalia mit ihren Familien, nicht weit weg von der Mosel und mit Blick auf die Weinberge. „Wir fühlen uns hier wohl, haben genug Platz, und die Luxemburger haben uns freundlich empfangen“, sagt Anna.
Die 45-Jährige hat auf bei der Flucht vor dem Krieg ihre drei erwachsenen Kinder mit nach Luxemburg gebracht, Natalia ist mit ihrer 17-jährigen Tochter Karina und Sohn Denys gekommen. Die zwei Familien sind miteinander verschwägert. Mit dazu gehören außerdem drei kleine Kinder, die die Krippe in der Gemeinde Schengen besuchen.
In den Wochen vor dem Einzug hatten Freiwillige und Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung im Eiltempo das zuvor leer stehende Sünnen-Haus renoviert und dort die Holzfenster abgedichtet, das Bad erneuert und alles gestrichen. Kein Luxus, aber ein Platz, wo die zehn Ukrainer in Frieden leben können.
Wenn Natalia von ihrer Flucht erzählt, ist ihr noch immer der Schrecken anzumerken. Ihre Familie kommt aus Charkiv nahe der russischen Grenze. „Gleich in den ersten Tagen des Krieges hat die russische Armee angefangen, die Häuser zu zerstören“, erzählt sie. „Wir mussten drei Wochen in einem Luftschutzraum im Keller verbringen. Wir hatten Angst, denn wir wussten nicht, ob das Haus den Beschuss aushalten würde.“
Natalias Mann, ein Bauarbeiter, blieb in Charkiv, der Rest der Familie entschloss sich zur Flucht mit dem Zug. Tochter Karina kann sich noch genau erinnern: „Zuerst war alles ruhig. Als wir dann in den Zug stiegen, begannen die Russen, den Bahnhof zu beschießen.“
Absolute Freiheit
Nach einer langen Fahrt nach Lwiw in der Westukraine wähnten sie sich zuerst in Sicherheit, doch in den ersten Kriegswochen fielen auch dort die Bomben. „Wir mussten lange in einer unterirdischen Metro-Station ausharren“, erinnert sich Karina. „Es war schrecklich. Wir hatten Angst, dass die russische Armee den Bahnhof von Lwiw zerstören würde, und wir nicht weg könnten.“
Zusammen mit Anna und ihren Kindern aus Donezk in der Ostukraine gelang ihnen die Flucht, zunächst nach Polen und dann nach Deutschland. Da es dort aber keinen Wohnraum für die vielen Erwachsenen und drei Kinder gab, reisten sie weiter nach Luxemburg. Nach einem kurzen Aufenthalt im Aufnahmezentrum in Kirchberg ging es weiter ins ehemalige Grand-Hôtel in Echternach – bis das Sünnen-Haus in Bech-Kleinmacher fertig war.
Täglich sprechen Anna und Natalia noch mit ihren Männern, die in der Ukraine geblieben sind. Natalias Mann ist auf einer Baustelle für einen Luftschutzbunker beschäftigt – denn die werden gerade gebraucht. Was war es für ein Gefühl, plötzlich ohne Männer in Luxemburg zu leben? Die zwei Frauen schauen sich an und kichern. „Die absolute Freiheit!“, rufen sie.
Zuerst Französischunterricht, dann Mittagessen
Hierzulande schätzen sie die offene Art der Luxemburger Bevölkerung. „Aufgefallen ist mir die Toleranz der Menschen“, sagt Anna. Da sie keine westliche Sprache beherrscht, ist sie bei Gesprächen mit den Nachbarn auf das Übersetzungsprogramm ihres Handys angewiesen. Ihre Töchter sprechen aber gut Französisch, die 17-jährige Karina kann sich problemlos auf Englisch verständigen.
Bei der Sprache bekamen sie zudem Unterstützung: Ernest Schumacher aus Wintringen gab ihnen jeden Sonntagvormittag einen Grundkurs in Französisch. „Wir haben immer zuerst Französisch geübt und dann zu Mittag gegessen“, erzählt der Winzer, der Russisch spricht und deshalb schnell Kontakt zu der großen Familie fand.
Gleich nach ihrer Ankunft in BechKleinmacher machten sich die Kriegsflüchtlinge auf die Suche nach einer Arbeitsstelle. Erstaunlich schnell klappte das bei den jungen Erwachsenen: „Ich bin Kosmetikerin, genau wie meine Schwester Kristina, und wir beide haben innerhalb weniger Wochen eine Stelle in einem Schönheitssalon bekommen“, berichtet Annas Tochter, die ebenfalls Natalia heißt.
Im Job hat sie Französisch gelernt und kann sich mittlerweile schon gut mit den Kundinnen unterhalten. Auch für die beiden jungen Männer, beides Bauarbeiter, war die Stellensuche leicht. Sie fanden
rasch einen Job und arbeiten nun auf einer Baustelle in Luxemburg-Kirchberg.
„Ich habe keine Angst vor den Toten“
Für die beiden über 40-jährigen Frauen war die Stellensuche schwieriger, auch weil es mit der Verständigung hapert. Nach längerer Zeit mit Gelegenheitsjobs, zum Beispiel bei der Weinlese, hat Anna jetzt eine Stelle als Reinigungskraft.
Natalia ist noch immer auf der Suche. In der Ukraine war sie ausgebildete Pathologie-Assistentin und hat in einem Krankenhaus geholfen, Leichen zu sezieren. „Ich habe keine Angst vor den Toten, es gibt auch keinen Grund dazu“, lacht sie. Natürlich ist ihr klar, dass sie in Luxemburg in ihrem Beruf wohl kaum eine Arbeit finden wird, aber sie sieht sich weiterhin nach Jobs um.
Luxemburg gewährt ukrainischen Flüchtlingen einen Schutzstatus, solange der Krieg andauert. Was danach kommt, ist noch ungewiss. Die vier erwachsenen Kinder, die hier eine feste Stelle haben, können sich vorstellen in Luxemburg zu bleiben und haben eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis beantragt. Auch die 17jährige Karina, die einen Online-Studiengang in Lebensmitteltechnik belegt hat, würde gerne im Großherzogtum bleiben. „Ich würde gerne eine Ausbildung an der Hotelschule in Diekirch anfangen, aber dafür muss ich wahrscheinlich besser in Französisch werden“, sagt sie.
Für die beiden jungen Omas Anna und Natalia ist klar: Sofort wenn der Krieg vorbei ist, möchten sie wieder zurück in die Ukraine – und wieder ihre Männer sehen. Obwohl in der Ostukraine viel zerstört ist, haben beide Familien Glück: Ihre Wohnungen sind bisher unbeschädigt geblieben.