Der radikale Dokumentarfilmer Wang Bing im Fokus des LuxFilmFests
In einer gemächlichen Eröffnungsgala ohne Glanz und Glamour stach nur der Chinese hervor. Das Luxembourg City Film Festival ehrte den Cineasten, der für seinen harten Realismus bekannt ist
Das Luxembourg City Film Festival 2024 wurde am Donnerstag mit dem Film „The Outrun“von Nora Fingscheidt im Kinepolis eröffnet. Dieser Film, der bereits im Januar beim Sundance Film Festival und im Februar bei der Berlinale lief, erzählt von Rona, einer jungen Frau, die nach ausschweifenden Jahren in London und einem schmerzhaften Absturz in den Alkoholismus in ihre Heimat zurückkehrt – die Orkneyinseln im Norden Schottlands. Bevor aber am Donnerstagabend die raue Landschaft dieses von Wind und Wetter gepeitschten Archipels auf die große Leinwand des Kinepolis kam, dümpelte die Eröffnungsgala des Festivals ganz gemächlich vor sich hin. Bevor es „Film ab!“hieß, gab es die üblichen Begrüßungsansprachen, das gegenseitige Schulterklopfen und das obligate Lächeln vor der Fotowand.
So ist halt das Luxembourg City Film Festival ohne viel Glanz und Glamour! War im Vorjahr noch Großherzog Henri bei der Eröffnungsgala präsent, so war dieses Mal keiner vom großherzoglichen Hof gekommen. Der Staatsbesuch des tschechischen Präsidenten in Luxemburg hielt die „Maison grand ducale“am selben Abend auf Trab. Und deshalb galt das Licht des ersten Festivaltags ganz alleine dem chinesischen Dokumentarfilmer Wang Bing.
Dieser ist auch das Aushängeschild des diesjährigen LuxFilmFests. Der Ratskeller der Stadt Luxemburg zeigt eine umfassende Ausstellung über sein OEuvre; er selbst gibt an diesem Samstag eine Masterclass in der Cinémathèque, wo eine Retrospektive auf sein filmisches Schaffen auch noch nach dem Festival stattfinden wird; sein jüngstes filmisches Werk „Youth“, das 2023 im Wettbewerb der Festspiele in Cannes lief und von der Luxemburger Filmgesellschaft Films Fauves koproduziert wurde, hat derweil seine Luxemburg-Premiere während des Festivals.
Wang Bing zeigt China realistisch und radikal: Wanderarbeiter, Eremiten, Todkranke, junge Menschen auf der Suche nach Arbeit. Dabei umgehen seine Filme die staatliche Zensur, indem sie nur unter dem Mantel und auf privaten DVDs kursieren. Zum Auftakt des Festivals überreichte die Festivalleitung dem Filmemacher einen Ehrenpreis für sein gesamtes Werk. Der chinesische Botschafter in Luxemburg war übrigens nicht präsent.
Das LuxFilmFest ist eine kulturelle Veranstaltung der Stadt Luxemburg – die Stadtbürgermeisterin Lydie Polfer konnte aber nicht zur diesjährigen Eröffnung gekommen. Vermutlich ebenfalls wegen des tschechischen Staatsbesuchs... Sie ließ sich vom Stadtschöffen Maurice Bauer vertreten, für den die Gala genauso eine Premiere war, wie für den neuen Kulturminister Eric Thill. Dieser hat das Filmschaffen unter seinen Fittichen, was seine
Vorgängerin nicht hatte. Eric Thill betonte, wie wichtig ihm dieses Festival sei, was auch Maurice Bauer tat, der zudem durchblicken ließ, dass die Festivalleitung um das Duo Alexis Juncosa und Gladys Lazareff endlich auch ein zeitgemäßes Headquarter in der Stadt Luxemburg bekommen wird. Bis zur 15. Auflage des Festivals im kommenden Jahr sollte dieses Problem gelöst sein.
„Sie werden lachen, weinen, trauern, nachdenken ...“
Der beste Redner am Abend aber war eindeutig der Festivalvorsitzende Georges Santer, der als gewiefter Ex-Diplomat mit seinen akzentfreien Sprachkenntnissen vom Französischen ins Englische und dann nochmals ins Deutsche jonglierte. Er hob die Bedeutung des Films und des Festivals in der Gesellschaft hervor und brachte dabei seine Ansprache auf ein intellektuelles Niveau, das den Ansprüchen dieses Festivals auch gerecht wurde. Das LuxFilmFest ist ein Panorama-Festival; es werden keine Blockbuster gezeigt, auch nicht im Off-Programm, dafür aber Filme, die versuchen, die Welt, in der wir leben, kritisch zu reflektieren und die Menschen zu bewegen.
Zur Eröffnung des Festivals wurde auch gerade deswegen „The Outrun“gezeigt, eine Geschichte der Resilienz durch die Kraft gewaltiger Natur. Zum Abschluss des Festivals läuft dann „Love Lies Bleeding“von Rose Glass, ein Film über eine Amour fou zwischen zwei Sportlerinnen und zugleich ein Befreiungsschlag für das lesbische Kino. Und dazwischen gibt es eine ganze Reihe von Filmen in unterschiedlichen Sparten, zu allen erdenklichen Themenbereichen und vor allem aus allen Kulturen. „Sie werden lachen, weinen, trauern, nachdenken …“, versprach der Festivalpräsident.
Santer verwies noch auf zwei Dinge, die ihm und dem Festival besonders wichtig sind: Einerseits die Medienerziehung des jungen Publikums in einer Zeit des Deepfakes, eine Mission, die sich das Festival gegeben hat. Anderseits der VR-Pavillon, organisiert vom Film Fund Luxembourg in Neimënster, wobei der Redner das dort gezeigte VR-Werk „Letters from Drancy“von Darren Emerson besonders erwähnte. Der Zuschauer begleitet darin Marion Deichmann auf ihrer waghalsigen Kindheitsreise während des Zweiten Weltkrieges über die Grenzen Nordeuropas und erlebt ihre schmerzhafte Trennung von ihrer Mutter Alice, ihre Flucht vor den Nazis mithilfe der französischen Résistance in Paris und ihr Überleben am D-Day in der Normandie. Marions Geschichte ist eine Geschichte voller Emotionen, Verlust und Sehnsucht, aber letztlich auch voller Liebe, die jetzt ganz eindrucksvoll über Virtual Reality geteilt werden kann. Am kommenden Montag, dem 4. März, ist Marion Deichmann in Neimënster und wird sich dort in einer Konferenz um 19 Uhr mit dem Historiker Denis Scuto unterhalten. Der Eintritt zu dieser Veranstaltung ist frei, eine Anmeldung ist erwünscht.