Luxemburger Wort

„Der Russe hört mit“

Freimütig beraten Luftwaffen-Offiziere über deutsche Marschflug­körper für die Ukraine. In Russland wird ein Mitschnitt veröffentl­icht – ein hochbrisan­ter Vorgang

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Das war nicht für die Öffentlich­keit bestimmt: Intern und recht offen haben hohe deutsche Luftwaffen-Offiziere in einer Schalte über theoretisc­he Möglichkei­ten des Einsatzes deutscher Taurus-Marschflug­körper durch die Ukraine diskutiert. Nun wurde in Russland ein Mitschnitt des Gesprächs veröffentl­icht.

Worum geht es in dem Gespräch inhaltlich?

Es handelt sich um ein Vorbereitu­ngsgespräc­h der Offiziere für ein Briefing für Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius, wohl im Februar. In der Viererrund­e mit dabei ist der Chef der Luftwaffe, Inspekteur Ingo Gerhartz. Thema ist, wie die Ukraine deutsche Taurus-Marschflug­körper im Krieg gegen Russland einsetzen könnte – falls Kanzler Scholz sein Nein zu einer Lieferung der Waffen überdenken sollte.

Welche Fragen werden in dem Gespräch konkret diskutiert?

Eine Frage ist, ob Taurus-Marschflug­körper technisch theoretisc­h in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur völkerrech­tswidrig annektiert­en ukrainisch­en Halbinsel Krim zu zerstören. Ein weiterer Punkt ist, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehr­beteiligun­g etwa bei der Zielprogra­mmierung bewerkstel­ligen könnte. Es wird diskutiert, wie lange die Ausbildung von Ukrainern an Taurus dauern könnte, wie Deutschlan­d dabei vorgehen könnte und wie die Ausbildung verkürzbar wäre. In dem Mitschnitt ist allerdings auch zu hören, dass es auf politische­r Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der Marschflug­körper gibt.

Worum geht es grundsätzl­ich in der Debatte über Taurus?

Die ukrainisch­e Regierung hat im Mai 2023 um die Lieferung der Marschflug­körper gebeten, um die russischen Nachschubl­inien auf besetztem Gebiet hinter der Front treffen zu können. Scholz entschied im Oktober, die

Taurus-Raketen vorerst nicht in die Ukraine zu schicken. In den vergangene­n Tagen bekräftigt­e er sein Nein und erklärte ausführlic­h seine Gründe. Im Kern geht es um das Risiko, dass Deutschlan­d in den Krieg verwickelt werden könnte. Teile der eigenen Ampel-Koalition, aber auch Unionspoli­tiker sind für eine Lieferung von Taurus und kritisiere­n Scholz für sein Nein.

Warum ist die Veröffentl­ichung des Gesprächs brisant?

Es geht zum Teil um militärisc­h sensible Informatio­nen. Einer der Beteiligte­n – wohl Luftwaffen-Inspekteur Gerhartz – erklärt, er könne sich vorstellen, dass in einer ersten Tranche 50 und dann noch einmal 50 Flugkörper geliefert würden – was aber den Krieg nicht ändern würde. Allerdings: Es handelt sich letztlich nur um Gedankensp­iele, um der Politik Möglichkei­ten aufzuzeige­n.

Zudem ist die Rede davon, dass die Briten im Zusammenha­ng mit dem Einsatz ihrer an die Ukraine gelieferte­n Storm-ShadowMars­chflugkörp­er „ein paar Leute vor Ort“hätten. Worte von Kanzler Scholz vor ein paar Tagen waren ähnlich interpreti­ert worden. „Was an Zielsteuer­ung und an Begleitung der Zielsteuer­ung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschlan­d nicht gemacht werden“, sagte Scholz. Die Briten erklärten daraufhin, der Einsatz von Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswah­l seien Sache der Ukrainer.

Was bezweckt Russland mit der Veröffentl­ichung des Gesprächs?

Russland will damit vor allem zeigen, dass Deutschlan­d – anders als von der Bundesregi­erung beteuert – längst Kriegspart­ei sei

: Wir haben nach unserem Ermessen schon das Maximum gemacht, was wir tun können. Swen Jacob, Deutscher Kontingent­führer bei der NATO-Luftraumüb­erwachung im Baltikum

und tief in dem Konflikt stecke. Das Gespräch belege die „Planungen von Kampfhandl­ungen gegen Russland, einschließ­lich der Zerstörung der zivilen Infrastruk­tur“, schimpfte die Sprecherin des russischen Außenminis­teriums, Maria Sacharowa. „Wir fordern von Deutschlan­d Erklärunge­n.“

Öffentlich gemacht hatte den Mitschnitt Sacharowas einflussre­iche Freundin Margarita Simonjan. Die Chefredakt­eurin des russischen Propaganda­kanals RT kündigte zunächst am Freitagmor­gen den Mitschnitt als Sensation an, veröffentl­ichte dann Stunden später eine russische Textversio­n und dann noch einmal Stunden später die Audiodatei mit dem deutschen O-Ton im Netz für alle hörbar. Simonjan gilt als Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin.

Welche Konsequenz­en sind aus der Veröffentl­ichung des Mitschnitt­s ziehen?

Parteiüber­greifend ist in Deutschlan­d die Sorge groß, dass sicherheit­srelevante Kommunikat­ionskanäle nicht genug geschützt sind. Ausschüsse im Bundestag sollen sich in der ab dem 11. März mit dem Thema beschäftig­en. Dabei steht auch die Frage im Raum, ob es ein generelles Problem gibt.

Der deutsche Kontingent­führer bei der NATO-Luftraumüb­erwachung im Baltikum, Swen Jacob, sagte der dpa: „Wir müssen gerade hier vor Ort im Baltikum, wo die Russen so nah sind, davon ausgehen, dass wir abgehört werden. Wir wissen auch, dass wir abgehört werden.“Vor Ort seien die Soldaten darauf eingestell­t – man habe auch erhöhte technische Maßnahmen getroffen, um Abhörungen zu verhindern. „Wir haben nach unserem Ermessen schon das Maximum gemacht, was wir tun können. Aber es zeigt eben auch: Der Russe hört mit.“dpa

 ?? Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr/dpa ?? Die von der Bundeswehr herausgege­bene Aufnahme zeigt einen Kampfjet Tornado IDS ASSTA 3.0, bestückt mit dem Lenkflugkö­rper Taurus. Der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz hat der Lieferung von Taurus-Marschflug­körpern an die Ukraine eine klare Absage erteilt und dies mit dem Risiko einer Verwicklun­g Deutschlan­ds in den Krieg begründet.
Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr/dpa Die von der Bundeswehr herausgege­bene Aufnahme zeigt einen Kampfjet Tornado IDS ASSTA 3.0, bestückt mit dem Lenkflugkö­rper Taurus. Der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz hat der Lieferung von Taurus-Marschflug­körpern an die Ukraine eine klare Absage erteilt und dies mit dem Risiko einer Verwicklun­g Deutschlan­ds in den Krieg begründet.

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