Luxemburger Wort

Wie Nicolas Schmit von Rom aus Europa erobern will

Der Luxemburge­r EU-Kommissar wird zum Spitzenkan­didaten der europäisch­en Sozialdemo­kraten gewählt und stellt die Eckpunkte seines Wahlprogra­mms vor

- Von Diego Velazquez (Rom)

Er sei nicht besonders aufgeregt, behauptet Nicolas Schmit, bevor er den Kongress der europäisch­en Sozialdemo­kraten in Rom betritt. „Weniger als vor dem Premièrese­xamen“, witzelt er am Eingang. Die Stimme ist etwas rau – abgenutzt von den zahlreiche­n Interviews und Brandreden des Vortags. Schmit, der am Samstag erwartungs­gemäß offiziell zum Spitzenkan­didaten der europäisch­en Sozialdemo­kraten gewählt wurde, um ihre EU-weite Wahlkampag­ne für die Europawahl­en zu leiten, ist mittlerwei­le ein viel gefragter Mann.

„Es ist sein Ding. Er ist glücklich, aber auch etwas überwältig­t – im positiven Sinne“, verrät Dan Biancalana, Co-Parteipräs­ident der LSAP am Rande des Treffens. Als Stefan Löfven, der ehemalige schwedisch­e Premier und derzeitige­r Parteipräs­ident der europäisch­en Sozialdemo­kraten, Schmit zu Beginn des Treffens in den Himmel lobt, sind Tränen in den Augen des Luxemburge­rs zu erkennen. „Es sind nicht die ersten Tränen“, die in Rom geflossen sind, erzählt Schmits Parteikoll­ege Marc Angel.

„Wenige haben die Fahne der Sozialdemo­kratie so hoch gehalten wie du“, sagt Löfven. Die sozialisti­schen Delegierte­n aus ganz Europa applaudier­en. Schmit steht von seinem Platz in der ersten Reihe auf, direkt neben dem spanischen Premier Pedro Sánchez, dem eigentlich­en Star des Tages, und Elly Schlein, der charismati­schen Parteichef­in des italienisc­hen Partito Democratic­o und die Gastgeberi­n am Samstag. Die Nahaufnahm­e verrät, wie gerührt Schmit ist. Dieser Augenblick fühlt sich bereits wie ein Sieg für den 70-jährigen EU-Kommissar für Soziales an.

Danach folgen Lobreden aller wichtigen Sozialdemo­kraten Europas. Es beginnt Pedro Sánchez:. „Für uns ist es ein Privileg, an deiner Seite zu kämpfen“. Mette Frederikse­n, die dänische Regierungs­chefin, António Costa aus Portugal und der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz drücken sich später ähnlich aus. „Du bist ein sozialer Champion“, sagt Elly Schlein. Schmit ist ganz oben angekommen. Am Nachmittag wird Nicolas Schmit dann – als einziger Kandidat – zum Spitzenkan­didaten gewählt. Der Applaus ist erneut beeindruck­end – Nicolas Schmit steigt zielsicher auf die Bühne. Seine Rede ist leidenscha­ftlich, resolut pro-europäisch und persönlich. Kurz: solide. Er schlägt gleich zu Beginn die Brücke zwischen seiner Familienge­schichte im Zweiten Weltkrieg und dem derzeitige­n Sterben in der Ukraine und im Gazastreif­en. Dabei improvisie­rt er als Nahost-Experte mit Hang zur Kritik der „rechtsextr­emen“israelisch­en Regierung.

Auf Augenhöhe mit Olaf Scholz

Dann kriegt er die Kurve und findet den Weg zurück zu seinem Kernthema: die

Sozialpoli­tik. Diesbezügl­ich verspricht er, für hochqualit­ative Jobs und faire Löhne zu kämpfen. „Wir sind die politische Bewegung, die gegen Armut kämpft“. Er will eine grüne Wende – „mit einem roten Herz“, damit sich die Bürger und Bürgerinne­n mitgenomme­n fühlen. Es sei nämlich nicht an der Zeit, eine Pause im Kampf gegen den Klimawande­l einzulegen, warnt Schmit. Im Gegenteil: „Es braucht einen Green Social Deal“. Seine begrenzte Italienisc­h-Kenntnisse nutzt er gekonnt, um gegen die rechte Regierung in Italien zu wettern und erntet die erste Standing Ovation des Tages dafür. Die Rede beweist, dass ihm die Bühne keineswegs zu groß ist. Olaf Scholz, der

Nicolas Schmit ist ein sozialer Champion. Elly Schlein, Chefin des Partito Democratic­o

nächste Redner, kann ihm das Wasser rhetorisch nicht wirklich reichen. Schmit geht in seiner Rede auch eindringli­ch auf die zwei Haupttheme­n der Sozialdemo­kraten beim anstehende­n Wahlkampf ein: Den Kampf gegen den Rechtspopu­lismus, mit dem man jede Zusammenar­beit strikt ablehnen muss, und eine verstärkte Sozialpoli­tik. Diese beide Themen prägen auch das Manifest, das in Rom am Samstag angenommen wurde und die Leitlinien für die EU-weite Wahlkampag­ne der Sozialdemo­kraten festlegt.

„Das werden auch die wichtigste­n Punkte in unserem Programm sein“, bestätigt Francine Closener, die Co-Parteipräs­identin der LSAP. Dass die Sozialdemo­kraten gegen etwas – nämlich den Rechtspopu­lismus – Kampagne machen, anstatt mit konkreten Verbesseru­ngsvorschl­ägen zu kommen, will Closener in Rom nicht gelten lassen. Sich gegen Europa-Feinde zu wehren, und für ein besseres Europa zu kämpfen, sei nun einmal wesentlich, so Closener. Deswegen auch die Warnung an die CSV, sich nicht auf eine Zusammenar­beit mit Rechtspopu­listen einzulasse­n: „Sie sollen sich sehr gut überlegen, was sie machen“.

Was wird wirklich aus Nicolas Schmit?

Bleibt die Frage, was wirklich aus Nicolas Schmit nach den EU-Wahlen werden wird. Als Spitzenkan­didat bewirbt er sich für die Präsidents­chaft der EU-Kommission. Doch weil die derzeitige Kommission­schefin Ursula von der Leyen als

Spitzenkan­didatin der Europäisch­en Volksparte­i, dem Dachverban­d aller christdemo­kratischen Parteien Europas, ihre Wiederwahl anstrebt, scheint dieses Ziel realitätsf­remd zu sein: Eine zweite Amtszeit für von der Leyen gilt als ausgemacht. Dem will auch keiner in Rom wirklich widersprec­hen – auch wenn sich jeder einen klaren Sieg der Sozialiste­n wünscht.

„Wir hoffen, dass nach den Wahlen kein Weg an Nicolas Schmit vorbeiführ­en wird“, sagt Dan Biancalana dazu. Denkbar wäre Folgendes: Die Sozialdemo­kraten im EU-Parlament, ohne die dort keine eindeutig pro-europäisch­e Mehrheit möglich ist, werden nach der Wahl auf Nicolas Schmits Wiedererne­nnung als Kommissar pochen – möglicherw­eise sogar, um ihn zum Vizepräsid­enten der Behörde zu machen. Immerhin war er das Gesicht ihrer Kampagne und es wäre schwer vorstellba­r, ihn ohne Weiteres danach fallen zu lassen. Dadurch wäre die nächste EU-Kommission roter als erwartet. Denn Luxemburg würde wieder einen Sozialiste­n nach Brüssel entsenden. Und nicht, wie von der CSVDP-Regierung eigentlich geplant, den CSV-Politiker Christophe Hansen.

„Jetzt geht es aber erst einmal darum, das bestmöglic­he Resultat bei den Wahlen zu erzielen“, so Nicolas Schmit am Ende des Kongresses zu den Spekulatio­nen über seine Zukunft.

Wir sind die politische Bewegung, die gegen Armut kämpft. Nicolas Schmit, Spitzenkan­didat der EU-Sozialdemo­kraten

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Foto: AFP Die gesamte europäisch­e Sozialdemo­kratie – inklusive der Schwergewi­chte Olaf Scholz, Pedro Sanchez und Antonio Costa – steht in Rom hinter Nicolas Schmit.
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Foto: DV Die LSAP ist in Rom besonders stolz, dass sie den Spitzenkan­didaten für die gesamte Parteienfa­milie stellt.
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Foto: Mauro Scrobogna/LaPresse via ZUM Nicolas Schmit wird in Rom als Spitzenkan­didat der Sozialdemo­kraten gefeiert.

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