Als halb Sassenheim zur Einweihung eines tristen Platzes kam
Hinter einem unscheinbaren Platz mitten in der Ortschaft stecken aus der Zeit gefallene Geschichten, wie sie heute nicht mehr geschrieben werden
Mitten in Sassenheim, gegenüber der Schule, liegt ein zubetonierter Platz, auf dem nicht einmal eine Parkbank steht. Lediglich ein Baum in der Mitte und die knallroten Blumenkübel neben der Bushaltestelle „Place Tornaco“wirken der Trostlosigkeit entgegen. Die Gemeinde hat derzeit keine Pläne, daran etwas zu ändern. Es gebe keine Nachfrage dafür, und es sei das erste Mal, dass sie darauf angesprochen würde, sagt Bürgermeisterin Simone AsselbornBintz (LSAP) im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“.
War die zentral gelegene Place Tornaco jemals ein Dorfzentrum? „Nicht, dass ich wüsste“, sagt Asselborn-Bintz. Im alten Teil von Sassenheim bei der Kirche seien eher Feste gefeiert worden. Die Ortschaft habe heute keine Dorfmitte. „Es ist nicht so wie früher“. Das Phänomen ziehe sich durch die ganze Gemeinde: „Wir haben kein richtiges Zentrum wie einen Marktplatz oder den Brillplatz in Esch.“
Doch zurück zu den knallroten Blumenkübeln: Sie sollen laut der Bürgermeisterin verhindern, dass der Platz als Parkplatz genutzt wird und bringen etwas Farbe ins Spiel. Sie führen aber auch dazu, dass der Platz optisch abgesperrt wirkt. Wer sich dennoch in die hinterste Ecke verirrt, stößt auf ein Denkmal, hinter dem sich eine Geschichte verbirgt, die sich heute wohl nicht mehr wiederholen würde.
Ein ganzes Dorf auf den Füßen
Die Inschrift auf der Vorderseite des Denkmals lautet: „Dem Ennerzèchner vum Londoner Vertrag 1867 Baron Victor de Tornaco zum Undenken.“Das Denkmal wurde 1939 anlässlich der Hundertjahrfeier der luxemburgischen Unabhängigkeit von 1839 eingeweiht. 1967 wurde die Place Tornaco anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Unterzeichnung des Zweiten Londoner Vertrags, der Luxemburg zum neutralen Land erklärte, eingeweiht. Und das mit einem für heutige Verhältnisse gigantischen Spektakel.
Im „Luxemburger Wort“vom 10. Mai 1967 ist zu lesen: „Nachmittags gegen 2 Uhr bildete sich auf dem Schloß ein feierlicher Umzug. Angeführt von einem schmucken Reiterdetachement und unter dem Liederklang der ‚Fanfare Concorde‘, zogen sämtliche Dorfvereine gefolgt von den Schulkindern und den Persönlichkeiten der Gemeinde durch die Hauptstraßen der Ortschaft zu der neu angelegten ‚Place Victor de Tornaco‘.“
Als Asselborn-Bintz die Fotos von damals sieht, kommentiert sie: „Das ist Pierre Werner, da war ich gerade auf der Welt.“Heute würden solche Plätze nur noch selten eingeweiht. „Früher war dann das ganze Dorf auf den Beinen, ist ja klar.“
Der damalige Staatsminister Pierre Werner war einer von zahlreichen Ehrengästen. In seiner Ansprache ging er auf „die zweimalige Verletzung des Vertrages durch einen unserer Nachbarn, welcher ihn nur als Fetzen Papier betrachtete“ein.
Die heraufziehende Bedrohung Hitlerdeutschlands
Es war nicht das erste Mal, dass Sassenheim an Tornaco erinnerte. Der Gedenkstein wurde im August 1939 errichtet, nur einen Monat vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Auch an diesem Tag ging es hoch her: „Am Nachmittag zog ein folkloristischer Festzug durch die herrlich geschmückten Straßen“, heißt es im „Luxemburger Wort“von damals. Wie 1967 war auch 1939 der Staatsminister in Person von Pierre Dupong zu Gast.
Auf den Seiten des Denkmals steht: „Letzeburg de Letzeburger“und „Mir welle bleiwen, wat mir sin“. Passend zu den Inschriften war das Schlusswort von Staatsminister Pierre Dupong „getragen von einem flammenden Bekenntnis zur Heimat“. Es folgte die Nationalhymne „Ons Heemecht“. Ein knappes Jahr später, am 10. Mai 1940, marschierte die Wehrmacht in Luxemburg ein.
Ein wanderndes Denkmal
Aus den alten LW-Berichten ergeben sich jedoch einige Unklarheiten. 1967 ist die Rede davon, dass das Denkmal „neu aufgerichtet“wurde, als ob es vorher einen anderen Standort gehabt hätte. Das Sassenheimer Schloss kommt in den Sinn wegen seiner Verbindung zur Familie Tornaco.
Was hinter der Aussage steht, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Denn 1939 stand im „Luxemburger Wort“: „An der Straßenkreuzung Niederkorn- und Schloßstraße wurde der Gedenkstein errichtet.“
Gut möglich also, dass das Denkmal einfach die Straßenseite gewechselt hat. Diese Stelle war 1939 vermutlich nur dünn besiedelt, wenn überhaupt. Im Artikel heißt es nämlich, dass nach dem Ende des Festes ein reges Treiben „in der Ortschaft selbst herrschte“. Die Straßenecke, an der heute die Schule steht, wurde also nicht zum Dorf gezählt.
Doch das ist nicht die einzige Ungereimtheit. 1939 wurde der Gedenkstein mit den Worten beschrieben: „Er hat die Form eines abgestumpften Kegels und trägt an der Vorderseite eine gusseiserne Tafel.“Nichts am heutigen Denkmal ist auch nur annähernd kegelförmig.