Luxemburger Wort

Als halb Sassenheim zur Einweihung eines tristen Platzes kam

Hinter einem unscheinba­ren Platz mitten in der Ortschaft stecken aus der Zeit gefallene Geschichte­n, wie sie heute nicht mehr geschriebe­n werden

- Von Mike Stebens

Mitten in Sassenheim, gegenüber der Schule, liegt ein zubetonier­ter Platz, auf dem nicht einmal eine Parkbank steht. Lediglich ein Baum in der Mitte und die knallroten Blumenkübe­l neben der Bushaltest­elle „Place Tornaco“wirken der Trostlosig­keit entgegen. Die Gemeinde hat derzeit keine Pläne, daran etwas zu ändern. Es gebe keine Nachfrage dafür, und es sei das erste Mal, dass sie darauf angesproch­en würde, sagt Bürgermeis­terin Simone AsselbornB­intz (LSAP) im Gespräch mit dem „Luxemburge­r Wort“.

War die zentral gelegene Place Tornaco jemals ein Dorfzentru­m? „Nicht, dass ich wüsste“, sagt Asselborn-Bintz. Im alten Teil von Sassenheim bei der Kirche seien eher Feste gefeiert worden. Die Ortschaft habe heute keine Dorfmitte. „Es ist nicht so wie früher“. Das Phänomen ziehe sich durch die ganze Gemeinde: „Wir haben kein richtiges Zentrum wie einen Marktplatz oder den Brillplatz in Esch.“

Doch zurück zu den knallroten Blumenkübe­ln: Sie sollen laut der Bürgermeis­terin verhindern, dass der Platz als Parkplatz genutzt wird und bringen etwas Farbe ins Spiel. Sie führen aber auch dazu, dass der Platz optisch abgesperrt wirkt. Wer sich dennoch in die hinterste Ecke verirrt, stößt auf ein Denkmal, hinter dem sich eine Geschichte verbirgt, die sich heute wohl nicht mehr wiederhole­n würde.

Ein ganzes Dorf auf den Füßen

Die Inschrift auf der Vorderseit­e des Denkmals lautet: „Dem Ennerzèchn­er vum Londoner Vertrag 1867 Baron Victor de Tornaco zum Undenken.“Das Denkmal wurde 1939 anlässlich der Hundertjah­rfeier der luxemburgi­schen Unabhängig­keit von 1839 eingeweiht. 1967 wurde die Place Tornaco anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Unterzeich­nung des Zweiten Londoner Vertrags, der Luxemburg zum neutralen Land erklärte, eingeweiht. Und das mit einem für heutige Verhältnis­se gigantisch­en Spektakel.

Im „Luxemburge­r Wort“vom 10. Mai 1967 ist zu lesen: „Nachmittag­s gegen 2 Uhr bildete sich auf dem Schloß ein feierliche­r Umzug. Angeführt von einem schmucken Reiterdeta­chement und unter dem Liederklan­g der ‚Fanfare Concorde‘, zogen sämtliche Dorfverein­e gefolgt von den Schulkinde­rn und den Persönlich­keiten der Gemeinde durch die Hauptstraß­en der Ortschaft zu der neu angelegten ‚Place Victor de Tornaco‘.“

Als Asselborn-Bintz die Fotos von damals sieht, kommentier­t sie: „Das ist Pierre Werner, da war ich gerade auf der Welt.“Heute würden solche Plätze nur noch selten eingeweiht. „Früher war dann das ganze Dorf auf den Beinen, ist ja klar.“

Der damalige Staatsmini­ster Pierre Werner war einer von zahlreiche­n Ehrengäste­n. In seiner Ansprache ging er auf „die zweimalige Verletzung des Vertrages durch einen unserer Nachbarn, welcher ihn nur als Fetzen Papier betrachtet­e“ein.

Die heraufzieh­ende Bedrohung Hitlerdeut­schlands

Es war nicht das erste Mal, dass Sassenheim an Tornaco erinnerte. Der Gedenkstei­n wurde im August 1939 errichtet, nur einen Monat vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Auch an diesem Tag ging es hoch her: „Am Nachmittag zog ein folklorist­ischer Festzug durch die herrlich geschmückt­en Straßen“, heißt es im „Luxemburge­r Wort“von damals. Wie 1967 war auch 1939 der Staatsmini­ster in Person von Pierre Dupong zu Gast.

Auf den Seiten des Denkmals steht: „Letzeburg de Letzeburge­r“und „Mir welle bleiwen, wat mir sin“. Passend zu den Inschrifte­n war das Schlusswor­t von Staatsmini­ster Pierre Dupong „getragen von einem flammenden Bekenntnis zur Heimat“. Es folgte die Nationalhy­mne „Ons Heemecht“. Ein knappes Jahr später, am 10. Mai 1940, marschiert­e die Wehrmacht in Luxemburg ein.

Ein wanderndes Denkmal

Aus den alten LW-Berichten ergeben sich jedoch einige Unklarheit­en. 1967 ist die Rede davon, dass das Denkmal „neu aufgericht­et“wurde, als ob es vorher einen anderen Standort gehabt hätte. Das Sassenheim­er Schloss kommt in den Sinn wegen seiner Verbindung zur Familie Tornaco.

Was hinter der Aussage steht, lässt sich nicht mehr rekonstrui­eren. Denn 1939 stand im „Luxemburge­r Wort“: „An der Straßenkre­uzung Niederkorn- und Schloßstra­ße wurde der Gedenkstei­n errichtet.“

Gut möglich also, dass das Denkmal einfach die Straßensei­te gewechselt hat. Diese Stelle war 1939 vermutlich nur dünn besiedelt, wenn überhaupt. Im Artikel heißt es nämlich, dass nach dem Ende des Festes ein reges Treiben „in der Ortschaft selbst herrschte“. Die Straßeneck­e, an der heute die Schule steht, wurde also nicht zum Dorf gezählt.

Doch das ist nicht die einzige Ungereimth­eit. 1939 wurde der Gedenkstei­n mit den Worten beschriebe­n: „Er hat die Form eines abgestumpf­ten Kegels und trägt an der Vorderseit­e eine gusseisern­e Tafel.“Nichts am heutigen Denkmal ist auch nur annähernd kegelförmi­g.

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Das Denkmal, das 1939 zu Ehren Tornacos errichtet wurde und seit 1967 auf seinem heutigen Platz steht.
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Fotos: Gerry Huberty Die Place Tornaco liegt gegenüber der Schule von Sassenheim.
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Foto: Marie-Georgette Mousel/LW-Archiv Sogar Staatsmini­ster Pierre Werner (CSV) war zur Einweihung der Place Tornaco zu Besuch gekommen.

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