Mehr als nur Geburtshelferinnen
Die Hebammenkunst steht seit Kurzem auf der Unesco-Liste des immateriellen Erbes der Menschheit. Zwei Hebammen erzählen von ihrem Beruf
Hebammen begleiten werdende Mütter vom Beginn der Schwangerschaft über die Geburt bis zum Ende der Stillzeit und unterstützen damit die Familien beim Übergang in einen neuen Lebensabschnitt. Neben ihren medizinischen und anatomischen Kenntnissen stützen sie sich vor allem auf ihr Sinne: Betrachten, Berühren, Fühlen und Riechen. „Das ist Hebammenkunst“, sagt Nadine Barthel, die ehemalige Präsidentin der Association Luxembourgeoise des Sages-Femmes (ALSF). Dieses intuitive Wissen verhelfe den Frauen dazu, gestärkt aus der Geburt zu gehen.
Damit dieses Wissen nicht verloren geht, stellte Luxemburg gemeinsam mit sieben anderen Staaten den Antrag, die Hebammenkunst auf die Liste des immateriellen Kulturerbes der Unesco aufzunehmen. Seit Ende vergangenen Jahres ist es nun amtlich und die luxemburgische Hebammenkunst gehört offiziell zum immateriellen Erbe der Menschheit. „Die Hebammen haben ihr Wissen und Können über Generationen weitergegeben“, sagt Nadine Barthel und freut sich über diese historische Anerkennung ihres Berufsstandes.
„Einer der ältesten Frauenberufe überhaupt“
Der Ursprung der Hebammenkunst lässt sich nicht zurückverfolgen. „Die älteste Darstellung einer Hebamme stammt aus dem dritten Jahrtausend vor Christus“, sagt Anna-Cristina Alborino, die aktuelle Präsidentin der ALSF. Eine 5.000 Jahre alte Tempelmalerei zeigt die Drillingsgeburt der Pharaonenkinder des ägyptischen Sonnengottes Re – mit einer helfenden Frau. „Der Beruf der Hebamme ist einer der ältesten Frauenberufe überhaupt“, fügt sie hinzu. Bis heute sei der Hebammenberuf in Luxemburg ein reiner Frauenberuf geblieben. „In Luxemburg gibt es etwa 230 Hebammen, davon sind etwa 120 Mitglieder der ALSF“.
Früher waren Hausgeburten in Luxemburg die Regel. „Die Frau wurde von einer Hebamme betreut und brachte das Kind zu Hause zur Welt“, sagt Nadine Barthel. Erst mit dem Bau von Geburtskliniken änderte sich das. „Ungefähr 7.500 Geburten gibt es jedes Jahr in Luxemburg“, sagt Alborino. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr gab es in Luxemburg 13 Hausgeburten, im Jahr davor waren es deren 29. „Jede Geburt sollte von einer Hebamme begleitet werden“, sagt Nadine Barthel.
„Das traditionelle Wissen der Hebammen ist auch heute noch sehr wichtig“, sagt Anna-Cristina Alborino. So könne diese durch Abtasten feststellen, ob das Ungeborene in der richtigen Position liegt. Das Grundwissen und Können von Hebammen
In Luxemburg gibt es rund 230 Hebammen, davon sind ungefähr 120 Mitglied der ALSF. Anna-Cristina Alborino
ähnelt sich auf der ganzen Welt. Aber es gebe kulturelle Unterschiede, je nach Kontinent oder Region.
Die Hebammenkunst im Lauf der Zeit
Auch wenn der Geburtsvorgang und damit die Hebammenkunst immer noch dieselben sind, hat sich das Hebammenwesen im Laufe der Zeit verändert. „Heute ist es auch eine Wissenschaft“, sagt Anna-Cristina Alborino. Wie das Gesundheitswesen hat sich auch das Hebammenwesen weiterentwickelt. Nicht immer zum Besseren, wie Nadine Barthel meint. Denn eine Schwangerschaft werde leider viel zu oft wie eine Krankheit behandelt. „Die Frauen werden auf alles Mögliche getestet“, sagt sie. Dabei sei eine Schwangerschaft etwas ganz Natürliches. „Man sollte die Schwangere einfach Schwangere sein lassen.“
Je natürlicher die Geburt, desto besser, betonen die Frauen. Ana-Cristina Alborino spricht von einer „Interventionskaskade“. Diese beginne oft damit, dass der natürliche Moment nicht abgewartet und die Geburt eingeleitet werde. „Dadurch dauert die Geburt länger und wird kräftezehrender“, sagt die Hebamme. Das wiederum führe zum nächsten Eingriff, etwa einer Periduralanästhesie. „Es gibt viele Studien, die belegen, dass die Interventionsrate sinkt, wenn die Frau in einer kontinuierlichen Begleitung einer Hebamme steht“, sagt Nadine Barthel.
Gut vorbereitet in die Schwangerschaft
Das Wichtigste bleibt, dass das Kind gesund zur Welt und die Frau gestärkt aus der Geburt kommt. Nadine Barthel betont die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Hebammenkunst, nicht nur in fernen Ländern, sondern auch in Luxemburg. Hebammen senken nicht nur die Kinder- und Müttersterblichkeit, „sie stärken auch die Frauen, die gut vorbereitet in die Schwangerschaft und in einen neuen Lebensabschnitt gehen“.
Die Arbeit der Hebamme beschränke sich nicht nur auf die Geburtshilfe, sondern beginne lange davor. „Die Bindung zwischen Kind und Mutter beginnt schon
Man sollte die Schwangere ganz einfach Schwangere sein lassen. Nadine Barthel
während der Schwangerschaft“, sagt sie. Das gelte übrigens auch für den Vater. Die werdenden Eltern erwarte „ein ganz neues Leben“, je besser sie darauf vorbereitet seien, desto reibungsloser verlaufe der Übergang. Immer wieder unterstreichen die Hebammen, wie wichtig der „enge Hautkontakt“mit dem Neugeborenen sei. „So entstehen Familien“, sagen sie. Sie betonen auch die Bedeutung des Stillens. Nadine Barthel hat schon viele Familien geholfen. Die Geburten, die sie begleitet hat und damit die Zahl der Kinder, die zur Welt kamen, hat sie nicht im Kopf, „es müssen Hunderte gewesen sein“. Sie erinnert sich an ein Dorffest, an dem sie etliche Kinder begegnete, die von ihren Müttern erklärt bekamen: „Das ist die Frau, die dich auf die Welt gebracht hat“. Das korrigiert sie gerne und fügt hinzu, dass sie die Begleitung war und es die Mama war, die das Kind auf die Welt gebracht hat.