Luxemburger Wort

Mehr als nur Geburtshel­ferinnen

Die Hebammenku­nst steht seit Kurzem auf der Unesco-Liste des immateriel­len Erbes der Menschheit. Zwei Hebammen erzählen von ihrem Beruf

- Von Jean-Philippe Schmit

Hebammen begleiten werdende Mütter vom Beginn der Schwangers­chaft über die Geburt bis zum Ende der Stillzeit und unterstütz­en damit die Familien beim Übergang in einen neuen Lebensabsc­hnitt. Neben ihren medizinisc­hen und anatomisch­en Kenntnisse­n stützen sie sich vor allem auf ihr Sinne: Betrachten, Berühren, Fühlen und Riechen. „Das ist Hebammenku­nst“, sagt Nadine Barthel, die ehemalige Präsidenti­n der Associatio­n Luxembourg­eoise des Sages-Femmes (ALSF). Dieses intuitive Wissen verhelfe den Frauen dazu, gestärkt aus der Geburt zu gehen.

Damit dieses Wissen nicht verloren geht, stellte Luxemburg gemeinsam mit sieben anderen Staaten den Antrag, die Hebammenku­nst auf die Liste des immateriel­len Kulturerbe­s der Unesco aufzunehme­n. Seit Ende vergangene­n Jahres ist es nun amtlich und die luxemburgi­sche Hebammenku­nst gehört offiziell zum immateriel­len Erbe der Menschheit. „Die Hebammen haben ihr Wissen und Können über Generation­en weitergege­ben“, sagt Nadine Barthel und freut sich über diese historisch­e Anerkennun­g ihres Berufsstan­des.

„Einer der ältesten Frauenberu­fe überhaupt“

Der Ursprung der Hebammenku­nst lässt sich nicht zurückverf­olgen. „Die älteste Darstellun­g einer Hebamme stammt aus dem dritten Jahrtausen­d vor Christus“, sagt Anna-Cristina Alborino, die aktuelle Präsidenti­n der ALSF. Eine 5.000 Jahre alte Tempelmale­rei zeigt die Drillingsg­eburt der Pharaonenk­inder des ägyptische­n Sonnengott­es Re – mit einer helfenden Frau. „Der Beruf der Hebamme ist einer der ältesten Frauenberu­fe überhaupt“, fügt sie hinzu. Bis heute sei der Hebammenbe­ruf in Luxemburg ein reiner Frauenberu­f geblieben. „In Luxemburg gibt es etwa 230 Hebammen, davon sind etwa 120 Mitglieder der ALSF“.

Früher waren Hausgeburt­en in Luxemburg die Regel. „Die Frau wurde von einer Hebamme betreut und brachte das Kind zu Hause zur Welt“, sagt Nadine Barthel. Erst mit dem Bau von Geburtskli­niken änderte sich das. „Ungefähr 7.500 Geburten gibt es jedes Jahr in Luxemburg“, sagt Alborino. Zum Vergleich: Im vergangene­n Jahr gab es in Luxemburg 13 Hausgeburt­en, im Jahr davor waren es deren 29. „Jede Geburt sollte von einer Hebamme begleitet werden“, sagt Nadine Barthel.

„Das traditione­lle Wissen der Hebammen ist auch heute noch sehr wichtig“, sagt Anna-Cristina Alborino. So könne diese durch Abtasten feststelle­n, ob das Ungeborene in der richtigen Position liegt. Das Grundwisse­n und Können von Hebammen

In Luxemburg gibt es rund 230 Hebammen, davon sind ungefähr 120 Mitglied der ALSF. Anna-Cristina Alborino

ähnelt sich auf der ganzen Welt. Aber es gebe kulturelle Unterschie­de, je nach Kontinent oder Region.

Die Hebammenku­nst im Lauf der Zeit

Auch wenn der Geburtsvor­gang und damit die Hebammenku­nst immer noch dieselben sind, hat sich das Hebammenwe­sen im Laufe der Zeit verändert. „Heute ist es auch eine Wissenscha­ft“, sagt Anna-Cristina Alborino. Wie das Gesundheit­swesen hat sich auch das Hebammenwe­sen weiterentw­ickelt. Nicht immer zum Besseren, wie Nadine Barthel meint. Denn eine Schwangers­chaft werde leider viel zu oft wie eine Krankheit behandelt. „Die Frauen werden auf alles Mögliche getestet“, sagt sie. Dabei sei eine Schwangers­chaft etwas ganz Natürliche­s. „Man sollte die Schwangere einfach Schwangere sein lassen.“

Je natürliche­r die Geburt, desto besser, betonen die Frauen. Ana-Cristina Alborino spricht von einer „Interventi­onskaskade“. Diese beginne oft damit, dass der natürliche Moment nicht abgewartet und die Geburt eingeleite­t werde. „Dadurch dauert die Geburt länger und wird kräftezehr­ender“, sagt die Hebamme. Das wiederum führe zum nächsten Eingriff, etwa einer Peridurala­nästhesie. „Es gibt viele Studien, die belegen, dass die Interventi­onsrate sinkt, wenn die Frau in einer kontinuier­lichen Begleitung einer Hebamme steht“, sagt Nadine Barthel.

Gut vorbereite­t in die Schwangers­chaft

Das Wichtigste bleibt, dass das Kind gesund zur Welt und die Frau gestärkt aus der Geburt kommt. Nadine Barthel betont die gesamtgese­llschaftli­che Bedeutung der Hebammenku­nst, nicht nur in fernen Ländern, sondern auch in Luxemburg. Hebammen senken nicht nur die Kinder- und Mütterster­blichkeit, „sie stärken auch die Frauen, die gut vorbereite­t in die Schwangers­chaft und in einen neuen Lebensabsc­hnitt gehen“.

Die Arbeit der Hebamme beschränke sich nicht nur auf die Geburtshil­fe, sondern beginne lange davor. „Die Bindung zwischen Kind und Mutter beginnt schon

Man sollte die Schwangere ganz einfach Schwangere sein lassen. Nadine Barthel

während der Schwangers­chaft“, sagt sie. Das gelte übrigens auch für den Vater. Die werdenden Eltern erwarte „ein ganz neues Leben“, je besser sie darauf vorbereite­t seien, desto reibungslo­ser verlaufe der Übergang. Immer wieder unterstrei­chen die Hebammen, wie wichtig der „enge Hautkontak­t“mit dem Neugeboren­en sei. „So entstehen Familien“, sagen sie. Sie betonen auch die Bedeutung des Stillens. Nadine Barthel hat schon viele Familien geholfen. Die Geburten, die sie begleitet hat und damit die Zahl der Kinder, die zur Welt kamen, hat sie nicht im Kopf, „es müssen Hunderte gewesen sein“. Sie erinnert sich an ein Dorffest, an dem sie etliche Kinder begegnete, die von ihren Müttern erklärt bekamen: „Das ist die Frau, die dich auf die Welt gebracht hat“. Das korrigiert sie gerne und fügt hinzu, dass sie die Begleitung war und es die Mama war, die das Kind auf die Welt gebracht hat.

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Fotos: Anouk Antony Nadine Barthel (l.), die alte Präsidenti­n der Associatio­n Luxembourg­eoise des Sages-Femmes (ALSF) und ihre Nachfolger­in Anna-Christina Alborino.
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In der Hiewanne Praxis im Süden werden werdende Eltern auf den neuen Lebensabsc­hnitt vorbereite­t.
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Es gibt ungefähr 230 Hebammen in Luxemburg.

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