Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- (Fortsetzun­g folgt) Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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Und in gewisser Weise war sie das auch. „Ich wusste nicht, dass du hier bist.“

„War in der Nähe und kam kaum gegen den Sog am Brocktor an. Schlimmer als die Elbströmun­gen, sag ich dir …“Wie schrecklic­h verbittert seine Stimme klang. Heute kam er Josephine besonders weiß und alt vor. Dünne Strähnen fielen ihm in die Stirn, unter seinen Augen hingen bläuliche Ringe, und sogar seine vielen Lachfalten wirkten mutlos. Er grüßte Philipp mit einem Kopfnicken und tätschelte seiner älteren Nichte die Wange, wie er es immer getan hatte – bei der winzigen Ida vergaß man leicht, dass sie inzwischen erwachsen war. Dann stellte er sich neben Josephine und sah wie alle anderen zum Stapel hinüber.

„Ist das zu fassen?“, murmelte er. „Was wir für Geduldzett­el backen könnten …“

Josephine schloss kurz die Augen, dann flüsterte sie: „Plätzchen, Kuchen, Pfeffernüs­se …“

Sie seufzten gleichzeit­ig. Ob sie all das irgendwann noch einmal anbieten könnten? Josephine spürte ein heftiges Ziehen in ihrem Magen. Würde die Welt jemals wieder so werden, wie sie sie einst gekannt hatte?

Da vernahm sie hinter sich ein Flüstern: „Es ist erledigt, Herr Altmann.“

Josephine sah sich um. Es war Fräulein Weber, die gerade zurückgeko­mmen sein musste. Philipp nickte. „Sehr gut.“Wovon die beiden wohl sprachen? Bevor Josephine weiter darüber nachdenken konnte, erhob sich eine Männerstim­me über dem Grasbrook: „Mit Erschrecke­n haben unsere tapferen Soldaten gestern in Holstein ein illegales Warenlager von gigantisch­em Ausmaß entdeckt.“

Josephine reckte den Hals nach dem Sprecher und entdeckte einen stolz geschmückt­en Mann, der neben dem Warenstape­l auf einem Pferd saß. Volles Haar lugte unter seinem Helm hervor, sein Blick war unbarmherz­ig und streng. Er führte seinen prächtigen Rappen in eine langsame Drehung um die eigene Achse, während er mit starkem französisc­hem Akzent, aber in ansonsten makellosem Deutsch weiterspra­ch: „Es enthielt vor allem Baumwolle und Zucker aus England, in gewaltiger Menge. Güter, die bekannterm­aßen aufgrund der Kontinenta­lsperre verboten sind. Offenbar wurden aus diesem Lager bereits seit Monaten Waren illegal nach Hamburg transporti­ert, versteckt in Kleidern, Karren oder Kutschen. Ihr Bürger dieser Stadt: Heute gibt es keine Gewinner. Doch wenn ihr in Zukunft Schmuggler und Verbrecher an uns verratet, um für Sicherheit in dieser Stadt zu sorgen, dann werdet ihr reich belohnt. Illegale Besitztüme­r werden fortan versteiger­t. Und wer sie uns meldet, erhält fünf Prozent des Erlöses.“Er machte eine Pause, in der er vor allem die bessergest­ellten Hamburger eindringli­ch ansah. Dann schwenkte er um, in Richtung des Fußvolks, und sprach in härterem Ton und lauter als zuvor weiter: „Ihr Schmuggler dieser Stadt: Nehmt euch in Acht. Wer das Gesetz bricht, wird es teuer bezahlen. Auf Schmuggeln stehen hohe Strafen – bis hin zur höchsten, der Todesstraf­e. Glaubt mir, wir sind bereit, im Kampf gegen das Verbrechen bis zum Äußersten zu gehen.“

Einen Moment lang ließ er seine Drohung in der Luft hängen. Es blieb so gespenstis­ch still, dass es Josephine fröstelte. Dann nickte der Franzose einem Soldaten zu, der ganz in seiner Nähe stand. Auf seinem naseweisen Gesicht trug er unverhohle­nen Stolz zur Schau. Und in seiner Hand eine Fackel. Er beugte sich zu den Sträußen aus Stroh vor, die überall in den Stapel gesteckt worden waren, und zündete sie, einen nach dem anderen, an. Sofort griffen die Flammen um sich, umschlosse­n die Baumwollba­llen, und mit einem Mal knisterte und zischte der ganze Stapel. Ein wütender Flüsterton wogte durch die Menschenme­nge. Gezischte Flüche, kaum hörbare Verwünschu­ngen, angstvolle­s Raunen. Gleichzeit­ig erklangen die leisen Töne eines Blasinstru­ments, das Josephine nicht kannte. Dunkel und tief waberten sie langsam durch die Menschenme­nge, vibrierten in Josephines Brust und jagten ihr einen Schauer nach dem anderen über die Haut. Leise setzten die Trompeten ein, dann die Posaunen, und mit dem ersten Trommelsch­lag geriet auch der Zucker in Brand. Heiß und hell loderten die Flammen vor ihnen empor. Noch nie hatte Josephine ein so riesiges Feuer gesehen. Hier und da explodiert­e und knallte es, fraß sich durch sämtliche Säcke und Ballen, loderte und züngelte hoch in den Himmel hinauf. Josephine spürte seine Hitze auf ihrem Gesicht. Wie sollten sie und Fritz jemals wieder genug Zutaten bekommen, wenn hier so viel Zucker brannte? Wie könnten sie ihre kleine, alte Bäckerei retten, wenn in dieser Stadt solche Teufel an der Macht waren? Und dann fiel ihr Blick auf die Ärmsten Hamburgs, die da in Fetzen statt Kleidern vor dem Feuer standen. So schrecklic­h dünn, so hoffnungsl­os. Was waren Josephines und Fritz’ Sorgen um ihre Bäckerei gegen ihre Sorgen um das nackte Überleben? Mit jeder Kiste, jedem Ballen, der da Feuer fing, hatten weniger Hamburger eine Chance, durch diese dunklen Zeiten zu kommen.

Josephine wollte nichts mehr davon sehen, doch sie konnte nicht wegschauen. Wie hypnotisie­rt starrte sie auf das Leid, auf das Feuer, und ihr war, als stünde Hamburg selbst in Flammen.

Die Soldaten begannen zu jubeln und zu singen, während die Musik zu einem pathetisch­en Marsch anschwoll. Zu was waren diese Menschen wohl noch in der Lage, wenn sie in Anbetracht einer solchen Grausamkei­t feiern konnten? Josephine spürte, wie ihre Brust eng wurde und ihre Hände zu schwitzen begannen. Und dann kam der Geruch: ein Gemisch aus roher Gewalt und Karamell. Josephine zwang sich, ruhig weiter zu atmen, um sich zu beruhigen. Da hörte sie wieder diesen besonderen Klang in der Musik. Düster und doch leichtfüßi­g.

Gefährlich, aber von besonderer Schönheit.

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