Luxemburger Wort

Damals wie heute: Menschen streben nach Selbstverw­irklichung

Das von der Luxemburge­r Filmgesell­schaft Amour Fou koproduzie­rte Historiend­rama „Amour Fou“setzt trotz historisch­er Verankerun­g auf Aktualität

- Von Nora Schloesser

Fest beißt Elsie auf einen Stock, kurz bevor Jakob ihr mit einer Zange den großen Zeh amputieren muss. Dann: ein stechender Schrei, der durch Mark und Bein geht. Diese Szene, die im Herbst 2022 noch im Filmland Kehlen gedreht wurde – das „Luxemburge­r Wort“war damals am Set zu Besuch –, ist nun Teil eines bewegenden Historiend­ramas, das seine Luxemburge­r Premiere am späten Samstagnac­hmittag im Rahmen des LuxFilmFes­ts feierte.

„Jakobs Ross“heißt die Luxemburge­r Koprodukti­on (Amour Fou), die am 17. April in den hiesigen Kinos anläuft, und die Geschichte der Musik liebenden Magd Elsie, die mit dem Knecht Jakob zwangsverh­eiratet wird, erzählt.

Wir waren bei der Premiere dabei und haben sowohl mit der Schweizer Regisseuri­n Katalin Gödrös über ihre gleichnami­ge Romanverfi­lmung von Silvia Tschui, als auch mit den beiden Luxemburge­r Schauspiel­erinnen Marie Jung und Eugénie Anselin über ihre Rollen im Film gesprochen.

Der Einfluss sozialer Klassen und der Umstände der Zeit

„In dem Moment, in dem du in ein Kostüm steigst, bist du einfach anders, nimmst eine andere Persönlich­keit an“, betont Eugénie Anselin, die in „Jakobs Ross“Sophie, die Tochter des wohlhabend­en Hausherrn Burgener spielt. Eine junge Frau, die fasziniert von dem gesanglich­en Talent ihrer Magd Elsie ist. „Mit Elsie lernt Sophie nicht nur eine andere Realität kennen, sondern sieht in ihrer Magd auch eine gewisse Freiheit. Eine Freiheit, die Sophie durch die Auflagen ihres sozialen Standes nicht gewährt wird“, erklärt die Luxemburge­r Schauspiel­erin, die derzeit auch im Théâtre du Centaure in „Alceste / Tartuffe“auf der Bühne steht, kurz vor der Filmvorste­llung.

Dabei macht sie besonders auf den Unterschie­d der sozialen Klassen, die eben in „Jakobs Ross“von Wichtigkei­t sind, aufmerksam: „Auch wenn oft gesagt wird, dass es heute keine wirklichen sozialen Klassen mehr gäbe, macht es trotzdem einen Unterschie­d, in welche Familie du hineingebo­ren wirst. Man sieht einfach, dass ein Kind, das von seinen Eltern finanziell unterstütz­t werden kann, ganz andere Möglichkei­ten hat, als jemand, der in der Banlieue aufwächst. Und so ist das auch bei Elsie und Sophie.“Denn die Magd kann es sich im Gegensatz zu Sophie nicht leisten, nach Florenz an die Musikakade­mie zu gehen.

Auch Marie Jung, die die Gouvernant­e Furrer im Hause Burgener verkörpert, ist sich sicher, dass vieles auf die sozialen Umstände zurückgeht, aber auch den Umständen der Zeit geschuldet ist. Ihre Figur ist in diesem „Korsett“gefangen. „Ich würde schon sagen, dass sich die Frau Furrer den damaligen Umständen gefügt hat. Sie hat sich dem Schicksal, das einer Frau zu der Zeit in einer bestimmten sozialen Klasse zugeschrie­ben war, ergeben. Dieses Korsett, das ihr aufgrund ihres Geschlecht­s und Standes angezogen wird, trägt sie – aber mit einer möglichst gro

ßen Selbstbest­immung. Sie bricht nur nicht daraus aus“, so Marie Jung.

Die Luxemburge­r Schauspiel­erin war während der Dreharbeit­en besonders fasziniert von Katalin Gödrös’ Arbeit und Vorgehensw­eise: „Katalin ist mit einer enormen Klarheit und gleichzeit­ig mit viel Sensibilit­ät mit uns Schauspiel­enden und dem Material umgegangen. Und das hat sich sicherlich auch auf den Film ausgewirkt.“

Natur als Metapher für das seelische Empfinden

Im Fokus von „Jakobs Ross“steht die Beziehung zwischen Elsie und Jakob, die – obwohl das Drama in der Schweiz des 19. Jahrhunder­ts spielt – mit einer modernen Beziehung vergleichb­ar ist. „Natürlich haben wir heute ganz andere Möglichkei­ten, haben genug zu essen, sind meistens gut situiert. Wir glauben, wir haben die Sprache zu kommunizie­ren, aber oft hilft es uns nicht wirklich. Und auch wir kämpfen, so wie Elsie und Jakob, heute oft noch darum, unsere Träume zu verwirklic­hen – auch innerhalb einer Beziehung“, präzisiert Katalin Gödrös.

Die Regisseuri­n sieht in dem zwangsverh­eirateten Paar und in deren Bezie

hung allerdings ebenfalls ein Sinnbild für unsere moderne Gesellscha­ft. „Elsie und Jakob stehen für eine Gesellscha­ft, in der es darum geht, jemand zu sein und eine gesellscha­ftliche Stellung zu bekommen. Diese ist sozusagen wichtiger als die Selbstverw­irklichung oder die Poesie und die Kunst. Doch Elsie stirbt lieber, als dass sie ohne Musik leben kann.“

Dabei spielt der Film, wie auch Katalin Gödrös betont, mit der Kraft der Musik. Und auch die erhabene Natur der Schweizer Alpen erhält im Historiend­rama eine metaphoris­che Bedeutung. „Wir haben in einem ganz engen Tal in der Schweiz gedreht, das sehr viel durch Steinschla­g und Überschwem­mungen gelitten hat. Diese Enge, dieses Archaische, Bedrängend­e, was in der Beziehung ist, spiegelt sich sozusagen in der Natur wider. Sie ist ein Bild für die inneren Zustände Elsies.“Und das wird in „Jakobs Ross“eindeutig sichtbar.

Und diese Enge, dieses Archaische, Bedrängend­e, was in der Beziehung ist, spiegelt sich sozusagen in der Natur wider. Sie ist ein Bild für die inneren Zustände Elsies. Katalin Gödrös, Regisseuri­n

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 ?? Fotos: Claude Piscitelli ?? Die Produzenti­n Bady Minck (v.l.n.r.), die Luxemburge­r Schauspiel­erin Marie Jung, die Regisseuri­n Katalin Gödrös, die luxemburgi­sche Darsteller­in Eugénie Anselin und der Produzent Alexander Dumreicher-Ivanceanu freuen sich sichtlich auf die Luxemburge­r Premiere von „Jakobs Ross“.
Fotos: Claude Piscitelli Die Produzenti­n Bady Minck (v.l.n.r.), die Luxemburge­r Schauspiel­erin Marie Jung, die Regisseuri­n Katalin Gödrös, die luxemburgi­sche Darsteller­in Eugénie Anselin und der Produzent Alexander Dumreicher-Ivanceanu freuen sich sichtlich auf die Luxemburge­r Premiere von „Jakobs Ross“.
 ?? ?? Katalin Gödrös inszeniert mit „Jakobs Ross“zum ersten Mal einen historisch­en Film.
Katalin Gödrös inszeniert mit „Jakobs Ross“zum ersten Mal einen historisch­en Film.
 ?? ?? Eugénie Anselin spielt in „Jakobs Ross“Sophie Burgener, die Tochter des Hausherrn, für den Elsie arbeitet.
Eugénie Anselin spielt in „Jakobs Ross“Sophie Burgener, die Tochter des Hausherrn, für den Elsie arbeitet.
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Marie Jung verkörpert die strenge Gouvernant­e, die Frau Furrer.

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