Schonungs- und schnörkelloser Blick auf die ausgebeutete chinesische Arbeiterjugend
Mit „Youth“bringt der Dokumentarfilmer Wang Bing ganz eindringlich das Dasein junger Näher und Näherinnen in der Textilstadt Zhili vor die Kamera
„Youth“ist der erste Teil einer Trilogie, die der chinesische Dokumentarfilmer Wang Bing gedreht hat. Dabei bleibt der Filmemacher in der Textilindustrie, die er bereits in seinem vorigen Werk aufgegriffen hat. „15 hours“heißt dieser Film, und so lange dauert er auch, so lange wie eine Tagesschicht der Arbeiterinnen und Arbeiter in einer kleinen Jeans-Schneiderei in Huzhou, ganz im
Norden Chinas. „Youth“ist nun ein dreieinhalbstündiger Film über junge Näher und Näherinnen, die in kleinen Werkstätten Kleidungsstücke zusammenpassen – das von 8 bis 23 Uhr, sechs Tage in der Woche.
Fünf Jahre lang hat Wang Bing in Zhili, 130 km von Shanghai entfernt, gedreht, einer riesigen Textilstadt, in der es mehr als 18.000 Werkstätten gibt, in die junge Mädchen und Jungen hauptsächlich aus der mehr als 2.500 km entfernten Region Yunnan kommen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und wo sie manchmal auch ihre Eltern treffen, die dort bereits arbeiten.
Diese jungen Arbeiter und Arbeiterinnen werden ausgebeutet, sie haben aber dafür weder ihren jugendlichen Leichtsinn noch die Freude am Leben verloren. So zeigt es jedenfalls die Kamera von Wang Bing. Sie nähen, schimpfen, verhandeln mit ihren jähzornigen und unnachgiebigen Chefs über ihren Lohn, und drohen sogar manchmal mit Streik. Wang Bing filmt dieses enge Zusammenleben von Mädchen und Jungen, die in hässlich grauen Betonbauten arbeiten und dort über den Werkstätten in Gemeinschaftsräumen schlafen – zu viert oder fünf in einem schäbigen Schlafzimmer mit Flurtoilette und einem Wasserhahn. Sie feiern, trinken, flirten, lachen, schreien, tanzen, witzeln und sticheln, wie alle Jugendlichen der Welt. Sie sind müde, rauchen viel, hören laute Musik, singen bei der Arbeit, chatten am Smartphone und essen das, was sich in den Straßenküchen halt findet.
Eindringlich und obsessiv
All diese jungen Menschen sind gekommen, um Geld zu verdienen, damit später vielleicht einmal etwas anderes zu tun, um sich ein besseres Leben aufzubauen, oder sogar selbst einmal Chef einer Werkstatt zu werden, in der sie wiederum andere ausbeuten werden …
Wang Bing dreht an einem Ort, der sowohl die Enge des Arbeitsplatzes als auch die weite Welt verkörpert. Wohin gehen all diese Kleider? Nach Asien ganz bestimmt, aber auch zu uns. Die Warenströme sind unaufhaltbar, die Wirtschaft ist global.
Der Filmemacher spielt mit Wiederholung, sein Film ist wie ein „Loop“in der Musik. Damit vermittelt er die Routine, in der diese jungen Chinesinnen und Chinesen, von denen manche unter 20 sind, leben und arbeiten. Selbst das Flirten und das Feiern scheinen eine Gewohnheit zu sein, die in ihre Arbeit integriert ist. Die Kamera steht auf Augenhöhe mit den Menschen in der Werkstatt, folgt manchmal den Arbeitern und Arbeiterinnen, aber es sind keine besonderen Kameraeinstellungen, keine filmischen Kunststücke. Diese Bilder sind nüchtern und machen damit das Werk noch eindringlicher: Ganz unvoreingenommen beobachtet Wang Bing und gibt ganz schonungs- und schnörkellos das zurück, was dort passiert. Das sind die Jungen und Mädchen, die unsere Kleidungsstücke nähen …
„Youth“, dreieinhalb Stunden lang, eine Luxemburger Koproduktion, ein Film unterstützt vom Film Fund Luxembourg, ist ein eindringlicher, obsessiver Film über ein Land, das ebenso fremd wie beunruhigend ist, aber das auch von Menschen bewohnt wird, die eine erstaunliche Energie ausstrahlen. Ein absolut sehenswerter Dokumentarfilm.