Abgehörtes Taurus-Gespräch: „Nicht Putins Spiel spielen“
Die Veröffentlichung eines Gesprächs über den Einsatz des Marschflugkörpers auf die Krim-Brücke düpiert Russland Kanzler Scholz – und erhöht damit den Druck
Selbstverständlich ist die Sache ein Coup. Hätte ein deutscher Geheimdienst führende Offiziere der russischen Armee dabei belauscht, wie sie den Einsatz von Waffensystemen im Krieg gegen die Ukraine erörtern – weder Bundeskanzler Olaf Scholz noch Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) könnten das für läppisch halten. Allerdings würden sie ihren Spionage-Erfolg geheim halten; und ganz sicher nicht an ein Staatsmedium durchstechen lassen. Schon weil es in Deutschland keine Staatsmedien gibt.
In Russland aber veröffentlicht die Chefin des Staatssenders RT am Freitag den Mitschnitt eines Gesprächs, das der Generalinspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, geführt hat mit drei seiner Fachleute für das Waffensystem Taurus. Dessen Lieferung an die von Russland überfallene Ukraine ist nicht nur seit Monaten zwischen Regierung und Opposition umstritten, sondern auch innerhalb der Ampel-Koalition. Die Entscheidung liegt beim Kanzler; und Scholz sagt Nein. Er begründet das, erstmals am 26. Februar, damit, dass Deutschland keine Soldaten in die Ukraine schicke. Die aber seien für den Taurus-Einsatz unabdingbar.
Taurus-Angriff auf Krim-Brücke
Eine Woche zuvor — das kann nun auch der größte Google-Laie im Internet nachhören und -lesen — erörtern die vier Offiziere, dass Taurus ohne deutsche Soldaten vor Ort zwar schwierig sei, aber nicht unmöglich. Und sie reden darüber, was ein Taurus-Angriff auf die KertschBrücke bedeuten würde – Russlands Nachschubverbindung zur annektierten Krim.
RT und russisches Außenministerium wollen das Dienstgespräch als Kriegsvorbereitung verstehen. Verteidigungsminister Pistorius hingegen wirft am Sonntag Präsident Wladimir Putin einen „Informationskrieg“vor: „Es geht um Spaltung.“Gemeint sind sowohl die deutsche Politik und Gesellschaft wie die Bündnisse EU und NATO.
Tatsächlich steht Deutschland binnen Tagen zum zweiten Mal vor der Welt als unzuverlässig da und überfordert, dezent formuliert. Gerade erst hat Scholz den Einsatz britischer Soldaten in der Ukraine ausgeplaudert. Nun outen deutsche Spitzenmilitärs die US-Army — und lassen sich dabei belauschen. Innenpolitisch ist das misslich — außenpolitisch aber ein GAU. Da mag Pistorius noch so beteuern, die Offiziere hätten getan, „wofür sie da sind: sich Gedanken zu machen über verschiedene Szenarien“.
Pistorius: „Stellen alles auf den Prüfstand“
Dass sie das in teilweise lockerem Ton tun, ist das kleinste Problem. Das große: Dass der oberste Befehlshaber der Luftwaffe nicht genügend auf Sicherheit achtet. Bis Wochenmitte spätestens soll der Militärische Abschirmdienst (MAD) herausfinden, ob bei der Internet-Schalte via Webex, an der möglicherweise einer per Handy teilnahm, Sicherheitsvorschriften missachtet wurden.
Welche genau das sind, will das Verteidigungsministerium nicht verraten; es gebe, sagt ein Sprecher am Montag, „ein breites Portfolio an Kommunikationslösungen“. Pistorius erklärt am Sonntag, es dürfe „bis zu einer bestimmten Vertrauens- und Geheimhaltungsstufe Webex genutzt werden“. Er verspricht: „Wir stellen alles auf den Prüfstand.“Und lehnt personelle Konsequenzen ebenso ab wie er die Opposition auffordert, nicht Putins Destabilisierungsziel zu dienen.
Bei der AfD kann er sich die Aufforderung schenken. Aber gemeint ist auch eher die Union. Dort ist schon von einem Untersuchungsausschuss die Rede, außerdem will sie Scholz in dieser Woche in den Verteidigungsausschuss zitieren. Scholz’ Sprecher antwortet auf die Frage, ob CDU und CSU damit Putins Spiel spielten, ausweichend: „Wenn die Gesellschaft sich spalten lässt – dann spielen wir Putins Spiel.“
Tatsächlich steht Deutschland binnen Tagen zum zweiten Mal vor der Welt als unzuverlässig da und überfordert, dezent formuliert.