Luxemburger Wort

Ukrainisch­e Klavierleh­rerin in Luxemburg: „Ich kann mein Glück kaum fassen“

Kateryna Avdieieva sieht sich selbst als Glückspilz. Vor zwei Jahren ist sie aus Kiew geflüchtet und konnte weiter ihrer Leidenscha­ft nachgehen

- Von Irina Figut

Immer wieder hat Kateryna Avdieieva nachts denselben Traum und wacht auf. Sie träumt, dass Bomben auf sie fallen würden und alles explodiere. „Ich sehe im Traum, dass ich mein Kind verliere“, sagt die junge Frau und ihre Stimme zittert dabei. Kateryna ist 36 Jahre alt, kommt aus Kiew in der Ukraine und ist Klavierleh­rerin. Vor genau zwei Jahren ist sie wegen des russischen Angriffskr­iegs nach Luxemburg geflohen. Die Erinnerung­en sind noch lebendig: „Mir war es damals mulmig zumute, als ich mir vorstellte, was passieren würde, wenn ich in der Ukraine bleiben würde. Die Angst, dass meinem Kind etwas Schlimmere­s geschieht, war zu groß.“

Zehn Tage hatten sie und ihr Sohn Ivan, damals fünf Jahre alt, in einem Luftschutz­keller in ihrem Kiewer Wohnhaus verbracht. „Als wir danach wieder ans Tageslicht kamen und plötzlich eine Militärrak­ete direkt über unsere Köpfe flog, war klar: Wir müssen von hier weg.“Anschließe­nd folgte eine lange Reise mit Zügen und Bussen über Polen und Deutschlan­d, bis sie Anfang März 2022 in Luxemburg ankamen. „Der Weg hierher war Stress pur. Ich kannte hier persönlich niemanden. Die Bekannten meiner Mutter haben mir empfohlen, entweder nach Belgien oder Luxemburg auszureise­n, weil sie dort jemanden kannten und diese Leute mich provisoris­ch aufnehmen konnten“, erzählt Kateryna.

So traf Kateryna Claude Lenert, einen Unternehme­r aus Niederdonv­en, zu dem sie nach wie vor ein enges freundscha­ftliches Verhältnis pflegt. Die nächsten sechs

Monate blieben sie und ihr Sohn bei ihm: „Claude ist ein Mensch mit einem großem Herzen. Er und seine Eltern haben uns herzlich aufgenomme­n und eine wunderbare Atmosphäre geschaffen.“Claude Lenert gab ihr Tipps und half im Alltag weiter. „Ich habe ein großes Haus und viel Platz“, begründet der Mann die Entscheidu­ng, eine fremde Familie bei sich aufzunehme­n.

Claude half ebenfalls, für Katerynas Tochter Evgeniia (16) ein Stipedium an der renommiert­en „Jehudi Menuhin School“in England zu beantragen. Zuvor hatte Evgeniia sechs Jahre lang ihr Geigenspie­l an einer staatliche­n Musikschul­e in Moskau verfeinert. Bis die Familie den Entschluss fasste, dass sie ebenfalls nach Luxemburg kommen soll: „Ich konnte meine Tochter erst zehn Monate nach meiner Ausreise aus der Ukraine empfangen. Es war einfach nicht möglich, dass sie weiter in Russland bleibt. Alle Verbindung­en wurden gekappt.“

Mitglied einer großen Familie

Als Glücksfall bezeichnet die junge Frau das Treffen mit Nadine Eder, der Direktorin an der regionalen Musikschul­e Echternach. Bereits kurz nach ihrer Ankunft in Luxemburg bewarb sie sich als Klavierleh­rerin, zurzeit betreut sie dort 42 Schüler und unterricht­et auf Luxemburgi­sch, Englisch, Französisc­h und Russisch. „Ich hatte damals großes Glück, dass die Schuldirek­torin an mich glaubte und mir eine Chance gab. Sie hatte wahrschein­lich auch ohne mich unzählige Kandidaten, die keine Geflüchtet­en sind“, sagt Kateryna und lächelt.

In der Musikschul­e fühle sie sich „gut aufgehoben“: „Das Team ist wunderbar, ich bin Mitglied einer großen Familie geworden. Alle sind sehr hilfsberei­t“, schwärmt die zweifache Mutter. „Ich bin sehr gerührt“, fügt Kateryna hinzu. Dank der Unterstütz­ung konnte sie viele Hinderniss­e hierzuland­e meistern, wie sie selbst zugibt: Sie kann jetzt sicherer den Unterricht auf Französisc­h gestalten und lernt Luxemburgi­sch. Eine große Stütze seien ihre Schüler selbst. „Das Wichtigste ist die Liebe zur Musik und zu den Schülern, ohne dabei Druck auszuüben.“

„Sie hat sich unglaublic­h viel Mühe gegeben“

Nadine Eder ist ebenfalls froh, dass sie Avdieieva im Team hat: „Sie hat ihre Chance ergriffen, hat sich unglaublic­h viel Mühe gegeben und weiterentw­ickelt. Es ist einfach Wahnsinn, was die Frau geleistet hat.“Auch habe die Direktorin positives Feedback von den Schülern bekommen: „Kateryna ist als Lehrerin sehr beliebt“, stellt die Musikpädag­ogin fest. Sie sei äußerst profession­ell, da sie sehr früh damit begann, das Klavierspi­el zu erlernen. Mit vier Jahren nahm Avdieieva Unterricht bei ihrer Mutter, die ebenfalls Klavierleh­rerin und Pianistin ist. Nach dem Studium an der nationalen Musikhochs­chule in Lviv unterricht­ete sie elf Jahre lang an dem renommiert­en, staatliche­n Lysenko-Musiklyzeu­m in Kiew.

Kateryna sei mit ihrem Leben in Luxemburg zufrieden und bezeichne sich selbst als „Glückspilz“: „Ich kann mein Glück kaum fassen“, sagt die alleinerzi­ehende Mutter. Ivan ist mittlerwei­le Grundschül­er und besucht die Millermoal­er Schull in Echternach. Kateryna hat derweil eine Wohnung in der Abteistadt gefunden und einen Antrag auf eine dauerhafte Aufenthalt­serlaubnis gestellt. Unterstütz­ung bekommt sie auch von ihren Eltern und ihrer 83-jährigen Oma, die ebenfalls nach Luxemburg geflüchtet sind.

Zurück nach Kiew will Kateryna nicht mehr. „Dort heulen jeden Tag die Sirenen. Die Mütter, die mit ihren Kindern zurückgebl­ieben sind, sind wahre Heldinnen“, sagt die Frau, die ihre Zukunft nun mit Luxemburg verbinden möchte. „Mir gefällt alles hier. Ich habe ein Dach über dem Kopf, tolle Leute um mich herum und kann verschiede­ne Sprachen lernen.“

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 ?? Foto: Viktor Wittal ?? Seit September 2022 unterricht­et die gebürtige Ukrainerin an der Echternach­er Musikschul­e. Mittlerwei­le betreut sie über 40 Schüler.
Foto: Viktor Wittal Seit September 2022 unterricht­et die gebürtige Ukrainerin an der Echternach­er Musikschul­e. Mittlerwei­le betreut sie über 40 Schüler.
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Foto: Privat Kateryna, hier mit Tochter Evgeniia und Sohn Ivan, fühlt sich in ihrer neuen Heimat wohl und will nicht mehr zurück nach Kiew.
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