Wenn die Bibliothek zum Leser kommt
Die Cité Bibliothèque bietet in Zusammenarbeit mit dem Service Seniors einen ungewöhnlichen Dienst für ältere Bücherwürmer an
Cindy Couto blüht förmlich auf, wenn sie von ihrem Herzensprojekt erzählt, das sie seit vergangenem Oktober in der Cité Bibliothèque wieder aufleben lässt: Menschen mit eingeschränkter Mobilität die Freude an Büchern bis ins Wohnzimmer zu bringen. „Ältere Menschen werden oft allein gelassen“, kritisiert sie. „Books at home“jedoch bringe sie, aber auch die Mitarbeiter der Bibliothek und des Seniorendienstes wieder ein Stück näher zusammen.
Das Projekt läuft bereits so lange, dass sich die Leiterin des Seniorendiensts Elisabete Moreira, die seit fast 17 Jahren dort arbeitet, nicht mehr an die Anfänge erinnern kann. Durch die Pandemie war es jedoch nicht mehr möglich, weiterhin Bücher zu liefern, und das Interesse daran sei anschließend etwas erlahmt.
Doch Cindy Couto ließ sich davon nicht abschrecken – im Gegenteil: Sie möchte das Angebot nicht nur an ältere Menschen richten, sondern generell an Menschen, die aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität nicht den Weg in die Bibliothek finden. Wenn die Menschen nicht zu den Büchern kommen, kommen die Bücher zu ihnen, so ihre Meinung.
Gegen Vereinsamung bei älteren Menschen
„Die Menschen, die die Bücher nicht persönlich abholen können, sind oft auch diejenigen, die nicht viel hinausgehen und wenig Kontakt zu anderen Menschen haben“, gibt Elisabete Moreira zu bedenken. Deshalb sind für manche die Bücher eher zweitrangig: Es geht ihnen darum, ein paar Minuten „Kosettercher ze halen“, sich über das Wetter oder den Tag auszutauschen.
Und diese wenigen Minuten nehmen sich die Mitarbeiter der Bibliothek und des Seniorendienstes gerne. Cindy Couto ist sich bewusst, dass manche Vorbehalte haben, Bücher über das Internet zu bestellen. Aber sie weiß Rat: „Sie sollen wissen, dass sie immer anrufen können und ich ihnen helfe.“Denn: „Sie wollen einfach nur Bücher lesen“, sagt sie und betont, dass die gesamte Abwicklung im Hintergrund Aufgabe der Bibliothek und des Seniorendienstes ist. „Wir müssen uns auf sie einstellen, sonst bräuchten wir den Service nicht anzubieten.“
Wenn ein Kunde bei Cindy Bücher bestellt – sei es telefonisch oder über das Internet –, sucht sie in den unzähligen Gängen der Bibliothek das Passende heraus und bereitet alles vor. Wenn die Mitarbeiter des Service Senior kommen, sind die Bücher lieferbereit. So macht sich etwa Olivier Alesch mit einer orangefarbenen Tasche aus der Cité Bibliothèque auf den Weg nach Belair. Dann klingelt er an einem Haus, vor dem ein pastellgelbes Auto mit vielen kleinen Elch-Aufklebern steht.
Von Goethe über Schiller zu DVDs
„Kommen Sie herein“, begrüßt eine energische Dame im besten Alter Olivier Alesch und umarmt ihn herzlich. Eben habe sie sich noch für ihr Hobby mit Goethe beschäftigt. Denn an einen geruhsamen Ruhestand ist für Renée Noesen-Wagener nicht zu denken: Noch immer führt sie im Auftrag der Stadt Luxemburg Touristengruppen durch die Stadt und kennt zu jedem
Stein und jeder Fassade eine historische Anekdote.
Gemeinsam mit ihrem Mann lässt sie sich gerne in die unendliche Welt der Literatur entführen. Während es bei ihrem Mann immer Goethe, Schiller und Schopenhauer sein müssen, frönt Renée Noesen-Wagener am liebsten der historischen Vergangenheit Luxemburgs, und allem, was auch nur im Entferntesten mit Luxemburg zu tun hat. Geburtstage von Enkelkindern kann sie sich nicht merken, aber den von Jang de Blannen: „Dat weess ech direkt“.
Olivier greift in den orangefarbenen Beutel und reicht Renée Noesen-Wagener zwei Bücher, die ihr Mann bestellt hat. Renée Noesen-Wagener dreht sie in den Händen und stutzt kurz beim Titel „Das Fortsein ist Finsternis“. Das könne nur ihr Mann bestellt haben: Wieder so ein Titel, den sonst niemand verstehe. Etwa 100 Bücher liest ihr Mann durchschnittlich im Jahr.
„Wir lesen viel“, sagt die 82-Jährige und ist sich bewusst, dass sie und ihr Mann auch nicht jünger werden. Deswegen sei der Bücher-Service eine ganz wunderbare Idee. Mit der Internetbestellung krisele es jedoch manchmal: Alexa stehe zwar in der hinteren Ecke des Wohnzimmers, sagt Renée Noesen-Wagener, aber mit dem Internet sei sie nicht so vertraut und tippe in der Luft herum. Sie fügt hinzu: „Mäi Gott, mam Internet ginn net eens“. Das macht normalerweise ihr Mann, der sich an diesem Nachmittag in der Nationalbibliothek verschanzt hat. Während der Pandemie hat sich bei dem Ehepaar auch eine neue Gewohnheit eingeschlichen: „Wir schauen jetzt abends immer einen Film“, sagt Renée Noesen-Wagener.