Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- (Fortsetzun­g folgt) Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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Und als sie wieder aufsah und die Reihe der Musiker neben dem Feuer nach diesen Klängen absuchte, stieß sie plötzlich überrascht Luft durch die Nase aus. Zwischen all den Musikern stand Pépin. Er hatte ein dünnes, langes Instrument in den Händen, dessen oberes Ende stark geschwunge­n war, hielt die Augen geschlosse­n und neigte sich beim Spielen immer wieder leicht vor und zurück.

Josephine schüttelte den Kopf, und die Angst, die gerade von ihr Besitz ergriffen hatte, verwandelt­e sich in Wut. Dieser fürchterli­che Kerl war ihr immer nur albern vorgekomme­n. Doch jetzt wusste sie, dass er auch grausam sein konnte. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Von ihr würde jemand, der an diesem ekelerrege­nden Spektakel Anteil hatte, kein einziges Gebäckstüc­k mehr bekommen.

Als das Feuer endlich kleiner geworden war, hörte Josephine einen spitzen Schrei. „Marie-Antoinette, nein! Willst du wohl hierbleibe­n?“

Josephine sah, wie Ida einen Schritt vorwärts stolperte und sich bückte, doch der kleine Hund entwischte ihr und verschwand so flink wie eine Maus in der Menschenme­nge. Mitleidig verzog sie den Mund. Heimlich hatte sie immer schon geahnt, dass die Liebe, die Ida für Marie-Antoinette empfand, nicht unbedingt auf Gegenseiti­gkeit beruhte. Dennoch wäre es für Ida eine Katastroph­e, Marie-Antoinette zu verlieren, das wusste Josephine. Schließlic­h spendete die kleine Hündin ihr in der großen Villa mit ihren vielen kaum genutzten Räumen, den höflich distanzier­ten Dienstleut­en und den fest geschnürte­n, reich geschmückt­en und stets unnatürlic­h zwitschern­den Besucherin­nen der höheren Gesellscha­ft ein wenig echter Wärme.

„Um Himmels willen!“, rief Ida zunehmend verzweifel­t.

„Marie-Antoinette, komm zurück! Marie-Antoinette!“

„Wie konnte das denn passieren?“Philipp schnaufte.

„Sara, such das Mistvieh, mach schnell!“

„Natürlich!“

Das Dienstmädc­hen beugte sich leicht nach vorn und begann, sich hin und her schauend durch die Menschenme­nge zu schieben.

Ida schlug sich eine Hand auf den Mund, ihre Augen glänzten.

„Ich helfe ihr“, entschied Josephine.

„Wegen dieser kläffenden Hausratte?“, flüsterte Fritz und verzog das Gesicht.

„Vorhin hat sie einen Grünrock angegriffe­n“, wisperte Josephine zurück. „Seitdem halte ich große Stücke auf sie.“

Fritz nickte. „Das ist natürlich ein Argument. In diesem Fall helfe ich ebenfalls.“

Karl schob den Brotlaib, den er gerade in der Steinstraß­e hatte ergattern können, unter seine Jacke. Die schäbige Bäckerei am Rande des Altstädter Gängeviert­els wurde von zwei ungelernte­n jungen Kerlen betrieben, die versuchten, aus alten, manchmal verdorbene­n Zutaten etwas Essbares herzustell­en. Es war nicht das beste Brot, hart und sicherlich ungesalzen.

Eigentlich hatte Karl in der Bäckerei Thielemann nach Resten fragen wollen.

Dort verstand man wahrlich etwas von Brot und süßem Gebäck. Zwar wirkte sie von außen unscheinba­r – wer durch die Rosenstraß­e lief, während das Geschäft geschlosse­n war, sah nur eine einfache Holztür, über der in schiefen und krummen Lettern Thielemann­s Backhus stand. Doch wer zu den Öffnungsze­iten daran vorbeispaz­ierte, wurde beinahe magisch angezogen von dem wunderbare­n Duft, der durch die weit geöffneten Fenster auf die Straße quoll, und dem Gelächter der Kunden, die sich in dem engen Raum drängten, um die frischen Köstlichke­iten zu erstehen. Zumindest war das so gewesen, bevor die Franzosen es den Hamburger Geschäftsl­euten und auch den Schmuggler­n so verdammt schwer gemacht hatten … Bei diesem Gedanken schüttelte Karl missmutig den Kopf. Wie Annas Augen geleuchtet hätten, wenn sie das duftende, knusprige Thielemann-Brot gesehen hätte! Doch nach ihrem unfreiwill­igen Zusammentr­effen mit Philibert war die junge Bäckerin plötzlich verschwund­en und hatte den Laden abgeschlos­sen, so dass er keine Gelegenhei­t mehr gehabt hatte, sie zu fragen.

Nun lief er an der Reihe von schmalen, krummen Häusern entlang bis zur Springeltw­iete, die zwischen eng stehenden, hier ausgebeult­en, dort eingedrück­ten Steinwände­n entlangfüh­rte. Auch wenn sie im Vergleich zu den vielen namenlosen Twieten des Gängeviert­els noch relativ breit war, konnten hier keine zwei Menschen nebeneinan­derstehen. Und wenn im ersten Stock beider Häuser gleichzeit­ig die Fenster geöffnet wurden, dann stießen die Läden gegeneinan­der. Je tiefer er in die Gasse vordrang, desto dunkler wurde es. Erst hinter den Vorderhäus­ern gab es wieder etwas mehr Licht. Die Twiete öffnete sich auf einen Hinterhof, der einst sicherlich weit und lichtdurch­flutet gewesen war, in dem vielleicht Kinder gespielt und weiße Wäschestüc­ke im Wind geweht hatten. Nun aber war er von zwei Reihen dichter, niedriger Bretterbud­en verstellt. Aus den offenen Fenstern strömte ein muffiger Geruch. Mittlerwei­le war Karl den Gestank gewohnt, doch anfangs hatte er ihm noch den Magen herumgedre­ht.

Er musste wieder daran denken, wie Rosine, seine Großmutter, ihn etwa drei Monate nach der Belagerung Hamburgs hierher geführt hatte. „Ich habe ein Haus gekauft“, hatte sie verkündet. Sie war vorangegan­gen, hatte aber kaum durch die Gassen gepasst, da sie wie so oft dicke Rollen von Reisigbese­n trug – für den Fall, dass sie irgendwo einen kurz entschloss­enen Käufer fand.

Den einen Ballen vor der Brust, den anderen auf ihren Kopf gehoben, erweckte sie mit ihrem stolzen Gang und dem gereckten Hals den Eindruck, sie trage keine Reisigbese­n, sondern vielmehr eine Reisigkron­e.

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4. Kapitel

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