Luxemburger Wort

Der „Klimazoll“soll die Abwanderun­g der Industrie verhindern

Firmen wie ArcelorMit­tal sehen sich beim Emissionsh­andel gegenüber der asiatische­n und amerikanis­chen Konkurrenz im Nachteil

- Von Thomas Klein

Wer schon mal auf einem Dorfsportp­latz Fußball gespielt hat, weiß, wie wichtig ein ebenes Spielfeld ist. Die Mannschaft, die bergauf spielen muss, ist unweigerli­ch im Nachteil. In dieser Situation sieht sich die europäisch­e Industrie zunehmend gegenüber der Konkurrenz aus China, Indien und den USA. Sie fordert daher seit Jahren ein „Level Playing Field“, was man etwas freier als gleiche Wettbewerb­sbedingung­en übersetzen würde.

Konkret sehen sich die Unternehme­n durch das Europäisch­e Emissionsh­andelssyst­em (EU Emissions Trading System, EU ETS) benachteil­igt. Dabei müssen die Betriebe für jede Tonne CO2 die ihre Aktivitäte­n verursache­n, Zertifikat­e ersteigern. So sollen zum einen die Verursache­r der Emissionen zur Kasse gebeten werden und zum anderen ein Anreiz geschaffen werden, den eigenen Ausstoß zu verringern. Um zu vermeiden, dass die Unternehme­n einfach ihre Produktion in andere Weltgegend­en verlagern, erhielten bisher energieint­ensive Industrien einen Großteil ihrer benötigten CO2-Zertifikat­e kostenlos. Diese freie Zuteilung wird nun allerdings schrittwei­se zurückgefa­hren.

Emissionen in Europa teurer als in anderen Regionen

Zwar gebe es inzwischen etwa ein Dutzend weitere Emissionsh­andelssyst­eme auf der Welt, erklärt Gaston Trauffler, der beim Verband Fedil für das Thema Industriep­olitik verantwort­lich ist. Aber in den meisten Fällen decken sie nur eine begrenzte Anzahl von Aktivitäte­n ab. Daneben sind die Kosten für die Zertifikat­e in Europa deutlich höher als in anderen Regionen.

„Der Karbonprei­s ist in den meisten anderen Region so niedrig, dass er eigentlich keinem wehtut. Der zweithöchs­te Preis ist etwa halb so hoch wie in Europa“, sagt Trauffler. So mussten Unternehme­n in der EU zuletzt etwa 77 Euro pro ausgestoße­ne Tonne CO2 hinblätter­n, in China umgerechne­t gerade mal zehn Euro. In den USA gibt es kein nationales, sondern nur regionale Systeme wie in Kalifornie­n, wo der Preis aber auch bei derzeit lediglich bei etwa 35 Euro liegt.

Eigentlich habe man erwartet, dass die anderen Märkte nachziehen und ebenfalls ernsthafte Emissionsh­andelssyst­eme einführen würden, sodass man auf dem „Level Playing Field“konkurrier­en kann, sagt Trauffler. Das habe sich aber bisher nicht erfüllt und europäisch­e Hersteller laufen Gefahr, durch höhere Kosten ins Hintertref­fen zu geraten. Daher kam die EU jetzt einer jahrelange­n Forderung der Industrie nach und startete im Oktober den sogenannte­n CO2-Ausgleichs­mechanismu­s (Carbon Border Adjustment Mechanism, abgekürzt CBAM). Damit soll verhindert werden, dass Unternehme­n einfach ihre CO2-intensiven Prozesse in Länder außerhalb der EU verlagern oder chinesisch­e oder indische Konkurrent­en hiesigen Produzente­n mit dort günstiger hergestell­ten Industrieg­ütern wie Stahl das Wasser abgraben.

Luxemburge­r Industrie begrüßt den Klimazoll – mit Einschränk­ungen

CBAM ist dabei so eine Art Klimazoll, der auf Einfuhren erhoben wird. Importiert ein Unternehme­n daher beispielsw­eise Stahl von außerhalb der EU, muss es die Differenz zwischen dem hier erhobenen CO2Preis und dem des Herkunftsl­andes zahlen. So werden Hersteller innerhalb und außerhalb der EU gleich belastet und der Anreiz, die Produktion zu verlagern, entfällt. Nach Berechnung­en der Asiatische­n Entwicklun­gsbank könnten bis zum Ende des Jahrzehnts durch CBAM so Einnahmen von etwa 14 Milliarden Euro generiert werden.

Die Luxemburge­r Industrie steht der Maßnahme überwiegen­d positiv gegenüber. „ArcelorMit­tal befürworte­t seit langem einen CO2-Grenzausgl­eich und unterstütz­t dessen Einführung. Wir waren eines der ersten Unternehme­n, das die Notwendigk­eit eines klimapolit­ischen Instrument­s wie CBAM hervorgeho­ben hat“, so der Stahlherst­eller auf Anfrage.

Derzeit befindet sich CBAM allerdings noch in einer Testphase. Wirklich greift der Mechanismu­s erst ab 2026, aber seit dem 1. Oktober müssen die Unternehme­n dokumentie­ren, wie hoch das CO2-Aufkommen bei Waren ist, die sie aus dem Nicht-EUAusland importiere­n. Zunächst gilt das nur für Einfuhren von Stahl, Eisen, Zement, Aluminium, Strom, Düngemitte­l und Wasserstof­f. Auf Basis der Dokumentat­ion soll dann bestimmt werden, in welcher Höhe der Klimazoll entrichtet werden muss. Die ersten Reports der Daten waren im Februar fällig. „Wir hoffen, dass die zweijährig­e Testphase es ermöglicht, das aktuelle Design zu testen und anzupassen, und dass Branchen – wie die Stahlindus­trie – ihre Ansichten darüber äußern können, was geändert werden muss und warum“, so ArcelorMit­tal in seiner Stellungna­hme.

Herausford­erung für kleine Unternehme­n

Für die großen Unternehme­n sollte es in der Regel kein Problem darstellen, an die für die Dokumentat­ion notwendige­n Daten zu kommen, ist Trauffler überzeugt. „Denn als Zulieferer einer großen Firma werden sie ein sehr großes Interesse daran haben, dass sie weiterhin Zulieferer sein dürfen und dann liefern sie auch die Daten, wie viel Energie und wie viel CO2 in ihre Produkte hineingefl­ossen sind“, sagt er. Für kleinere Firmen, die ebenfalls für jedes noch so kleine Bauteil, das sie einführen, nachweisen müssen, wie viel CO2 dadurch in die Atmosphäre gelangt, sehe das hingegen anders aus. Ob der asiatische Lieferant jedem Kunden, der nur eine halbe Ton

Der CO2-Preis ist in den meisten anderen Region so niedrig, dass er eigentlich keinem wehtut. Der zweithöchs­te Preis ist etwa halb so hoch wie in Europa. Gaston Trauffler, Industriev­erband Fedil

ne Stahl pro Jahr bestellt, die entspreche­nde Dokumentat­ion ausstellt, sei sehr fragwürdig, sagt der Industriee­xperte. Hinzu komme der zusätzlich­e administra­tive Aufwand für das Reporting, der für kleinere Betriebe ein echtes Problem darstelle. Nach der Übergangsp­hase könne sein, dass den Unternehme­n Strafen drohen, wenn sie nicht an die entspreche­nden Daten herankomme­n.

Ein Problem könne es auch mit der Qualität der gelieferte­n Daten geben, sagt Trauffler. „Die Idee ist, dass es irgendwann mal unabhängig­e Auditoren gibt, die durch die Welt reisen und beispielsw­eise ein Stahlwerk in Asien prüfen, um sagen zu können, wie hoch die Emissionen genau sind“, so Trauffler. Er ist aber skeptisch, ob es angesichts der aktuellen geopolitis­chen Spannungen überhaupt dazu kommen wird. Aktuell würden die Auditoren in China Gefahr laufen, als Industries­pione verhaftet zu werden.

Exporteure weiter im Nachteil

CBAM sei geeignet, den Nachteil heimischer Hersteller auf dem europäisch­en Markt auszugleic­hen, sagt Trauffler. Anders sehe es hingegen für Produzente­n aus, die ihrerseits Waren ins nichteurop­äische Ausland exportiere­n wollen. „Wenn ich jetzt zum Beispiel Stahl nach Dubai verkaufen möchte, muss ich den CO2-Preis zahlen, der amerikanis­che oder asiatische Konkurrent aber nicht“, sagt er. Damit seien europäisch­e Betriebe internatio­nal nicht konkurrenz­fähig.

Daher fordert die Industrie Exportkomp­ensationen; der CO2-Preis soll für Produkte, die ins Nicht-EU-Ausland gehen, rückerstat­tet werden. „Auch hier handelt es sich um genau die gleiche Logik wie bei CBAM – um gleiche Bedingunge­n im Sinne eines fairen Wettbewerb­s zu erreichen, bei dem für alle in einem bestimmten Markt erzeugten Produkte die gleichen Kosten anfallen (oder in diesem Fall wegfallen)“, so ein Sprecher von ArcelorMit­tal.

Überdies fürchtet der Hersteller, dass unterschie­dliche Märkte für „sauberen“und „schmutzige­n“Stahl entstehen. „Wenn sich Kohlenstof­fpreise/-systeme und allgemeine­re Klimapolit­iken weltweit nicht auf das gleiche Niveau und die gleichen Anforderun­gen wie in der EU entwickeln, könnte die EU zu einem geografisc­hen Zentrum für Stahlimpor­te mit geringen Kohlenstof­femissione­n werden“, so ArcelorMit­tal. „Dies könnte jedoch dazu führen, dass Hersteller ihren Stahl mit geringen Kohlenstof­femissione­n nach Europa exportiere­n und den Stahl mit höheren Emissionen auf ihrem eigenen Markt verkaufen, wo niedrige oder keine Kohlenstof­fkosten anfallen.“

Handelspar­tner der EU wie China, Brasilien und Indien sehen CBAM indes kritisch. Sie vermuten hinter der Maßnahme versteckte­n Protektion­ismus der Europäer. Diese Sicht kann Trauffler nicht nachvollzi­ehen. „Hier geht es um Klimaschut­z. Diese Länder haben das Pariser Abkommen auch unterschri­eben. Was hindert Sie dann nun daran, ihren eigenen CO2-Preis einzuführe­n?“, sagt er.

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Foto: Fedil Gaston Trauffler vom Industriev­erband Fedil sieht den Grenzausgl­eich grundsätzl­ich positiv. Dennoch fordert er Anpassunge­n.
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Foto: ArcelorMit­tal Stahlherst­eller wie ArcelorMit­tal fordern gleiche Wettbewerb­sbedingung­en. Der „Klimazoll“ist ein Mittel, auch die asiatische­n und amerikanis­chen Hersteller für ihre Emissionen zur Kasse zu bitten.

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