Der „Klimazoll“soll die Abwanderung der Industrie verhindern
Firmen wie ArcelorMittal sehen sich beim Emissionshandel gegenüber der asiatischen und amerikanischen Konkurrenz im Nachteil
Wer schon mal auf einem Dorfsportplatz Fußball gespielt hat, weiß, wie wichtig ein ebenes Spielfeld ist. Die Mannschaft, die bergauf spielen muss, ist unweigerlich im Nachteil. In dieser Situation sieht sich die europäische Industrie zunehmend gegenüber der Konkurrenz aus China, Indien und den USA. Sie fordert daher seit Jahren ein „Level Playing Field“, was man etwas freier als gleiche Wettbewerbsbedingungen übersetzen würde.
Konkret sehen sich die Unternehmen durch das Europäische Emissionshandelssystem (EU Emissions Trading System, EU ETS) benachteiligt. Dabei müssen die Betriebe für jede Tonne CO2 die ihre Aktivitäten verursachen, Zertifikate ersteigern. So sollen zum einen die Verursacher der Emissionen zur Kasse gebeten werden und zum anderen ein Anreiz geschaffen werden, den eigenen Ausstoß zu verringern. Um zu vermeiden, dass die Unternehmen einfach ihre Produktion in andere Weltgegenden verlagern, erhielten bisher energieintensive Industrien einen Großteil ihrer benötigten CO2-Zertifikate kostenlos. Diese freie Zuteilung wird nun allerdings schrittweise zurückgefahren.
Emissionen in Europa teurer als in anderen Regionen
Zwar gebe es inzwischen etwa ein Dutzend weitere Emissionshandelssysteme auf der Welt, erklärt Gaston Trauffler, der beim Verband Fedil für das Thema Industriepolitik verantwortlich ist. Aber in den meisten Fällen decken sie nur eine begrenzte Anzahl von Aktivitäten ab. Daneben sind die Kosten für die Zertifikate in Europa deutlich höher als in anderen Regionen.
„Der Karbonpreis ist in den meisten anderen Region so niedrig, dass er eigentlich keinem wehtut. Der zweithöchste Preis ist etwa halb so hoch wie in Europa“, sagt Trauffler. So mussten Unternehmen in der EU zuletzt etwa 77 Euro pro ausgestoßene Tonne CO2 hinblättern, in China umgerechnet gerade mal zehn Euro. In den USA gibt es kein nationales, sondern nur regionale Systeme wie in Kalifornien, wo der Preis aber auch bei derzeit lediglich bei etwa 35 Euro liegt.
Eigentlich habe man erwartet, dass die anderen Märkte nachziehen und ebenfalls ernsthafte Emissionshandelssysteme einführen würden, sodass man auf dem „Level Playing Field“konkurrieren kann, sagt Trauffler. Das habe sich aber bisher nicht erfüllt und europäische Hersteller laufen Gefahr, durch höhere Kosten ins Hintertreffen zu geraten. Daher kam die EU jetzt einer jahrelangen Forderung der Industrie nach und startete im Oktober den sogenannten CO2-Ausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, abgekürzt CBAM). Damit soll verhindert werden, dass Unternehmen einfach ihre CO2-intensiven Prozesse in Länder außerhalb der EU verlagern oder chinesische oder indische Konkurrenten hiesigen Produzenten mit dort günstiger hergestellten Industriegütern wie Stahl das Wasser abgraben.
Luxemburger Industrie begrüßt den Klimazoll – mit Einschränkungen
CBAM ist dabei so eine Art Klimazoll, der auf Einfuhren erhoben wird. Importiert ein Unternehmen daher beispielsweise Stahl von außerhalb der EU, muss es die Differenz zwischen dem hier erhobenen CO2Preis und dem des Herkunftslandes zahlen. So werden Hersteller innerhalb und außerhalb der EU gleich belastet und der Anreiz, die Produktion zu verlagern, entfällt. Nach Berechnungen der Asiatischen Entwicklungsbank könnten bis zum Ende des Jahrzehnts durch CBAM so Einnahmen von etwa 14 Milliarden Euro generiert werden.
Die Luxemburger Industrie steht der Maßnahme überwiegend positiv gegenüber. „ArcelorMittal befürwortet seit langem einen CO2-Grenzausgleich und unterstützt dessen Einführung. Wir waren eines der ersten Unternehmen, das die Notwendigkeit eines klimapolitischen Instruments wie CBAM hervorgehoben hat“, so der Stahlhersteller auf Anfrage.
Derzeit befindet sich CBAM allerdings noch in einer Testphase. Wirklich greift der Mechanismus erst ab 2026, aber seit dem 1. Oktober müssen die Unternehmen dokumentieren, wie hoch das CO2-Aufkommen bei Waren ist, die sie aus dem Nicht-EUAusland importieren. Zunächst gilt das nur für Einfuhren von Stahl, Eisen, Zement, Aluminium, Strom, Düngemittel und Wasserstoff. Auf Basis der Dokumentation soll dann bestimmt werden, in welcher Höhe der Klimazoll entrichtet werden muss. Die ersten Reports der Daten waren im Februar fällig. „Wir hoffen, dass die zweijährige Testphase es ermöglicht, das aktuelle Design zu testen und anzupassen, und dass Branchen – wie die Stahlindustrie – ihre Ansichten darüber äußern können, was geändert werden muss und warum“, so ArcelorMittal in seiner Stellungnahme.
Herausforderung für kleine Unternehmen
Für die großen Unternehmen sollte es in der Regel kein Problem darstellen, an die für die Dokumentation notwendigen Daten zu kommen, ist Trauffler überzeugt. „Denn als Zulieferer einer großen Firma werden sie ein sehr großes Interesse daran haben, dass sie weiterhin Zulieferer sein dürfen und dann liefern sie auch die Daten, wie viel Energie und wie viel CO2 in ihre Produkte hineingeflossen sind“, sagt er. Für kleinere Firmen, die ebenfalls für jedes noch so kleine Bauteil, das sie einführen, nachweisen müssen, wie viel CO2 dadurch in die Atmosphäre gelangt, sehe das hingegen anders aus. Ob der asiatische Lieferant jedem Kunden, der nur eine halbe Ton
Der CO2-Preis ist in den meisten anderen Region so niedrig, dass er eigentlich keinem wehtut. Der zweithöchste Preis ist etwa halb so hoch wie in Europa. Gaston Trauffler, Industrieverband Fedil
ne Stahl pro Jahr bestellt, die entsprechende Dokumentation ausstellt, sei sehr fragwürdig, sagt der Industrieexperte. Hinzu komme der zusätzliche administrative Aufwand für das Reporting, der für kleinere Betriebe ein echtes Problem darstelle. Nach der Übergangsphase könne sein, dass den Unternehmen Strafen drohen, wenn sie nicht an die entsprechenden Daten herankommen.
Ein Problem könne es auch mit der Qualität der gelieferten Daten geben, sagt Trauffler. „Die Idee ist, dass es irgendwann mal unabhängige Auditoren gibt, die durch die Welt reisen und beispielsweise ein Stahlwerk in Asien prüfen, um sagen zu können, wie hoch die Emissionen genau sind“, so Trauffler. Er ist aber skeptisch, ob es angesichts der aktuellen geopolitischen Spannungen überhaupt dazu kommen wird. Aktuell würden die Auditoren in China Gefahr laufen, als Industriespione verhaftet zu werden.
Exporteure weiter im Nachteil
CBAM sei geeignet, den Nachteil heimischer Hersteller auf dem europäischen Markt auszugleichen, sagt Trauffler. Anders sehe es hingegen für Produzenten aus, die ihrerseits Waren ins nichteuropäische Ausland exportieren wollen. „Wenn ich jetzt zum Beispiel Stahl nach Dubai verkaufen möchte, muss ich den CO2-Preis zahlen, der amerikanische oder asiatische Konkurrent aber nicht“, sagt er. Damit seien europäische Betriebe international nicht konkurrenzfähig.
Daher fordert die Industrie Exportkompensationen; der CO2-Preis soll für Produkte, die ins Nicht-EU-Ausland gehen, rückerstattet werden. „Auch hier handelt es sich um genau die gleiche Logik wie bei CBAM – um gleiche Bedingungen im Sinne eines fairen Wettbewerbs zu erreichen, bei dem für alle in einem bestimmten Markt erzeugten Produkte die gleichen Kosten anfallen (oder in diesem Fall wegfallen)“, so ein Sprecher von ArcelorMittal.
Überdies fürchtet der Hersteller, dass unterschiedliche Märkte für „sauberen“und „schmutzigen“Stahl entstehen. „Wenn sich Kohlenstoffpreise/-systeme und allgemeinere Klimapolitiken weltweit nicht auf das gleiche Niveau und die gleichen Anforderungen wie in der EU entwickeln, könnte die EU zu einem geografischen Zentrum für Stahlimporte mit geringen Kohlenstoffemissionen werden“, so ArcelorMittal. „Dies könnte jedoch dazu führen, dass Hersteller ihren Stahl mit geringen Kohlenstoffemissionen nach Europa exportieren und den Stahl mit höheren Emissionen auf ihrem eigenen Markt verkaufen, wo niedrige oder keine Kohlenstoffkosten anfallen.“
Handelspartner der EU wie China, Brasilien und Indien sehen CBAM indes kritisch. Sie vermuten hinter der Maßnahme versteckten Protektionismus der Europäer. Diese Sicht kann Trauffler nicht nachvollziehen. „Hier geht es um Klimaschutz. Diese Länder haben das Pariser Abkommen auch unterschrieben. Was hindert Sie dann nun daran, ihren eigenen CO2-Preis einzuführen?“, sagt er.