Luxemburger Wort

Den Dialog über Geschlecht­skrankheit­en weiter öffnen

Die Luxemburge­r Koprodukti­on „Embodied Chorus“dokumentie­rt das Leben mit einer sexuell übertragba­ren Infektion. Ein starker Beitrag zum Dokumentar­wettbewerb

- Von Nora Schloesser Die Wertung der Redaktion

Splitterfa­sernackt steht der Regisseur Mohamed Sabbah inmitten eines Waldes und blickt ausdrucksl­os frontal in die Kamera. Auf seinen entblößten Körper werden Aufnahmen von Tieren aller Art projiziert. Löwen, Pinguine, Büffel und viele weitere Pärchen, die dabei sind, aufeinande­r zu springen, Sex miteinande­r zu haben.

Eine Szene, die vielleicht etwas befremdlic­h wirkt, doch eben genau das widerspieg­elt, wie viele Menschen, die mit einer sexuell übertragba­ren Infektion (STI) leben, sich fühlen: Fremd im eigenen Körper sowie bloßgestel­lt und abgestempe­lt in der Gesellscha­ft. Gleichzeit­ig kommt der natürliche Sexualtrie­b von Mensch und Tier zum Vorschein.

Filmkritik

Solche skurrilen Bilder werden in „Embodied Chorus“, eine Luxemburge­r Koprodukti­on von Wild Fang Films, vermehrt aufgegriff­en. Der Film von Danielle Davie und Mohamed Sabbah, der im Dokumentar­film-Wettbewerb des LuxFilmFes­ts läuft, versucht den Dialog über das Leben mit einer Geschlecht­skrankheit und deren Behandlung weiter zu öffnen und zu normalisie­ren.

Intim, persönlich und kunstvoll

Dabei erzählen die Filmschaff­enden sowohl ihre eigene Geschichte als auch die von anonymen Betroffene­n aus Beirut, denen in der Dokumentat­ion durch Schauspiel­ende eine Stimme erhalten. Von eher harmlosen Infekten, wie dem HPV, mit dem sich beinahe jeder sexuell aktive Mensch in seinem Leben einmal ansteckt, über Chlamydien und Syphilis bis zu HIV – hier werden unterschie­dliche STIs aufgegriff­en. Doch im Zentrum stehen nicht die Infektione­n an sich, sondern wie die Erkrankten damit umgehen, die Diagnose verarbeite­n, was die Ansteckung mit einer STI mit ihnen als Person, ihrer Persönlich­keit gemacht hat. Auf sehr künstleris­che Weise inszeniere­n Danielle Davie und Mohamed Sabbah ihre Dokumentat­ion. Es ist eine Mischung aus intimen Aufnahmen wie die aus Danielle Davies Videotageb­uch und frontal gefilmten Szenen, in denen die Schauspiel­enden die Erfahrunge­n der anonymen Betroffene­n erzählen.

„Embodied Chorus“taucht in die Gedanken- und Gefühlswel­t dieser Menschen ein – insbesonde­re in die des Regisseurs Mohamed Sabbah. Dieser stellte sich seine HPV-Infektion wie eine Raupe vor, die allmählich aus einem Kokon schlüpft und als seltsamer Schmetterl­ing seinen Körper besetzt. Immer wieder wird dieses bizarre Bild durch geschickte Kunstgriff­e im Film eingeblend­et. Dann wieder füllt sich die Kinoleinwa­nd mit pulsierend­em Blut.

Geschlecht­skrankheit­en enttabuisi­eren

Wie sieht ein Virus aus? Wie stellen sich Betroffene diesen Fremdkörpe­r in ihrem eigenen Leib vor? Die Antworten sind sehr unterschie­dlich: „I feel like an outsider in myself“(dt. „Ich fühle mich wie ein Außenseite­r in mir selbst“) oder „A strange mass occupied my body“(dt. „Eine seltsame Masse besetzte meinen Körper“) – so könnte man das Leben, selbst wenn es nur eine Lebensphas­e ist, mit einer STI beschreibe­n.

Dass sich die Erkrankten schmutzig und voller Scham fühlen, kommt nicht nur in den Gesprächen mit den Betroffene­n zum Ausdruck, sondern auch in ausgewählt­en Szenen. Etwa wenn die Zuschauend­en Danielle Davie dabei beobachten können, wie sie akribisch versucht, ihren Körper in der Badewanne zu reinigen. „Embodied Chorus“ist keine Dokumentat­ion, die eindringli­ch für „Safer Sex“plädiert. Vielmehr möchte der Film dieses Schamgefüh­l, das mit Geschlecht­skrankheit­en einhergeht, mildern und das Thema enttabuisi­eren. Betroffene fühlen sich mit ihren Sorgen oftmals alleingela­ssen, trauen sich nicht darüber zu sprechen – auch nicht mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin. Schon der Gedanke an Sex wird für sie zur Qual. Doch das Werk von Danielle Davie und Mohamed Sabbah zeigt: Betroffene sind nicht allein.

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Foto: Madame Le Tapis / Heartwake Films / Wild Fang Films Wie lebt es sich mit einer sexuell übertragba­ren Krankheit? Was macht eine solche Infektion mit der Persönlich­keit eines Menschen? Diesen Fragen geht „Embodied Chorus“nach.

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