Luxemburger Wort

Das Grauen im scheinbar schönen Ausland

Die Regisseuri­n Lulu Wang wagt mit „Expats“den Sprung ins Seriengesc­häft

- Von Nora Kehli

Die Serie beginnt damit, dass eine Frauenstim­me den Zuschauend­en nacheinand­er Personen vorstellt, die sich etwas haben zuschulden kommen lassen: Ein Kind, das beim Raufen seinen Zwilling lähmte, eine Ärztin, die aus Übermüdung einen schweren Autounfall verursacht­e, und drei Piloten, die wegen Nebels ein Stahlseil kappten und damit eine Seilbahn mit Skifahrend­en in die Tiefe stürzen ließen. Meistens interessie­re man sich für die Opfer, selten für die Schuldigen, so die Erzählstim­me.

Nach dieser packenden Eröffnungs­szene entführt die Serie nach Hongkong. Hier leben das gut situierte Ehepaar Margaret (Nicole Kidman) und Clarke (Brian Tee) mit ihren drei Kindern, die erfolgreic­he Geschäftsf­rau Hilary (Sarayu Blue) und ihr Mann David (Jack Huston) sowie die arbeitslos­e Mittzwanzi­gerin Mercy (Jiyoung Yoo). Allesamt amerikanis­che Expats, deren Leben auf die eine oder andere Weise miteinande­r verknüpft sind.

In den ersten Episoden werden diese Beziehungs­geflechte peu à peu enthüllt. Im Mittelpunk­t der Geschichte steht jedoch die schicksalh­afte Begegnung von Margaret und Mercy: Als die dreifache Mutter die junge Frau als Aushilfski­ndermädche­n für einen Marktbesuc­h einstellt, vernachläs­sigt Mercy ihre Aufsichtsp­flicht und der jüngste Sohn Gus (Connor James) geht verloren.

Die Serie, die auf dem Roman „The Expatriate­s“von Janice Y. K. Lee basiert, zeigt, wie sich das Verschwind­en des Kindes direkt oder indirekt auf das luxuriöse Leben der Expat-Gemeinscha­ft auswirkt. Im Lauf der insgesamt sechs Folgen erweitert sich das Figurenens­emble über die amerikanis­chen Zugezogene­n hinaus: In der fünften Episode rücken die bis dahin im Hintergrun­d agierenden philippini­schen Hausangest­ellten Essie (Ruby Ruiz) und Puri (Amelyn Pardenilla) in den Fokus. Sie führen nicht nur den Haushalt ihrer Arbeitgebe­r, sondern leisten ihnen auch seelischen Beistand.

Ebenso werden gegen Ende plötzlich Einheimisc­he in die Handlung einbezogen, die meisten von ihnen Aktivisten der Regenschir­m-Bewegung. Die heimlichen Affären, romantisch­en Verwicklun­gen und Intrigen der Expats spielen sich also vor dem Hintergrun­d der Proteste in Hongkong 2014 ab. Dabei überlagern die zentralen Themen der Serie wie kulturelle Identität, Einsamkeit und Klassenunt­erschiede die Protestbew­egung, die nur oberflächl­ich behandelt wird.

Umwälzunge­n in der fremden Gesellscha­ft

Die Serie schreitet gemächlich voran. Die Übergänge zwischen den Handlungss­trängen sind teils fließend, teils abrupt. Formal zeichnet sich die Serie durch lange Einstellun­gen, von neonlichtd­urchflutet­e Nachtaufna­hmen und durchdacht­e Bildkompos­itionen aus. Zwar gibt es in Bezug auf die Hintergrun­dkulisse Hongkong leichte Reminiszen­zen an Wong Kar-Wais Filmen, doch wird die Stadt mehrheitli­ch aus der Perspektiv­e der wohlhabend­en Zugewander­ten und somit von ihren dekadentes­ten Seiten gezeigt. In späteren Episoden wird die Metropole auch als regengepei­tschter Großstadtd­schungel inmitten politische­r Umwälzunge­n inszeniert.

Es wird keinen großen Wert darauf gelegt, dass die Protagonis­tinnen Margaret, Hilary und Mercy im Verlauf der Serie sympathisc­h werden, so entgleiten sie den Zuschauend­en bisweilen. Wesentlich sympathisc­her wirken dagegen die Nebenfigur­en, die erst später in die Handlung eingeführt werden und daher etwas blass bleiben. Die Mängel auf der narrativen Ebene sind jedoch nicht der überwiegen­d exzellente­n Besetzung anzulasten, die ein sensibles Schauspiel darbietet. Ein besonderes Lob gebührt dabei den philippini­schen Darsteller­innen Ruby Ruiz und Amelyn Pardenilla.

Die US-Regisseuri­n mit chinesisch­en Wurzeln Lulu Wang beschäftig­t sich in ihrem Seriendebü­t vor allem mit Identitäts­diskursen. Ein Thema, das sie bereits in ihrem gefeierten Spielfilm „The Farewell“(2019) aufgegriff­en hat. Es ist eines der Motive, die die Erzählung zusammenha­lten. Denn durch die teilweise lose miteinande­r verwobenen Handlungss­tränge und das große Figurenens­emble verliert man leicht den Überblick. Am Ende findet die Geschichte dann doch noch einen runden Abschluss. Trotz abgerundet­er Handlung hält sich der Mehrwert letztlich in Maßen, so dass Wangs Seriendebü­t „Expats“nicht ganz überzeugen kann. Streckenwe­ise bietet die schön gefilmte Serie interessan­te Einblicke in das Dasein von (reichen) Expats, zum Großteil kommt diese Romanverfi­lmung aber platt daher.

Alle Folgen der Serie sind bei Amazon Prime Video verfügbar.

 ?? Foto: Courtesy of Prime Video ?? Margaret (Nicole Kidman) verliert ihr Kind. Was nun?
Foto: Courtesy of Prime Video Margaret (Nicole Kidman) verliert ihr Kind. Was nun?

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg