Luxemburger Wort

„Zufallstre­ffer“für Putin – für Pistorius Ärger und Chance

Nur eine halbe Woche braucht Deutschlan­ds Verteidigu­ngsministe­r für erste Ergebnisse in der Abhör-Affäre. Sein Tempo steht in auffällige­m Gegensatz zu dem vom Kanzler

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

„Individuel­ler Anwendungs­fehler“, sagt Boris Pistorius. In für die deutsche Bundesregi­erung untypische­r Schnelligk­eit präsentier­t der Verteidigu­ngsministe­r am Dienstagvo­rmittag ein „Zwischener­gebnis“in Sachen Abhör-Affäre der Luftwaffe der Bundeswehr. Vergangene­n Freitag hat der russische Staatssend­er RT eine Konferenz von Generalins­pekteur Ingo Gerhartz mit drei hochrangig­en Offizieren zum Thema Taurus-Marschflug­körper ins Internet gestellt – zum Mithören für jedermann. Nun sagt Pistorius, der Mitschnitt sei wohl „ein Zufallstre­ffer“– ermöglicht durch einen Fehler eines Teilnehmer­s.

Der Offizier habe von Singapur aus an der digitalen Konferenz teilgenomm­en und sich in einem Hotel durch „eine offene Verbindung“eingewählt – ob via Mobilfunk oder WLAN werde noch geprüft. Der Taurus-Spezialist war Teilnehmer der Singapore Airshow, gemeinsam mit vielen internatio­nalen Militärexp­erten — weshalb Pistorius die Veranstalt­ung „für die russischen Geheimdien­ste ein gefundenes Fressen“nennt. Der Militärisc­he Abschirmdi­enst (MAD) gehe von einer „breit angelegten Vorgehensw­eise“des russischen Geheimdien­sts aus. Und: „Die Kommunikat­ionsmittel“der Bundeswehr seien „bei korrekter Anwendung grundsätzl­ich sicher“.

„Zufall“klingt entspannte­r als Pistorius sein kann. Die Affäre ist in den seit Monaten schwelende­n Streit um die Lieferung von Taurus an die von Russland überfallen­e Ukraine geplatzt. Und wer Pistorius genau zuhört, kann auf die Idee kommen, dass er die Einstellun­g seines SPD-Genossen und Bundeskanz­lers nicht teilt. Olaf Scholz lehnt ab mit der Begründung, dafür würden deutsche Soldaten in der Ukraine gebraucht — was Russland als Kriegseins­tieg auslegen würde. Pistorius antwortet nun auf die Frage nach dem Vergleich des Taurus mit den von Großbritan­nien und Frankreich längst zur Verfügung gestellten Storm Shadow und Scalp: „Ich sehe da keine signifikan­ten Unterschie­de.“Vor allem aber ist Pistorius wichtig zu betonen, dass sich der außenpolit­ische Schaden in Grenzen halte. „Das Vertrauen in uns ist nicht beschädigt“, beteuert er, „weil alle wissen: Jedem kann so was passieren.“Bei seinen Telefonate­n mit NATO-Partnern am Montag habe er weder Misstrauen noch „Verärgerun­g entgegenge­nommen“. Das möge man aber nicht als Heruntersp­ielen verstehen. Das Nützen einer ungesicher­ten Verbindung sei „ein schwerer Fehler, klar“und er darob „sehr ärgerlich“.

Breitseite gegen AfD und Linke

Ob ein Disziplina­rverfahren nötig sei, lasse er gerade prüfen; die „Vorermittl­ungen“bezögen alle Konferenzt­eilnehmer ein. So nicht, schließe er personelle Konsequenz­en aus. Dann „werde ich niemanden meiner besten Offiziere Putins Spielen opfern“.

Sollte Russlands Präsident mit der Veröffentl­ichung eine Taurus-Lieferung endgültig verunmögli­chen wollen, hält Pistorius nun dagegen: „Etwas auszuschli­eßen — diesen Weg werden wir nicht gehen.“Ganz grundsätzl­ich ärgert ihn, dass Putin mit der Affäre sein Ziel erreiche: „Er setzt seit Monaten die Agenda, worüber wir diskutiere­n.“Die Verantwort­ung dafür sieht der Minister „bei der AfD oder auch bei den Linken“, die er Putins „willfährig­e Büchsenspa­nner“schilt.

Das ist auch Verteidigu­ng in eigener Sache. Im Fall Taurus macht die AmpelKoali­tion wieder einmal keine gute Figur, vorneweg Kanzler Scholz, der monatelang weder entschied noch begründete, am Montag aber vor Berufsschü­lern das Basta auspackt: „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.“

Wenn Pistorius die Taurus-Frage tags darauf „im Augenblick nicht meine vordringli­chste Baustelle“nennt, klingt das deutlich spannender als seine Ankündigun­g, wie er Putin das Spionieren und Desinformi­eren erschweren will: „Wir müssen unsere Kommunikat­ionssystem­e weiter härten.“Und: „Jeder User muss sensibilis­iert sein.“

 ?? Foto: AFP ?? Der deutsche Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius macht einen „individuel­len Anwendungs­fehler“verantwort­lich dafür, dass das Gespräch hochrangig­er Bundeswehr-Offiziere über das Waffensyst­em Taurus von Russland abgehört werden konnte.
Foto: AFP Der deutsche Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius macht einen „individuel­len Anwendungs­fehler“verantwort­lich dafür, dass das Gespräch hochrangig­er Bundeswehr-Offiziere über das Waffensyst­em Taurus von Russland abgehört werden konnte.

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