Luxemburger Wort

Ein Gruppenver­brechen Minderjähr­iger wird zum Wahlkampft­hema

In Österreich hat ein besonders abscheulic­her Fall von sexuellem Missbrauch durch Jugendlich­e eine Debatte um die Herabsetzu­ng der Strafmündi­gkeit ausgelöst

- Von Stefan Schocher

Wenn Wahlkampf ist und es um die Verkündung knackiger Botschafte­n geht, dann ist die kleinforma­tige Kronenzeit­ung das Medium der Wahl von Kanzler Karl Nehammer. Und diese Botschaft des Kanzlers, treffsiche­r serviert am Sonntag, hat es in sich: Das Alter für die Strafmündi­gkeit solle man senken. „Wir müssen schonungsl­os darüber sprechen, was falsch läuft und wo der Rechtsstaa­t nicht genügend Möglichkei­ten bietet, einzuschre­iten“, so Nehammer.

Delinquent­e Jugendlich­e könnten nicht ausreichen­d bestraft werden. Und, so der Kanzler weiter, wenn Kinder delinquent werden, dann müsse man auch überlegen, wie die Werkzeuge der Jugendwohl­fahrt ein „stärkerer Hebel“sein könnten – de facto eine Drohung mit dem Entzug von Erziehungs­verantwort­ung. Dem aber nicht genug: Man müsse auch darüber nachdenken, wie man die Eltern zur Haftung führen könne.

Verdächtig­e sind zwischen 13 und 18 Jahren alt

Diese Ansagen kommt nicht aus dem Nichts. Der Anlass ist ein besonders abscheulic­her Fall von sexuellem Missbrauch in Wien, der in der Vorwoche bekannt wurde. Ein zum Tatzeitpun­kt zwölf Jahre altes Mädchen soll von einer Gruppe Jugendlich­er von Februar 2023 bis Juni 2023 unzählige Male sexuell missbrauch­t, vergewalti­gt, dabei gefilmt und mit dem Material in weiterer Folge erpresst und gefügig gemacht worden sein. Zu den Handlungen sei es mehrmals pro Woche gekommen, hieß es – in einem Park, auf Toiletten, in Stiegenhäu­sern, Garagen, Wohnungen der Tatverdäch­tigen und in zumindest einem Fall auch einem Hotelzimme­r. Der Tat verdächtig­t werden in Summe 17 Jugendlich­e im Al

ter zwischen 13 und 18 Jahren. Nach österreich­ischem Recht gilt für sie das Jugendstra­frecht. Bis auf einen 16-Jährigen, der sich bei der Verhaftung widersetzt­e, wurden folglich auch alle auf freiem Fuß angezeigt. Weitere Ermittlung­en laufen. Aber schon die bekannten Eckdaten bringen den anrollende­n Wahlkampf zum Wallen. Während die Junioren in der Koalition, die Grünen, „Anlass-Gesetzgebu­ng“strikt ablehnen, hat der Fall im rechten Lager der Republik wieder einmal einen Wettlauf um die härtere Linie entfacht. Kanzler Nehammer (ÖVP) hat seine Parteikoll­egen, Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler und Innenminis­ter Gerhard Karner, bereits angewiesen, ein Maßnahmenp­aket zu erarbeiten.

Viel eher sollte in Prävention und die oft stiefmütte­rlich behandelte Jugendpsyc­hiatrie investiert werden.

Bei Experten stößt das auf klare Ablehnung. Für „überhaupt nicht sinnvoll“hält etwa Thomas Marechek vom Verein Neustart die Idee einer Herabsetzu­ng der Strafmündi­gkeit. Neustart kümmert sich im Auftrag des Justizmini­steriums um Bewährungs­hilfe. Also um genau das, was nach einer Haftstrafe passiert. Thomas Marechek sagt: Im Gefängnis lerne man, „wie man sich im Gefängnis zurecht findet – nicht mehr“. Und das sei absolut nicht das, „was man in einem Erwachsene­nleben braucht, das frei von Kriminalit­ät sein sollte“.

Eine stiefmütte­rlich behandelte Jugendpsyc­hiatrie

Viel eher sollte in Prävention und die oft stiefmütte­rlich behandelte Jugendpsyc­hiatrie investiert werden. Denn es sei bekannt, dass vor allem „die Jugendlich­en Probleme machen, die diese Probleme selbst auch haben“. Das Strafrecht sei aber nicht die Lösung dieser Probleme. Dazu sei das Strafrecht nicht da. Zudem führe es am Ziel vorbei, Eltern zu belangen, die vielleicht ohnehin ein Problem hätten, Zugang zu ihrem Kind zu erhalten.

Die politische Debatte verzerrt zudem das Gesamtbild. Denn während in der öffentlich­en Wahrnehmun­g Jugendkrim­inalität exorbitant zunimmt, zeigt die Zahl der Verurteilu­ngen wegen Gewaltdeli­kten genau das Gegenteil. Was allerdings steigt, ist die Zahl der Anzeigen. Die Gründe dafür: Eine höhere Bereitscha­ft zur Anzeige und vor allem auch der Umstand, dass Kinder viel öfter mit Wertgegens­tänden unterwegs seien, wie Thomas Marechek sagt: „Wenn früher in einem Streit ein Federpenal (eine Federmappe, Anm. d. R.) ruiniert wurde, so ist das heute oft ein Telefon um 700 Euro.“Und noch ein Faktor ist, was den Anstieg der Anzeigen angeht: Eine vom heutigen FPÖ-Chef Herbert Kickl in dessen Zeit als Innenminis­ter (2017 – 2019) eingeführt­e neue Zählweise nach Delikten und nicht nach Delinquent­en.

Kickl ist nach wie vor der Elefant im Raum: Der FPÖ steht nach aktuellem Umfragesta­nd ein haushoher Wahlsieg (um die 30 Prozent) bevor. Kickl warf Nehammer jetzt vor, „Kopiermasc­hine freiheitli­cher Positionen“zu sein. In dieser Tonalität geht es weiter: Zugleich sprach Kickl von einem „Multikulti-Verbrechen“und einer Gefährdung der Bevölkerun­g durch „kulturfrem­de Personen“. Die Tatverdäch­tigen sind österreich­ische, syrische und türkische Staatsbürg­er. In Boulevardm­edien ist nur mehr von „17 Migranten“die Rede.

 ?? Foto: dpa ?? Die österreich­ische Polizei hat 17 Tatverdäch­tige ermittelt.
Foto: dpa Die österreich­ische Polizei hat 17 Tatverdäch­tige ermittelt.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg