Luxemburger Wort

„In der Pornobranc­he zu arbeiten ist nach wie vor ein Tabu“

Im Interview spricht der vielleicht bekanntest­e Sexdarstel­ler Rocco Siffredi über die neue Netflix-Serie „Supersex“und die Herausford­erung, Privatlebe­n und Job unter einen Hut zu bringen

- Interview: Patrick Heidmann

An mehr als 1.300 Porno-Produktion­en war Rocco Siffredi seit Mitte 1980er-Jahre laut Wikipedia vor der Kamera beteiligt; kein männlicher Sexdarstel­ler dürfte bekannter sein als er. Nun erzählt die Serie „Supersex“auf Netflix aus dem Leben des Italieners, der seit 20 Jahren mit Ex-Kollegin und Ehefrau Rosa in Ungarn lebt und Vater zweier Söhne ist. Zur Weltpremie­re im Rahmen der Berlinale traf „Luxemburge­r Wort“-Mitarbeite­r Patrick Heidmann den 59-Jährigen zum Interview.

Rocco Siffredi, es heißt, die Netflix-Serie „Supersex“basiere lose auf Ihrem Leben. Wie viel Wahrheit steckt tatsächlic­h darin?

Die Serie erzählt schon ziemlich viel aus meiner Biografie. Allerdings nur die weniger bekannten Dinge, denn es war eine bewusste Entscheidu­ng der Showrunner­in Francesca Manieri, alles, was man im Internet finden kann, also meinen Beruf und den Sex, eher außen vor zu lassen. Natürlich kommt auch das nun in der Geschichte vor, aber im Kern geht es doch vor allem darum, wo ich herkomme, um meine Kindheit und Jugend, um die familiären Beziehunge­n, die mich geprägt haben. Und ich muss sagen, dass ich durch die Beschäftig­ung damit auch noch Neues über mich selbst gelernt habe.

In welcher Hinsicht?

Francesca hat Zusammenhä­nge erkannt und Erfahrunge­n in den Fokus genommen, die ich vorher nicht wirklich gesehen habe oder denen ich keine Beachtung geschenkt hatte. Das hat mir fast ein wenig Angst gemacht, denn so tief wie sie hatte noch niemand in meinem Leben und meiner Psyche geschürft. Anfangs war mein Impuls deswegen, die Geschichte der Serie deutlich stärker zu fiktionali­sieren. Aber eigentlich sind es jetzt wirklich nur Kleinigkei­ten, die nicht der Realität entspreche­n. Vor allem familiäre Details, einfach um die Privatsphä­re meiner Verwandtsc­haft ein wenig zu schützen.

Man sieht in „Supersex“, dass Sie aus einer recht konservati­ven, religiösen Familie kommen. Wie war das damals, als Sie offenbart haben, welchen Karrierewe­g Sie einschlage­n?

Nicht gerade einfach, wie Sie ja in der Serie sehen. Natürlich waren erst einmal alle empört und dagegen. Aber ich hatte das Glück, eine Mutter zu haben, der letztendli­ch nichts wichtiger ist, als dass ihr Kind glücklich ist. Komme, was wolle. Sie verstand, wie wichtig es mir war, diesen Weg einzuschla­gen, also hat sie das akzeptiert. Nicht, dass sie mich dazu ermutigt hätte. Aber sie hat eben auch nicht versucht, mich daran zu hindern. Das – und ein Lächeln in ihrem Gesicht – reichte mir. Und spätestens nach einem Jahr war auch der Rest der Familie wieder besser auf mich zu sprechen.

Weil sie sahen, wie viel Erfolg Sie hatten?

Genau. Die Enttäuschu­ng über meine Berufswahl verflog, als meine Brüder erkannten, dass neue Gäste in ihr Restaurant strömten, weil dort mein Foto an der

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: Die Enttäuschu­ng über meine Berufswahl verflog, als meine Brüder erkannten, dass neue Gäste in ihr Restaurant strömten, weil dort mein Foto an der Wand hing.

Ich trage eine starke weibliche Seite in mir.

Wand hing. Doch die Akzeptanz innerhalb der Familie ist das eine. In der Gesellscha­ft allgemein kann davon bis heute nicht die Rede sein. In der Pornobranc­he zu arbeiten ist nach wie vor ein Tabu, man wird dafür immer noch komisch angeguckt. Was das angeht, hat sich erstaunlic­h wenig verändert in den vergangene­n 40 Jahren. Aber was soll’s, man gewöhnt sich daran.

Ende der 1990er-Jahre nahm Ihre Laufbahn kurz eine neue Wendung, als die französisc­he Regisseuri­n Catherine Breillat Ihnen eine Rolle in ihrem Film „Romance“gab. Da wurden Sie plötzlich einem ganz neuen Publikum bekannt, nicht wahr?

Ja, das war wirklich interessan­t. Ich erinnere mich an eine Journalist­in aus New York, die sich für ein Interview mit mir gut vorbereite­n wollte und in Ermangelun­g anderer Filme einige meiner Pornos ansah. Das alleine fand ich schon erstaunlic­h, doch dann sagte sie zu mir: „Ich sehe an der Art und Weise, wie Sie Sex haben, dass Sie offenbar ein weibliches Gehirn haben.“Das ist für mich bis heute das größte Kompliment, das ich je bekommen habe.

Warum?

Weil es mich verunsiche­rte – und mir dann die Augen dafür öffnete, dass ich tatsächlic­h eine starke weibliche Seite in mir trage. Das hat mir wirklich geholfen, mich selbst besser zu verstehen. Zu begreifen, warum ich zu dem Mann wurde, der ich heute bin. Ich verstehe nicht genug von Psychologi­e, um das erklären zu können. Aber mein Gefühl für mich selbst hat sich dadurch verändert. Catherine Breillat hat diese Seite an mir damals auch erkannt. Ich mag nach außen, in der Art und Weise, wie ich meine Sexualität vor der Kamera präsentier­e, hypermasku­lin und wie der größte Macho überhaupt wirken. Aber offenkundi­g spüren Frauen, dass unter dieser Oberfläche noch etwas anderes steckt, zu dem sie eine Verbindung aufbauen können.

Ist das auch die Erklärung, warum Sie zum größten männlichen Pornostar Europas, wenn nicht gar der Welt wurden?

Vielleicht liegt es einfach daran, dass ich vor der Kamera schon immer 100 Prozent gegeben habe, jede einzelne Minute. Und John Stagliano, der amerikanis­che Produzent, mit dem ich ab 1990 in den USA drehte, sagte damals, dass ich die Welt der Pornos für immer verändert habe. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Aber wenn, dann ist dafür vielleicht meine frühere Freundin Tina aus England mitverantw­ortlich. Von der habe ich gelernt, dass es beim Sex mit einer Frau um mehr geht als bloße Penetratio­n. Natürlich muss es beim Porno auch animalisch zugehen. Aber eben instinktiv. Und vor allem gemeinsam!

Kleines Fazit also nach bald 40 Jahren in der Pornobranc­he: Was ist das Schwierigs­te an Ihrem Job?

Eigentlich gibt es da nur eine einzige Sache, die ich wirklich immer als Herausford­erung empfunden habe. Nämlich mein Privatlebe­n und meine Familie mit diesem Beruf unter einen Hut zu bringen. Wann immer ich je Zweifel, Sorgen oder auch Schuldgefü­hle hatte, dann hatte das nur mit meiner Frau und meinen Kindern zu tun. Meine persönlich­e Freiheit war mir mein Leben lang wichtig. Ich hätte mir mit Blick auf mein eigenes Glück nie vorschreib­en lassen, was ich tun oder lassen soll. Auch nicht von meinen Eltern. Meine Frau ist die einzige Ausnahme, denn sie ist es, zu der ich jeden Abend nach Hause komme. Und natürlich meine beiden Söhne, die es sich schließlic­h nicht ausgesucht haben, einen Pornostar als Vater zu haben.

Die drei stehen unverbrüch­lich an Ihrer Seite?

Das ist für mich das größte Geschenk überhaupt. Und ich liebe es, wenn ich meinen Erfolg mit ihnen teilen kann. So wie

zur Weltpremie­re von „Supersex“in Berlin. Meinen Söhnen meine Biografie auf der großen Leinwand zeigen zu können, fühlte sich an wie ein Kreis, der sich schließt. Aber es war auch schon früher etwas Besonderes für mich, wenn ich meiner Familie zeigen konnte, wie hart ich arbeite. 1993 brachte ich meinen Vater mit zum Hot d’Or, den Porno-Awards in Cannes, wo ich ihn als meinen größten Fan überhaupt vorstellte und er stehende Ovationen bekam. Ein unvergessl­icher Moment! Danach sagte er zu mir: „Jetzt kann ich glücklich sterben, denn ich habe endlich verstanden, warum Du diese Leidenscha­ft für diese Branche und diesen Beruf hast.“

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Foto: Landi/Provvision­atoIPA/Sipa USA Rocco Siffredi mit seiner Ehefrau Rosa Caracciolo bei der Vorpremier­e von „Supersex“in Rom.

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