„Ministerin für Gleichstellung bin ich nicht nur so nebenbei“
Renten- und Lohnunterschiede, Vorurteile, häusliche Gewalt: Damit haben Frauen heute noch zu kämpfen. Wo Yuriko Backes ansetzen will
Der Weltfrauentag am 8. März rückt die Situation der Frauen und die Ungleichbehandlung der Geschlechter in den Mittelpunkt. Auch in Luxemburg gibt es noch Unterschiede. In welchen Bereichen sie besonders ausgeprägt sind und was Yuriko Backes (DP) als Ministerin für Gleichstellung und Diversität dagegen tun will, erklärt sie im Interview.
Yuriko Backes, als Ministerin sind Sie für mehrere Ressorts zuständig. Wie wichtig ist Ihnen die Gleichstellung?
Extrem wichtig. Ich habe mich in meiner ganzen Karriere dafür eingesetzt, sei es als Vertreterin der Europäischen Kommission in Luxemburg oder in der letzten Legislaturperiode als Finanzministerin, weil gerade der Finanzsektor sehr männerdominiert ist. Ich habe beispielsweise die Charta „Women in Finance“lanciert, die von zahlreichen Unternehmen unterzeichnet wurde, und eine Taskforce ins Leben gerufen, die sich für „Women in Finance“, aber auch für „Finance for Women“einsetzt. Dabei geht es zum einen darum, die Beteiligung von Frauen im Finanzsektor, insbesondere in Führungspositionen, zu fördern, und zum anderen darum, öffentliches und privates Kapital in Investitionen zu lenken, die die Gleichstellung der Geschlechter fördern und Frauen nachhaltig stärken. Gleichstellung ist also nichts Neues für mich, sondern eine Passion. Ministerin für Gleichstellung und Diversität bin ich keineswegs nur so nebenbei.
Und welche Priorität hat Gleichstellung für die Regierung?
Für die gesamte Regierung ist es ein wichtiges Thema, wie man auch im Koalitionsabkommen sieht. Für mich ist Gleichstellung eine Aufgabe, die global gesehen werden muss. „Gender Equality“ist das Nachhaltigkeitsziel Nummer fünf der Vereinten Nationen. Diese Herausforderung muss auf internationaler, europäischer, nationaler und lokaler Ebene angegangen werden.
Brauchen wir heute noch einen Internationalen Frauentag?
Auf jeden Fall, denn Mädchen und Frauen werden immer noch anders behandelt, verdienen weniger, bekommen weniger Rente, sind häufig Gewalt ausgesetzt. Es gibt immer noch Stereotype, Frauen werden diskriminiert und sind seltener in hohen Positionen zu finden, sei es in der Politik oder in der Wirtschaft.
Fehlt das Bewusstsein dafür, dass es in unserer Gesellschaft immer noch so viele Ungleichheiten gibt?
Teilweise schon, aber wenn man sich allein schon die Zahlen auf EU-Ebene ansieht, werden die Unterschiede deutlich. Frauen verdienen pro Stunde 13 Prozent weniger als Männer. Sie erhalten 29 Prozent weniger Rente. Mindestens ein Drittel aller Frauen und Mädchen sind Überlebende von
: Gleichstellung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Diese Botschaft ist mir wichtig. Die Politik kann nicht alles machen. Yuriko Backes, Ministerin für Gleichstellung und Diversität : Dass die Regierung nicht paritätisch besetzt ist, gefällt mir natürlich nicht. Yuriko Backes, Ministerin für Gleichstellung und Diversität
Gewalt. 50 Prozent aller Frauen haben sexuelle Belästigung erfahren. Was die politische Macht betrifft, so haben Männer mehr als 75 Prozent aller Ministerposten inne. Und wir sprechen hier von der EU. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Situation global nicht besser aussieht, im Gegenteil.
Und wie sieht sie in Luxemburg aus?
Rechtlich sind wir ganz gut aufgestellt. Laut Gender Equality Index 2023 des European Institute for Gender Equality (EIGE) erreicht Luxemburg 74,5 von 100 Punkten, liegt damit an siebter Stelle und über dem europäischen Durchschnitt. Aber es gibt noch Luft nach oben. Wir wissen, dass häusliche Gewalt in Luxemburg leider immer noch eine Realität ist. Auch Geschlechterstereotype halten sich hartnäckig. Hier muss noch viel Sensibilisierungsarbeit geleistet werden. Bei der Lohngleichheit gehören wir zu den Besten, aber wir haben den höchsten Gender Pension Gap in der EU.
Was wollen Sie tun, um diese Kluft zu verringern?
Das ist ein historisches Erbe. Früher haben Frauen weniger gearbeitet und blieben eher bei den Kindern. Inzwischen hat sich das natürlich geändert, aber es bleibt eine Tatsache, dass wir die größte Rentenlücke in der EU haben. Wir müssen beim Steuersystem ansetzen. Es ist so aufgebaut, dass es vorteilhaft ist, wenn nur ein Partner arbeitet. Dann bleibt immer noch meistens die Frau zu Hause. Die Individualisierung des Steuersystems ist daher unumgänglich. Während meiner Zeit als Finanzministerin hatte ich den Internationalen Währungsfonds um eine Analyse des luxemburgischen Steuersystems gebeten, um herauszufinden, ob es Frauen benachteiligt. Die Antwort war ein klares Ja. Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, muss der Finanzminister nun innerhalb von zwei Jahren einen Vorschlag zu einer einheitlichen Steuerklasse vorlegen. Leider war dies in der letzten Legislaturperiode aufgrund der aufeinander folgenden Krisen nicht möglich.
Haben die Krisen der letzten Jahre zu Rückschritten bei der Gleichstellung geführt?
Keine Krise ist genderneutral. Das zeigt sich in vielen Ländern. Frauen leiden in vielerlei Hinsicht stärker unter Krisen als Männer. Dennoch sollten wir nicht in Negativismus verfallen. Natürlich hat es in all den Jahren Fortschritte gegeben, aber es bleibt noch viel zu tun. Für eine effiziente Politik brauchen wir Daten, um zu wissen, wo wir weiterarbeiten müssen. Zu diesem Zweck wurde das „Observatoire de l’égalité entre les genres“geschaffen, das nun eine gesetzliche Grundlage erhält. (Das LW berichtete).
Was gehen Sie jetzt konkret an, beziehungsweise wo setzen Sie Ihre Schwerpunkte?
Priorität hat die Ausarbeitung der drei Aktionspläne, wie im Koalitionsabkommen vorgesehen. Als Ministerium haben wir neben der Gleichstellung nun die Diversität als Aufgabe übernommen, sodass die Evaluierung, Aktualisierung und Umsetzung des PAN LGBTIQ+ auch in unsere Zuständigkeit fällt. Der Nationale Aktionsplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern wird ebenfalls aktualisiert. Neu ist der Aktionsplan gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Vor uns liegt viel Arbeit.
Ist Gewalt gegen Frauen in Luxemburg ein derart großes Problem?
Vor allem ist häusliche Gewalt noch immer ein gewisses Tabuthema, aber sie ist eine Realität und sie richtet sich hauptsächlich gegen Frauen. Damit meine ich nicht nur körperliche und sexuelle, sondern auch psychische Gewalt. Das zieht sich übrigens durch alle Schichten unserer Gesellschaft. Dagegen müssen wir vorgehen. Wir werden deshalb auch eine zentrale Anlaufstelle für Opfer schaffen.
Sie haben es erwähnt, das MEGA wurde in „Ministère de l‘Égalité des genres et de la Diversité“umbenannt. Ein gesellschaftliches Umdenken ist damit aber noch nicht erreicht.
Die Gleichstellung zwischen Mann und Frau ist für das Ministerium nach wie vor von großer Bedeutung, aber wir sprechen jetzt zunehmend von Gender und berücksichtigen auch die Anliegen nicht-binärer Menschen und der LGBTIQ+-Gemeinschaft. Ich empfinde Diversität als ein absolutes
Plus für unsere Gesellschaft. In Luxemburg soll sich jeder in seiner Haut wohlfühlen und gleich behandelt werden. Dafür müssen wir uns einsetzen, denn vieles geschieht nicht von alleine. Ich habe den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag, dafür zu sorgen, dass alle Bedürfnisse berücksichtigt werden.
Trotzdem verschwinden Vorurteile ja nicht von heute auf morgen. Da ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig. Ist das nur Aufgabe der Politik?
Gleichstellung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Diese Botschaft ist mir wichtig. Die Politik kann nicht alles machen.
Auch nicht das MEGA allein, sondern die ganze Regierung, jedes Ministerium ist gefordert, ebenso wie die Zivilgesellschaft. In vielen Bereichen, die immer noch stark von Männern dominiert sind, muss sich etwas ändern: Finanzen, Wirtschaft oder, um einen anderen Bereich zu nennen, für den ich als Ministerin zuständig bin, Verteidigung. Kriege werden heute nicht mehr nur mit physischer Gewalt geführt, sondern es gewinnt, wer klüger ist als der andere. Erfahrungsgemäß wissen wir heute, dass vielfältig zusammengesetzte Teams erfolgreicher sind. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir auch in der
Hierarchie unserer Armee weibliche Brainpower brauchen.
Die Regierung ist ebenfalls stark männerdominiert …
Dass sie nicht paritätisch besetzt ist, gefällt mir natürlich nicht. Ich habe im Zentrum für die DP kandidiert, auf einer Liste mit elf Frauen und zehn Männern. Jetzt bin ich in einer Regierung mit zehn Männern und fünf Frauen. Parität wäre besser. Das ist meine persönliche Überzeugung.
Auch im Parlament sind nur ein Drittel der Abgeordneten weiblich. Warum schaffen es nicht mehr Frauen in die Politik?
Dafür gibt es sicherlich einige Gründe, es ist tatsächlich ein vielschichtiges Problem. Man muss aber auch sagen, dass Politik etwas Knallhartes ist, man ist ständig der Öffentlichkeit ausgesetzt, und das ist nicht einfach, weder für einen persönlich noch für das Familienleben. Man muss es wirklich wollen, aber es ist ein Job, in dem man viel bewegen kann.
Die Politik ist nur ein Beispiel, es gibt viele andere Bereiche, in denen die Männer stärker vertreten sind als die Frauen oder umgekehrt.
Das stimmt, im Gesundheitssektor sind beispielsweise deutlich mehr Frauen als Pflegekräfte tätig. Im IT-Bereich sind Männer überrepräsentiert. Hier müssen wir noch stärker sensibilisieren, um Stereotype aufzubrechen. Es wäre wichtig, schon bei der Rekrutierung darauf zu achten, dass sich auch Frauen angesprochen fühlen. Das gilt eigentlich generell für die Art und Weise, wie Botschaften vermittelt werden. Der Reflex, nur die männliche Form zu verwenden, ist immer noch zu stark. Damit bin ich persönlich nicht einverstanden. Die Hälfte unserer Bevölkerung ist weiblich. Es darf also nicht mehr normal sein, nur von Bürgern zu sprechen und damit die Bürgerinnen auszuschließen. Da fängt es an.
: Häusliche Gewalt ist in Luxemburg leider immer noch eine Realität. Yuriko Backes, Ministerin für Gleichstellung und Diversität