Wahlplakate-Dschungel vom Aussterben bedroht
Im September 2023 gab es vor ihnen kein Entkommen: Hohlkammerplakate an Straßenlaternen mit darauf freundlich grinsenden Politikern. Bald gibt es sie nicht mehr
Ein Abschied kann schwerfallen. Wer sich an den September 2023 erinnert, wird dem Ende dieser Wahlkampftradition jedoch kaum nachweinen: die Hohlkammerplakate an den Straßenlaternen. Der öffentliche Raum war zu Wahlkampfzeiten im September 2023 gerade voll tapeziert mit Bildern von freundlich grinsenden PolitikerGesichtern. Bei den EU-Wahlen dieses Jahr soll damit Schluss sein.
Die Parteien haben gestern ein neues Wahlkampfabkommen unterschrieben. Das Dokument fasst die Spielregeln zusammen, an die sich die Parteien im Wahlkampf halten wollen. Die Betonung liegt auf „wollen“. Denn es handelt sich nicht um einen bindenden Vertrag. Wer sich nicht daran hält, wird nicht bestraft. Das hat in der Vergangenheit für Spannung unter den Parteien gesorgt. Denn nicht immer halten sich diese religiös an das, was sie versprochen haben.
Allein die Chamberwahlen 2023 boten reichlich Kontroversen. Von Parteien, die ihre Plakate einen Tag früher als das festgelegte Startdatum aufgehängt haben, über andere, die die Zeit vor dem Wahlkampf nutzten, um Werbespots auf Youtube abzupielen oder bereits Flyer zu verschicken. Immer wieder monierten Politiker, das Wahlabkommen sei nur so gut, wie das Wort derer, die es unterschrieben haben. Vor allem, wenn das Abkommen Raum für Interpretation lässt.
Wahlkampfkosten wie bei Chamberwahlen auf 100.000 Euro gedeckelt
Konkret haben sich jetzt acht Parteien (die sieben Parlamentsparteien und Fokus) in dem Abkommen für den EU-Wahlkampf 2024 darüber geeinigt, unter anderem auf persönliche Beleidigungen gegenüber der Konkurrenz als auch auf Schmierkampagnen oder Desinformation zu verzichten. Wahlmaterial anderer Parteien zu beschädigen, ist ebenso tabu. Das Abkommen legt zudem fest, wann der Wahlkampf überhaupt startet: in dem Fall am 4. Mai 2024, fünf Wochen soll er dauern. Und es werden die maximalen Wahlkampfkosten festgelegt. So wie beim Chamberwahlkampf voriges Jahr ist die Zahl auf 100.000 Euro gedeckelt. Beim EU-Wahlkampf 2014 waren es noch 65.000 Euro.
Warum hier 2014 und nicht 2019 als Vergleichswert herangezogen wird: Beim letzten EU-Wahlkampf haben sich die Parteien nicht auf ein Abkommen einigen können – und brachen damit eine Tradition, die bis dahin fast drei Jahrzehnte angedauert hatte. Das hatte vor allem als Grund: Niemand hatte sich berufen gefühlt, die Diskussionen um ein Abkommen loszutreten. Was das Wahlabkommen noch regelt: die Anzahl der Plakate, die Parteien aufhängen dürfen. Großflächige Anzeigen über zwei Meter Breite werden zum Beispiel auf 120 pro Partei begrenzt. Genau so viele wie beim Chamberwahlkampf. Von den kleineren Plakatschildern dürfen die Parteien nur maximal 500 platzieren. Hohlkammerplakate sind, wie gesagt, bei dieser Wahl nicht mit drin. Die Parteien haben darauf verzichtet. Und genau daran wäre das Wahlabkommen fast gescheitert.
Déi Gréng: Abkommen wegen roter Linie fast geplatzt
Doch zuerst: Wie kommt so ein Abkommen überhaupt zustande? „Vor rund drei Monaten hat sich die CSV per E-Mail bei allen Parteien gemeldet und uns eingeladen, über ein Wahlkampfabkommen zu sprechen“, erklärt Piraten-Politiker Tommy Klein dem „Luxemburger Wort“auf Nachfrage den Prozess. Daraufhin seien drei Meetings zustande gekommen. Nicht nur gestandene Parteien seien eingeladen worden, sondern auch kleinere wie die KPL oder Volt. Letztere seien der Einladung ohne Rückmeldung nicht gefolgt.
Das neue Wahlabkommen basiert eigentlich auf dem rezentesten Wahlabkommen aus der Vergangenheit, das es gibt. In dem Fall das Wahlabkommen zu den Chamberwahlen aus dem Jahr 2023. „Wir diskutieren dann, was man an dem Abkommen verbessern kann oder erklären, womit wir zufrieden waren.“Im Großen und Ganzen sei die Stimmung bei solchen Treffen kollegial, bestätigen einige Parteienvertreter gegenüber dem „Wort“. „Es waren meine ersten Verhandlungen und ich war überrascht, wie transparent, ruhig und fair diese Gespräche geführt werden“, erzählt zum Beispiel Tommy Klein.
Bei den Hohlkammerplakaten hat der Spaß jedoch aufgehört. Mehrere Vertreter, die mit am Verhandlungstisch saßen, erzählen, es habe sich um den Hauptknackpunkt gehandelt. Djuna Bernard, Déi GréngCo-Parteipräsidentin, erzählt sogar, dass ihre Partei ohne ein Verbot der Hohlkammerplakate einfach nicht unterschrieben hätten. „Wir wussten, dass es eine harte Forderung wird. Und wir waren überrascht, dass die meisten Parteien von Beginn an dabei waren“, erzählt Bernard dem „Wort“. Aus Sicht des Umweltschutzes und überhaupt der Fahrsicherheit seien die Hohlkammerplakate nicht mehr tragbar.
Für die kleineren Parteien wie Déi Lénk und die Piraten hätte es jedoch auch einen Mittelweg gegeben. „Denn die Hohlkammerplakate sind für kleinere Parteien kostengünstiger und erhöhen somit ihre Visibilität“, erklärt Klein. Der Vorschlag sei gefallen, die Anzahl der Plakate zu begrenzen. Am Ende habe man doch ganz darauf verzichtet. „Es wäre zwar ein Vorteil für uns gewesen, aber wir haben auch gemerkt, dass wir bei den letzten Wahlen völlig untergegangen sind, weil andere Parteien sowieso immer mehr Plakate hatten“, erklärt zudem Déi Lénk-Sprecherin Carole Thoma, die bei den Verhandlungen auch dabei war.
Aus ökologischen Gründen sei man froh, endlich auf die Hohlkammerplakate zu verzichten. „Wir haben bei den letzten Wahlen nur welche aufgehängt, weil die anderen Parteien es auch gemacht haben.“
Mit Plakaten kriegt man wenigstens mit, dass gerade Wahlkampf ist und wie die Parteien argumentieren. Fred Keup, ADR-Fraktionschef
ADR wollte nicht auf Hohlkammerplakate verzichten
Doch nicht jeder war von Anfang an dabei. „Die ADR hat sich noch eine Woche, bevor wir uns auf das Abkommen geeinigt haben, geweigert, auf die Plakate zu verzichten“, erzählt Bernard die Geschehnisse nach. ADR-Fraktionschef Fred Keup bestätigt dem „Wort“gegenüber die Sorge, auf Hohlkammerplakate zu verzichten. Er sei ebenso dafür gewesen, die Anzahl zu reduzieren, aber nicht dafür, ganz darauf zu verzichten. „Viele Menschen konsumieren
klassische Medien nicht mehr. Mit Plakaten kriegt man mit, dass gerade Wahlkampf ist und wie die Parteien argumentieren“, sagt er.
Organisatorisch seien hölzerne Aufstellplakate zudem ein größerer organisatorischer Aufwand. „Wir haben keine 500 davon und müssen diese erst herbekommen. Hohlkammerplakate an Laternen aufzuhängen, geht zudem schneller als Stellplakate aufzurichten. Alles wird somit komplizierter.“
Die Partei hat sich am Ende doch dem Abkommen angeschlossen und verzichtet ebenso auf Hohlkammerplakate. Ob das in Zukunft allerdings so sein wird, kann niemand bestätigen. „Weil ein Abkommen immer auf das Vorige aufbaut, gehe ich davon aus, dass die Plakate ab jetzt nie wieder ein Thema sein werden“, denkt Tommy Klein. Keup findet, das sei eine Verhandlungssache und könne sich sehr wohl bei den nächsten Wahlen noch ändern. Bernard ebenso: „Ich hätte zwar die Hoffnung, dass es kein Thema mehr wird, aber es ist nicht in Stein gemeißelt. Es würde mich wundern, wenn sich alle in vier Jahren einig sind, dass Hohlkammerplakate endgültig vom Tisch sind. Das wäre leider zu einfach.“