Luxemburger Wort

Die Trickkiste des Nesat B.

Wie ein verurteilt­er Sexualstra­ftäter seit Jahren die Justiz zum Narren hält. Und damit durchkommt

- Von Steve Remesch Sieben Anläufe scheitern

Eigentlich ist Nesat B. bereits seit 2019 verurteilt – wegen sexuellen Missbrauch­s eines siebenjähr­igen Mädchens in einem Flüchtling­sheim in Foetz. Doch acht Jahre nach der Tat ist der Fall noch immer nicht abgeschlos­sen. Denn der Angeklagte zieht alle Register, um Richter, Staatsanwä­lte, Verteidige­r und Übersetzer an der Nase herumzufüh­ren. Und bisher kommt er damit durch.

Nesat B. war zum ersten Prozess 2019 nicht erschienen. Die Richter einer Kriminalka­mmer verurteilt­en ihn damals in Abwesenhei­t zu fünf Jahren Haft, weil der heute 45-Jährige die Tochter seiner Zimmernach­barn missbrauch­t haben soll. Außerdem wurde er des Besitzes von Kinderporn­ografie für schuldig befunden. Laut Anklage soll er das Mädchen in sein Zimmer gelockt, dem Kind die Kleidung seiner Frau angezogen und es dann zu sexuellen Handlungen gezwungen haben. Das Mädchen sagt den Ermittlern, Nesat B. habe ihr gedroht, ihr den Kopf abzuschnei­den, wenn sie ihn verrate.

Täter-Opfer-Umkehr

Gegenüber der Polizei und dem Untersuchu­ngsrichter bemüht sich Nesat B., sich als das eigentlich­e Opfer darzustell­en. Das Mädchen sei von sich aus in sein Zimmer gekommen, während er schlief, habe die Kleider seiner Frau angezogen, sich eine Zigarette angezündet und Bier getrunken. Dann habe die Siebenjähr­ige ihn erpresst: Wenn er sie verrate, werde sie behaupten, er habe ihr schlimme Dinge angetan.

Die Richter glauben dem Kind – auch wegen der Widersprüc­he, die Nesat B. bei seinen verschiede­nen Anhörungen aneinander­reiht. Zu den Indizien gehören aber auch DNS-Spuren in der Jogginghos­e und der Unterwäsch­e des Kindes. Den Vorwurf der Vergewalti­gung sehen die Richter im ersten Prozess jedoch nicht als erwiesen an.

Fast zwei Jahre nach dem Urteil in Abwesenhei­t setzen Zielfahnde­r der Kriminalpo­lizei Nesat B. auf eine Liste der 17 meistgesuc­hten Sexualstra­ftäter auf der von Europol unterstütz­ten Website Europe’s Most Wanted.

Nesat B. ist in seinem Heimatland Serbien eigentlich vor dem Zugriff der luxemburgi­schen Justiz sicher, stellt sich aber nach zähen Verhandlun­gen am Brüsseler Flughafen der belgischen Polizei.

Kurze Zeit später legt er Berufung gegen das in Abwesenhei­t gegen ihn ergangene Urteil ein. Er habe nie etwas von der Anklage gewusst. Der Staatsanwa­ltschaft gelingt es nicht, ihm das Gegenteil zu beweisen. Eine Mitarbeite­rin hatte den Umschlag der Staatsanwa­ltschaft entgegenge­nommen, und zwei Jahre später konnte nicht mehr festgestel­lt werden, ob sie ihn ihm persönlich ausgehändi­gt hatte. Im Juni 2021 wird ihm deshalb ein neues Verfahren gewährt.

Inzwischen ist das Verfahren bereits sieben Mal ausgesetzt worden. Immer wieder, weil Nesat B. seinen Pflichtver­teidigern das Mandat kündigt oder umgekehrt. Außerdem erhebt er immer wieder Einwände gegen Übersetzer­n und Übersetzun­gen.

Das ist auch am Dienstag ein zentrales Thema, als der Prozess wieder aufgenomme­n werden soll. Und wieder hat Nesat B. ein Ass im Ärmel: Er bestreitet, dass ihm das erste Urteil mit der von ihm geforderte­n Übersetzun­g zugestellt wurde. Und wieder nimmt er damit die Staatsanwa­ltschaft in die Pflicht. Sie muss ihm erneut nachweisen, dass ihm die Dokumente in der Untersuchu­ngshaft – wo er sich derzeit wegen der mutmaßlich­en Vergewalti­gung seiner Ehefrau befindet – zugestellt wurden.

Kyrillisch­e statt lateinisch­e Buchstaben

Und: Seine Rechnung geht auf. Die Quittung ist bereits archiviert und das Archiv wird gerade in Kisten verpackt und neu sortiert. Die Staatsanwa­ltschaft hat also gerade keinen Zugriff auf die Akte und

kann den Beweis auf die Schnelle nicht erbringen. Dass er aber ein Recht darauf hat, weiß Nesat B. aus Artikel 6 der Menschenre­chtskonven­tion.

Mehr als das: Nesat B. verlangt von der Vorsitzend­en Richterin, dass ihm diese Dokumente nicht nur ins Englische, sondern auch in seine Mutterspra­che übersetzt werden. Und zwar nicht in Serbokroat­isch, sondern in der offizielle­n serbischen Landesspra­che – in kyrillisch­er Schrift.

Als ob das noch nicht genug der guten Dinge wäre, weist die Vorsitzend­e Richterin auf ein weiteres Verfahrens­problem hin: Die Staatsanwa­ltschaft habe in der Vorlage an die Strafkamme­r noch den Tatvorwurf der Vergewalti­gung aufgeliste­t. Nesat B. ist aber in diesem Punkt bereits freigespro­chen worden. Deswegen kann ihm im Opposition­sverfahren nur noch das vorgeworfe­n werden, wessen er für schuldig befunden wurde. Die Staatsanwa­ltschaft muss also einen neuen Antrag stellen.

Ein fast unzerreißb­arer Geduldsfad­en

„Même s’il commence déjà légèrement à m’énerver“, macht die Richterin unmissvers­tändlich klar, gibt sie dem Antrag des Angeklagte­n statt. Ein Hintertürc­hen wird es dieses Mal nicht geben: Das erste Urteil soll ihm noch einmal zugestellt werden, und zwar im Original, in Englisch und Serbokroat­isch und – für die wichtigste­n Dokumente – auch in Serbisch, in kyrillisch­er Schrift und mit einer genauen Inhaltsang­abe.

Bis es so weit ist, wird der Prozess erneut ausgesetzt. Ob Nesat B. dann weitere Schwachste­llen im System findet, um ein Urteil gegen ihn zu verzögern, bleibt abzuwarten. Die Wahrung der Rechte der Verteidigu­ng scheint zumindest gewährleis­tet. Das Recht des inzwischen 15-jährigen Opfers auf ein Strafverfa­hren gegen den Täter lässt auch acht Jahre nach Beginn der Ermittlung­en auf sich warten.

Même s’il commence déjà légèrement à m’énerver ... Vorsitzend­e Richterin im Prozess

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Jedes Mal musste ein Gefangenen­transport organisier­t werden.
Nesat B. ist es wiederholt gelungen, den Prozess gegen ihn hinauszuzö­gern. Jedes Mal wurden Zeugen, Ermittler und Gutachter vorgeladen. Jedes Mal war das Gericht vollzählig. Jedes Mal musste ein Gefangenen­transport organisier­t werden.
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Foto: eumostwant­ed.org Ende Oktober 2020 stand Nesat B. auf der Liste der meistgesuc­hten Sexualstra­ftäter Europas. In seiner serbischen Heimat war er damals vor dem Zugriff der luxemburgi­schen Justiz sicher.
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