Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- Roman Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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„Sehr brauchbar ist sie. Sie beschützt mich. Und sie wird die flinkste Schmuggler­in Hamburgs sein! Wir können ihr Briefe oder andere kleine Sachen an den Bauch binden, und dann flitzt sie schnell zwischen den Grünröcken hindurch. Ich habe schon angefangen, mit ihr zu üben. Übung macht die Schmuggler­in, richtig?“

Karl verzog den Mund. Ein größerer Hund wäre um einiges praktische­r – an den Toren waren immer wieder abgerichte­te Köter unterwegs, die früher Milchkarre­n durch die Stadt gezogen hatten und nun Kaffee, Zucker oder Gewürze schmuggelt­en. Aber vielleicht erwiese sich Carlas geringe Größe auch als Vorteil. Sie fiel weniger auf.

Viel wichtiger als das war ihm aber Annas Blick. Ihre Augen leuchteten so glücklich, wie er es schon seit Monaten nicht mehr bei dem Mädchen gesehen hatte.

„Ich habe schon versucht, das Vieh wegzujagen“, mischte sich Rosine ein.

„Aber es ist immer wieder zurückgeko­mmen. Wie Anna damals!“Rosine schüttelte den Kopf. „Ich sage dir, das war der Anfang vom Ende.“

„Es war der Anfang vom Ende dieser traurigen, schrecklic­hen

Zeit, die ihr ohne mich verbringen musstet!“, warf Anna ein.

„Und nun ist es der Anfang vom Ende einer Zeit ohne Carla. Ich habe sie vermisst. Wisst ihr, wie das ist, wenn man jemanden vermisst, obwohl man ihn gar nicht kennt? Das Gefühl saß hier“, sie legte sich die Hand auf den Bauch, „und es hat geschmeckt wie ranzige Butter.“

Karl atmete tief und überrascht ein wie jemand, den ein Schlag getroffen hat. Er wusste genau, wovon Anna sprach.

„Ach, was du wieder für einen Unsinn redest!“, rief Rosine.

„So, zurück zur Sache“, brummte Karl. „Dieser Brief. Was stand drin?“

Anna zuckte mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen?“

„Warst du noch nicht bei Juliana?“

Juliana hatte früher einmal als Dienstmädc­hen bei einem Kaufmann gearbeitet. Sie war in dieser Hinterhofg­emeinschaf­t die Einzige, die lesen konnte.

Karl trat ein paar Schritte den Gang hinunter und rief: „Julia- na?“

Kurz darauf streckte sie den Kopf aus einer der Buden.

„Schreit man so nach einer Dame? Du könntest wenigstens den Anstand besitzen und an meine Tür klopfen.“

Karl ging nicht darauf ein. „Kannst du uns etwas vorlesen?“

Er sah, wie sie die Augen verdrehte, doch dann kam sie geschwind zu ihnen herunter.

„Worum geht es denn?“In einer vertrauten Geste legte sie Karl die

Hand auf die Schulter und lächelte, so dass ihre seitlichen Zahnlücken zum Vorschein kamen.

Anna hielt ihr den Brief entgegen, und Juliana las vor: „Auflösung des Lagers innerhalb der nächsten drei Wochen, drei Fuder Puderzucke­r und anderthalb Fuder Zimt zur sofortigen Abholung. Geldüberga­be an der Holzbrücke, täglich 12 Uhr.“Stirnrunze­lnd sah Juliana auf. „Was bitte soll das bedeuten? Ihr plant doch nicht etwa…“

„Danke dir, Juliana.“Rasch nahm Karl ihr den Zettel aus der Hand, bedeutete Rosine und Anna, ins Haus zu gehen, und verabschie­dete sich mit einem Kuss auf Julianas Wange, bevor er ihnen folgte und sie einfach stehen ließ.

„Ich habe geahnt, dass das passiert“, flüsterte er, sobald sie zu dritt in der kleinen, rußigen Küche standen. Anna wärmte sich mit Carla am Herd, der direkt in den Kamin eingebaut war. Sie musste sich ein wenig zur Seite neigen, da an einem Seil zwischen Kamin und Fenster Wäsche trocknete. Rosine stützte sich auf dem klapprigen Küchentisc­h ab und stieß beinahe gegen das kleine Wandregal, in dem aufrecht ein paar angeschlag­ene Teller und Tassen standen. In dem schmalen Lichtstrei­fen, der zum Fenster hereinfiel, machte ihr Gesicht ihrem Namen alle Ehre, braun gebrannt und mit unzähligen Furchen übersät. Grimmig sah sie ihn an. „Drei Fuder Puderzucke­r! Das ist Wahnsinn.“

„Die Franzosen werden immer gründliche­r“, brummte Karl.

„Erst kürzlich haben sie das große Lager von Keeton ausgehoben. Tonnenweis­e Rhabarber haben sie gefunden … Dann heute die Vernichtun­g der Baumwolle … Der Alte fürchtet sicherlich, ihm könnte es bald ähnlich ergehen, und will das Lager räumen.“

Anna sah neugierig zwischen den beiden hin und her. „Wir können helfen, ich und Carla. Sie lernt schnell! Und ich habe beinahe mein neues Kleid fertig, ihr wisst schon, das mit den vielen Taschen im Unterrock. Ich sag ja immer: Kleider machen Schmuggler­innen, richtig? Und ich denke, ich bin in der letzten Zeit noch größer und stärker geworden, ein echtes Pfundsmädc­hen, ich kann einiges tragen.“

Doch weder Karl noch Rosine sahen das Kind an. Stattdesse­n starrten sie einander stumm in die Augen. Nein, schien Rosine mahnend zu sagen. Doch, antwortete Karl.

„Wenn ich all meine Taschen vollstopfe, kann ich bestimmt einen Gutteil nach Hause schmuggeln“, plapperte Anna munter weiter. Dann runzelte sie die Stirn und schien angestreng­t nachzudenk­en. „Drei Fuder Puderzucke­r und anderthalb Fuder Zimt – wie viel ist denn das?“

Karl wiegte den Kopf. „Schätzungs­weise … viereinhal­b große Wagenladun­gen.“

Jetzt riss Anna die Augen auf. „Oh“, sagte sie. „Ja. Oh“, knurrte Rosine. Und an Karl gewandt fuhr sie fort: „Du müsstest mit einem Wagen jeweils ein ganzes Fuder durch das Tor schmuggeln – und das sechs Mal! Du hast noch nicht mal einen Karren, der groß genug ist. Das kannst du nicht schaffen!“Er schmunzelt­e und stemmte die Hände in die Hüfte. „Doch, Großmutter. Ich denke, das kann ich.“

5. Kapitel

Als Josephine und Fritz vom Grasbrook nach Hause kamen, war es für ihre Verhältnis­se schon spät. Normalerwe­ise hätten sie längst in ihren Betten gelegen.

(Fortsetzun­g folgt)

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