Gefährliche Raubtierjagd wird zur Therapie
Mit „Day of the Tiger“gelingt dem rumänischen Regisseur Andrei Tanase ein interessantes Spielfilmdebüt. Etwas mehr Tiefe hätte es aber sein können
Während man vergangenen Sommer in Berlin vergebens nach einer Löwin suchte, zieht dieses Mal tatsächlich eine Raubkatze durch die Straßen einer Stadt. Rihanna heißt das Tigerweibchen, das aus einem transsylvanischen Zoo entlaufen ist, nachdem die dort arbeitende Tierärztin Vera (Catalina Moga) das Gehege nicht ordentlich verriegelt hatte. Dabei war der Tiger gerade mal eine Nacht im Zoo, nachdem er aus illegaler Haltung befreit wurde.
Die Jagd auf die gefährliche Großkatze beginnt: Polizisten, Jäger sowie Vera und ihr Mann Toma (Paul Ipate) suchen den Wald um das Zoogelände und die ganze Kleinstadt nach Rihanna ab, wobei Vera hofft, den Tiger unversehrt wieder zurück in den Zoo bringen zu können. Doch die tierverbundene Frau ist nicht nur auf der Suche nach dem flüchtigen Tiger, sondern auch nach innerem Frieden. Vera wird mit ihren inneren Konflikten konfrontiert, die Faszination für das Tigerweibchen und die Jagd auf das Tier hat auf sie beinahe eine therapeutische Wirkung.
„Day of the Tiger“, der erste Spielfilm des rumänischen Regisseurs Andrei Tanase, und der erste Wettbewerbsfilm, der beim diesjährigen LuxFilmFest präsentiert wurde, zeichnet das Porträt einer komplexen Protagonistin. Geprägt von dem Tod ihres knapp vier Tage alten Babys, distanziert sie sich immer mehr von ihrem Mann sowie den Menschen um sie herum, und schenkt ihre ganze Aufmerksamkeit und Liebe den Tieren. Doch auch Toma bringt die bereits angeknackste Ehe weiter ins Wanken.
Der Film mäandert zwischen eindrucksvollen Tieraufnahmen – sei es nun der Zoom auf den Tiger, der gerade dabei ist, das frische Fleisch von einem Knochen zu lecken oder das Panoramabild mit den Gazellen und Zebras im Zoo – und beklemmenden Szenen. In Streitgesprächen zwischen Vera und Toma, insbesondere aber im Schweigen der Protagonistin kommt ihre Verletztheit besonders deutlich zum Ausdruck.
Packend, aber mangelnde Tiefe
Diese ernsten, bedrückenden Momente werden immer wieder durch humorvoll inszenierte Passagen gebrochen. Zwar wirken manche Witze und skurrile Momente gelegentlich eher unpassend, doch nimmt dieser trockene Humor dem Film keineswegs die Ernsthaftigkeit. Allerdings kratzt „Day of the Tiger“oft zu sehr an der Oberfläche. Etwas mehr Tiefgründigkeit hätte dem Plot sicherlich gutgetan.
Umso überzeugender sind die natürliche Ästhetik und die abwechselnd mal zügigen, mal fließenden Schnitte und Übergänge. Während der Blickwinkel innerhalb einer Szene stellenweise mehrfach wechselt, gibt es auch Momente, in denen die Kamera den Figuren pausenlos aus der gleichen Perspektive folgt. Und wenn Vera, Toma und der Rest der Truppe durch den Wald und später durch die Stadt huschen, laufen die Zuschauer ihnen sozusagen hinterher – wie mit einer wackelnden Handkamera.
Mit viel Biss verkörpert Catalina Moga die beharrliche Vera, die sich durchzusetzen weiß. Auch wenn ihre Gefühle zu gewissen Momenten hochkochen, lässt die Tierärztin kaum sichtbar Emotionen zu. Nur gelegentlich ertappt man sie dabei, wie sie ihrer Trauer freien Lauf lässt. Vieles in Andrei Tanases Film wird Stück für Stück aufgedeckt oder kommt gegen Ende erst zum Vorschein.
Auch wenn der Spannungsbogen gelegentlich abflacht, entpuppt sich „Day of the
Tiger“als ein ausgefallenes Erlebnis. Werden sie den Tiger einfangen, ohne dass jemand zu Schaden kommt? Wird Rihanna überleben? Und vor allem: Wie entwickelt sich Vera und ihre Beziehung zu Toma weiter? Man möchte es einfach wissen.
„Day of the Tiger“ist heute noch um 18.30 Uhr in der Cinémathèque zu sehen. Weitere Informationen und Karten unter: www.luxfilmfest.lu
Der Filmmäandert zwischen eindrucksvollen Tieraufnahmen und beklemmenden Szenen.