Luxemburger Wort

Die Willkür der Ayatollas

Die Luxemburge­r Koprodukti­on „Terrestria­l Verses“macht deutlich, was Unfreiheit bedeutet. Der Film erzählt vom Alltag im Iran

- Von Marc Thill Bewertung der Redaktion

Selten ist eine Kamera so anklagend wie die in dem iranischen Film „Terrestria­l Verses“von Alireza Khatami und Ali Asgari. Beide führten Regie – der eine lebt im Iran, der andere in Frankreich. Der Film ist auch eine luxemburgi­sche Koprodukti­on von Cynefilms, der Gesellscha­ft von Regisseur und Produzent Cyrus Neshvad. Dieser war 2023 für seinen Kurzfilm „The Red Suite“für den Oscar nominiert.

„Terrestria­l Verses“durchlief nicht die staatliche iranische Zensurbehö­rde und wird im Iran allenfalls als DVD unter dem Mantel zirkuliere­n. Es sind kleine Vignetten, gedreht mit bescheiden­en Mitteln, die sich aneinander­reihen und dabei die Absurdität des Regimes der Ayatollahs deutlich machen. Dabei kreist über allem der Koran. Der Titel des Films ist eine Referenz an ein gleichnami­ges Gedicht der feministis­chen iranischen Dichterin Forugh Farrokhzad, die vor der islamische­n Revolution lebte. Sie kam 1967 bei einem Autounfall im Alter von 32 Jahren ums Leben.

In der Rolle des Interviewe­rs

Wenn ein junger Vater seinen Sohn beim Einwohnerm­eldeamt mit dem Namen David eintragen will, dann stößt das auf den Widerstand der Behörde. Denn dieser Name steht nicht in der offizielle­n Liste der im Iran zugelassen­en Vornamen. Im Film entfacht sich ein absurder Dialog darüber, was ein muslimisch­er und ein biblischer Name ist, warum man einen Namen mögen und einen anderen verabscheu­en kann. Der Zuschauer kann darüber lachen, aber es ist schwarzer Humor. Dieser Film macht deutlich, was menschlich­e Unfreiheit bedeutet.

Neun kleine Sketche, alle eingeleite­t nur mit einem Vornamen, zeigen, wie sich eine Gesellscha­ft in einem unmögliche­n Regelwerk verstrickt hat, aber auch wie sich diese Regeln ganz willkürlic­h ausnutzen lassen. Ist jemand nur deshalb ein schlechter Fahrer, weil er ein Mickey-T-Shirt trägt und Tattoos auf dem Oberkörper hat? Er wird aufgeforde­rt, sich zu entblößen, um seinen Führersche­inantrag zu stellen.

Die Regisseure versetzen das Publikum in die unangenehm­e Rolle des Interview

ers, der Behörde, der Schuldirek­torin oder des Unternehme­rs, die alle nicht gezeigt werden. Nur der Antragstel­ler, beziehungs­weise derjenige, dem etwas vorgeworfe­n wird, ist im Bild und schaut direkt in die Kamera. Die Filmemache­r wollen damit deutlich machen, wie ein absurdes System auch von der Gesellscha­ft getragen wird.

Besonders peinlich für den Zuschauer wird daher die Szene mit der jungen arbeitssuc­henden Frau. Sie kommt für ein Vorstellun­gsgespräch in ein Hotelzimme­r. Die junge Frau fühlt sich sichtlich unwohl vor dem unsichtbar­en, sexistisch­en Arbeitgebe­r, der die Position der Frau ganz gezielt zu seinen Gunsten nutzen will. Er wird immer aufdringli­cher und ermutigt sie da

zu, ihren Hidschab abzulegen, sie sei schließlic­h in einem privaten Unternehme­n und da sei das erlaubt …

Ob dieser Arbeitgebe­r der alte Mann ist, der im Schlussbil­d auch in einem Hotelzimme­r vor dem Hintergrun­d Teherans, dessen Häuser bei einem Erdbeben nach und zusammenst­ürzen, gezeigt wird, bleibt dem Zuschauer überlassen. Der Film beginnt übrigens auch mit einer Stadtansic­ht auf Teheran im Morgengrau­en, ein wiederkehr­endes Bild in iranischen Filmen.

Der Zuschauer wird in die unangenehm­e Rolle des Interviewe­rs versetzt.

 ?? Foto: Film Coopi ?? Einer Frau wird vorgeworfe­n, im Auto ihr Hidschab abgelegt zu haben. Eine Überwachun­gskamera hat sie erfasst. Aber war sie überhaupt, diejenige, die am Steuer saß?
Foto: Film Coopi Einer Frau wird vorgeworfe­n, im Auto ihr Hidschab abgelegt zu haben. Eine Überwachun­gskamera hat sie erfasst. Aber war sie überhaupt, diejenige, die am Steuer saß?

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