Beängstigende Lethargie am Vulkansee
Der philippinische Regisseur Lav Diaz macht aus „Essential Truths of the Lake“einen Film wider das Vergessen blutiger Gewalt und Ungerechtigkeit
Der philippinische Regisseur Lav Diaz, bekannt für seine ultralangen Arthouse-Dramen, lässt in dem Schwarz-Weiß-Film „Essential Truths of the Lake“(2023) sein Publikum abermals drei Stunden mit John Lloyd Cruz verbringen, dem philippinischen „King of Contemporary Cinema“. In Diaz’ Film spielt dieser denselben obsessiven Ermittler, den er auch schon in „When the Waves Are Gone“(2022) verkörpert hat. Drei Stunden Film, aber erwarten Sie sich nur keine Antworten auf die Intrige …
Der Film handelt von dem desillusionierten Polizisten Hermes Papauran. Dass der Regisseur ihn Hermes – in der griechischen Mythologie der Götterbote und auch der Gott der Diebe – genannt hat, ist in diesem stellenweise sehr mystischen Film bestimmt kein Zufall. Hermes Papauran verkörpert mit seiner fast schon beängstigenden Lethargie vor der Kulisse eines Vulkansees den Konflikt, der permanent in ihm brodelt. Er soll ein guter Polizist in einem korrupten Land sein, der aber wütend darüber ist, wie Rodrigo Duterte, der philippinische Staatspräsident von 2016 bis 2022, den Krieg gegen die Drogen gemeistert hat, und zwar blutiger Gewalt und Ungerechtigkeit. Gegen den Politiker laufen derzeit Ermittlungen am Internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Auf die Frage, was einen Mann dazu bringt, nach der Wahrheit zu suchen, antwortet Leutnant Papauran niedergeschlagen, dass er sich vielleicht einfach nur weiter Schmerzen zufügen will. Angesichts der brutalen Morde und dreisten Lügen von Präsident Duterte setzt der Polizist seinen Kampf um die Lösung eines fünfzehn Jahre alten Falles in einer aschebedeckten Landschaft und einem undurchdringlichen See fort. Es ist sein Kreuz geworden, das er kaum noch tragen kann, aber er schleppt es trotzdem weiter. Er will das Verschwinden von Esmeralda Stuart aufklären, „dem philippinischen Adler“, einer Aktivistin und Künstlerin, die mit einer Kopfbedeckung und Federn protestierte.
Die Schnüffelei des Polizisten führt auch zu einigen Abschweifungen des Regisseurs, wie das Interview mit der Dokumentarfilmerin Jane (Hazel Orencio), die einen von ihr gedrehten Film mit Esmeralda in der Hauptrolle für die örtlichen Frauen vorführt und die Gelegenheit nutzt, um über häusliche Gewalt und andere Themen zu sprechen. Die Aufgabe, die sich der
Polizist und damit auch der Film von Lav Diaz stellt, ist einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte vor dem Vergessen und der allgemeinen Versenkung zu retten. Die Suche des Leutnants mag vergeblich und lächerlich erscheinen, doch seine Hartnäckigkeit gleicht einer Form des Widerstands, einer Form, die die Menschlichkeit von der Barbarei unterscheidet.
Dieser Politthriller ist ein zäher Film, der zwischen Rückblenden und langen Reflexionen sehr langsam vor sich hin mäandert. Der Regisseur verzichtet weitestgehend auf Musik, allein der Wind über dem
See, die Regentropfen und das Zirpen der Grillen am Abend ist zu hören. Die Kamera bleibt derweil auf Distanz zu den Charakteren, und nur selten gibt es Nahaufnahmen. Die Bildästhetik ist dafür aber sehr ansprechend und kommt gerade in diesem Schwarz-Weiß-Film besonders ausdrucksstark zur Geltung.