Donald Trump spricht nicht nur seine Hardcore-Fans an
Bei einer Reise durch die USA ist unser Reporter in die Welt des „Make America Great Again“eingetaucht. Und hat dort einige Überraschungen erlebt
Etwas misstrauisch blickt der Uber-Fahrer in den Rückspiegel. Zweifel stehen ihm ins Gesicht geschrieben: Soll er sich gegenüber dieser Gruppe Europäer in seinem Auto wirklich frei äußern? Erst als die Fahrgäste ihm versichern, dass er offen sprechen soll und dass sie definitiv keine negative Bewertung schreiben werden, gibt sich der Mittvierziger einen Ruck.
Es ist Freitag, der 23. Februar, einen Tag vor den republikanischen Vorwahlen im Bundesstaat South Carolina. Um seine Anhänger zu mobilisieren, kommt Präsidentschaftskandidat Donald Trump für eine Großkundgebung in die Kleinstadt Rock Hill. Der UberFahrer weiß nichts von dem Auftritt; er weiß nur, dass er Fahrgäste in der nächstgelegenen Großstadt Charlotte einsammeln und nach Rock Hill fahren muss. Es sei auch schon eine Weile her gewesen, dass er eine TrumpRede im Fernsehen verfolgt habe, gesteht der Mann. Dennoch, das spricht er offen aus, werde er definitiv Trump wählen.
Minderheiten sind besorgt
Das überrascht die europäischen Fahrgäste, denn der besonnen sprechende Fahrer ist ein Schwarzer – und Migrant, der seit Jahrzehnten in den USA lebt. Viele Angehörige ethnischer Minderheiten fürchten kaum etwas so sehr wie eine zweite Amtszeit Trumps, der sich immer wieder mit hetzerischen und offen rassistischen Äußerungen hervorgetan hat. Den Sturm auf das Kapitol vor Augen, rechnen zahlreiche Beobachter zudem mit weiteren Angriffen auf die demokratischen Institutionen.
Doch all das beschäftigt den Uber-Fahrer nicht sonderlich. Sicher, es sei ihm bewusst, dass Trump viel schräges Zeug von sich gebe, sagt er mit einem Schmunzeln. Das sei aber nicht ausschlaggebend für die Wahl. Da zähle etwas anderes: „Das ist vor allem eine Entscheidung des Geldbeutels, und unter Trump hatten wir mehr in der Tasche.“
Unter seiner Präsidentschaft sei das Benzin billiger gewesen, die Menschen hätten mehr Geld zur Verfügung gehabt; Trump sei ein Businessman, der wisse, wie man die Wirtschaft auf einen guten Kurs bringen könne. „Und er hat uns aus allen Kriegen herausgehalten“, erklärt der Fahrer.
Dass die Wirtschaft unter Biden tatsächlich jedoch boomt, dass die privaten Konsumausgaben ebenso wie die Löhne steigen und der Arbeitsmarkt stabil ist – all diese objektiven Fakten spielen angesichts der gefühlten Wahrheit keine Rolle. Die Gallone Benzin kostet jetzt eben deutlich mehr als vor drei, vier Jahren. Das zählt.
Das ist vor allem eine Entscheidung des Geldbeutels, und unter Trump hatten wir mehr in der Tasche. Ein Uber-Fahrer
Verblüffte Beobachter
Die halbe Stunde Fahrt von Charlotte zu der Großkundgebung verblüfft uns Beobachter aus Europa. Wir sind am Ende einer langen Studienreise durch die USA (siehe Infokasten), haben viele offizielle Gespräche geführt, aber noch mehr von den informellen Austauschen auf der Straße, in der Kneipe und bei Privatfamilien profitiert. Kurz vor dem Rückflug bietet sich uns nun also die Gelegenheit, den Präsidenten des „Make America Great Again“(MAGA) und seine Anhängerschaft live zu erleben. Den Besuch bei der Kundgebung organisieren wir selbst, er ist nicht Teil des offiziellen Programms.
Niemand unter uns Europäern fährt aus Begeisterung für Trump nach South Carolina: Vielmehr sind wir alle in Sorge darüber, dass der Republikaner die Wahlen gewinnen und die Weltpolitik ins Chaos stürzen könnte. Wir sind uns darüber bewusst, dass wir uns nicht sonderlich von jenen Journalisten unterscheiden, die seit der Wahl Trumps 2016 kritisiert wurden, weil die Berichterstattung zu stark auf die liberalen Ost- und Westküstenstaaten fokussiert war. Weil die Perspektiven aus deutlich konservativeren Staaten im Süden oder im Mittleren Westen, die Sorgen und Nöte der „All American Voters“wurden zu selten (und viel zu verzerrt) dargestellt wurden.
Entsprechend lang waren bei vielen Journalisten die Gesichter, als nicht Hillary Clinton, sondern Trump die Wahlen gewonnen hatte. Doch hat sich am Stil dieser Berichterstattung wirklich viel verändert?
Ganz normale Menschen
In den Fernsehübertragungen sind nach wie vor oft die schrillen, klischeehaften TrumpUltras zu sehen. Darüber reflektieren wir, als uns unser Fahrer an einer Straßensperre der Polizei einige Hundert Meter vor der Arena absetzt. Diese MAGA-Jünger stechen uns nun sofort ins Auge: Hardcore-Fans, die T-Shirts mit Hassbotschaften gegenüber Joe Biden tragen, die dutzende USA- und Trump-Fahnen aus ihren Autos wehen lassen.
Wir müssen eine Viertelstunde laufen, bis wir das Ende der riesigen Warteschlange erreicht haben. Schnell kommen wir ins Gespräch mit den Umstehenden. Nach einer Weile herrscht bei uns Konsens darüber, dass die Mehrheit hier keine Freaks, sondern ganz normale Menschen aus der Breite der Gesellschaft sind.
Es sind konservative Leute, die sich einen zurückhaltenden Staat wünschen, der niedrige Steuern, wenig Regulierungen, wenig soziale Sicherheit, dafür aber viel Freiheit gewährleistet. Menschen, die Windräder und Elektroautos ebenso wie „Political Correctness“als Zumutungen empfinden. Durchschnitts-Amerikaner, die aus der Sicht mancher Progressiver wohl als Hinterwäldler durchgehen. Was diese Klientel nur noch weiter vom Washingtoner Establishment entfremdet.
Hasstiraden in Richtung der Demokraten
Donald Trump bezeichnet sein Publikum als „American Patriots“. „Wow, das sind aber viele Leute!“, so beginnt der 77-Jährige seine Rede, die gar nicht erst vom Versuch getragen wird, präsidial zu sein. Schon nach wenigen Minuten wettert er gegen „Vergewaltiger“an der Südgrenze, beklagt den vermeintlichen Wahlbetrug 2020, wettert gegen die Demokraten („Sie stehlen und betrügen und machen eine Menge Sachen“) – und lästert über Joe Biden, unter dem „unser Land durch die Hölle“gegangen sei.
Trump wettert gegen Windenergie, die ein Auswuchs der „Grünen neuen Masche“sei, und klagt über die „Bidenomics“, also die Wirtschaftspolitik des amtierenden Präsidenten, der ein großes Infrastrukturprojekt aufgelegt hatte. Es sind Tiraden, die seine Anhänger elektrisieren. Mit lauten „USA! USA!“Rufen feiern sie ihr Idol. Anderthalb Stunden lang sind die radikalen MAGA-Verfechter in Ekstase, mit der Sicherheit eines Populisten spielt Trump die Gefühlsklaviatur, zieht er Energie aus dem Aufpeitschen von Emotionen.
Längst nicht alle Besucher sind überzeugt
Doch längst nicht alle unter den Tausenden Anwesenden lassen sich von dieser Show überzeugen. In den hinteren, nur dünn besetzten Rängen sitzen Beobachter, die während der gesamten Rede kein einziges Mal klatschen. Andere zollen gelegentlich Beifall, lassen sich aber nicht von den Tiraden Trumps anstacheln. Und bereits nach einer Stunde lichten sich die Reihen deutlich; viele Besucher scheinen vermeiden zu wollen, bei der Abfahrt im Stau zu stehen.
Schließlich sitzen wir in einem Taxi, das uns zu unserem Hotel in Charlotte zurückbringt. Wir tauschen uns über diese Rally, aber auch über die Erfahrungen der vergangenen drei Wochen aus. Reflektieren die viel beschworene Polarisierung des Landes, die auch wir wahrgenommen haben. Doch trotz aller politischen Konfrontation haben wir quer durch die Bank Menschen kennengelernt, die offen für Dialog sind – und die unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit eine ehrliche Sorge um die Zukunft ihres Landes verbindet.
Im Internet finden sich schon bald Mitschnitte der Trump-Rede. Wir schauen uns noch einmal jene Sequenz an, mit der Trump für große Lacher gesorgt hat. „Er kann nicht von der Bühne gehen“, lästert er über den vermeintlich tattrigen Präsident Biden, „er kann die Treppen nicht finden, sie sind überall verteilt“. Frenetisch feierten die Hardcore-Fans diese Attacke auf „Sleepy Joe“.
Doch es sind längst nicht nur republikanische Anhänger, die über die verbalen Aussetzer des 81-jährigen Amtsinhabers herziehen. Hinter vorgehaltener Hand haben uns viele Demokraten bestätigt, wie sehr die Sorge um den Gesundheitszustand ihres Kandidaten den Wahlkampf überlagert. Die Stimmung ist bislang alles andere als optimistisch. Ob Bidens energiegeladene und pannenfreie Rede an die Nation den Umschwung bringen wird, ist fraglich. Der Weg bis zum Wahltag am 5. November ist schließlich noch weit.