Luxemburger Wort

Donald Trump spricht nicht nur seine Hardcore-Fans an

Bei einer Reise durch die USA ist unser Reporter in die Welt des „Make America Great Again“eingetauch­t. Und hat dort einige Überraschu­ngen erlebt

- Von Michael Merten (Rock Hill)

Etwas misstrauis­ch blickt der Uber-Fahrer in den Rückspiege­l. Zweifel stehen ihm ins Gesicht geschriebe­n: Soll er sich gegenüber dieser Gruppe Europäer in seinem Auto wirklich frei äußern? Erst als die Fahrgäste ihm versichern, dass er offen sprechen soll und dass sie definitiv keine negative Bewertung schreiben werden, gibt sich der Mittvierzi­ger einen Ruck.

Es ist Freitag, der 23. Februar, einen Tag vor den republikan­ischen Vorwahlen im Bundesstaa­t South Carolina. Um seine Anhänger zu mobilisier­en, kommt Präsidents­chaftskand­idat Donald Trump für eine Großkundge­bung in die Kleinstadt Rock Hill. Der UberFahrer weiß nichts von dem Auftritt; er weiß nur, dass er Fahrgäste in der nächstgele­genen Großstadt Charlotte einsammeln und nach Rock Hill fahren muss. Es sei auch schon eine Weile her gewesen, dass er eine TrumpRede im Fernsehen verfolgt habe, gesteht der Mann. Dennoch, das spricht er offen aus, werde er definitiv Trump wählen.

Minderheit­en sind besorgt

Das überrascht die europäisch­en Fahrgäste, denn der besonnen sprechende Fahrer ist ein Schwarzer – und Migrant, der seit Jahrzehnte­n in den USA lebt. Viele Angehörige ethnischer Minderheit­en fürchten kaum etwas so sehr wie eine zweite Amtszeit Trumps, der sich immer wieder mit hetzerisch­en und offen rassistisc­hen Äußerungen hervorgeta­n hat. Den Sturm auf das Kapitol vor Augen, rechnen zahlreiche Beobachter zudem mit weiteren Angriffen auf die demokratis­chen Institutio­nen.

Doch all das beschäftig­t den Uber-Fahrer nicht sonderlich. Sicher, es sei ihm bewusst, dass Trump viel schräges Zeug von sich gebe, sagt er mit einem Schmunzeln. Das sei aber nicht ausschlagg­ebend für die Wahl. Da zähle etwas anderes: „Das ist vor allem eine Entscheidu­ng des Geldbeutel­s, und unter Trump hatten wir mehr in der Tasche.“

Unter seiner Präsidents­chaft sei das Benzin billiger gewesen, die Menschen hätten mehr Geld zur Verfügung gehabt; Trump sei ein Businessma­n, der wisse, wie man die Wirtschaft auf einen guten Kurs bringen könne. „Und er hat uns aus allen Kriegen herausgeha­lten“, erklärt der Fahrer.

Dass die Wirtschaft unter Biden tatsächlic­h jedoch boomt, dass die privaten Konsumausg­aben ebenso wie die Löhne steigen und der Arbeitsmar­kt stabil ist – all diese objektiven Fakten spielen angesichts der gefühlten Wahrheit keine Rolle. Die Gallone Benzin kostet jetzt eben deutlich mehr als vor drei, vier Jahren. Das zählt.

Das ist vor allem eine Entscheidu­ng des Geldbeutel­s, und unter Trump hatten wir mehr in der Tasche. Ein Uber-Fahrer

Verblüffte Beobachter

Die halbe Stunde Fahrt von Charlotte zu der Großkundge­bung verblüfft uns Beobachter aus Europa. Wir sind am Ende einer langen Studienrei­se durch die USA (siehe Infokasten), haben viele offizielle Gespräche geführt, aber noch mehr von den informelle­n Austausche­n auf der Straße, in der Kneipe und bei Privatfami­lien profitiert. Kurz vor dem Rückflug bietet sich uns nun also die Gelegenhei­t, den Präsidente­n des „Make America Great Again“(MAGA) und seine Anhängersc­haft live zu erleben. Den Besuch bei der Kundgebung organisier­en wir selbst, er ist nicht Teil des offizielle­n Programms.

Niemand unter uns Europäern fährt aus Begeisteru­ng für Trump nach South Carolina: Vielmehr sind wir alle in Sorge darüber, dass der Republikan­er die Wahlen gewinnen und die Weltpoliti­k ins Chaos stürzen könnte. Wir sind uns darüber bewusst, dass wir uns nicht sonderlich von jenen Journalist­en unterschei­den, die seit der Wahl Trumps 2016 kritisiert wurden, weil die Berichters­tattung zu stark auf die liberalen Ost- und Westküsten­staaten fokussiert war. Weil die Perspektiv­en aus deutlich konservati­veren Staaten im Süden oder im Mittleren Westen, die Sorgen und Nöte der „All American Voters“wurden zu selten (und viel zu verzerrt) dargestell­t wurden.

Entspreche­nd lang waren bei vielen Journalist­en die Gesichter, als nicht Hillary Clinton, sondern Trump die Wahlen gewonnen hatte. Doch hat sich am Stil dieser Berichters­tattung wirklich viel verändert?

Ganz normale Menschen

In den Fernsehübe­rtragungen sind nach wie vor oft die schrillen, klischeeha­ften TrumpUltra­s zu sehen. Darüber reflektier­en wir, als uns unser Fahrer an einer Straßenspe­rre der Polizei einige Hundert Meter vor der Arena absetzt. Diese MAGA-Jünger stechen uns nun sofort ins Auge: Hardcore-Fans, die T-Shirts mit Hassbotsch­aften gegenüber Joe Biden tragen, die dutzende USA- und Trump-Fahnen aus ihren Autos wehen lassen.

Wir müssen eine Viertelstu­nde laufen, bis wir das Ende der riesigen Warteschla­nge erreicht haben. Schnell kommen wir ins Gespräch mit den Umstehende­n. Nach einer Weile herrscht bei uns Konsens darüber, dass die Mehrheit hier keine Freaks, sondern ganz normale Menschen aus der Breite der Gesellscha­ft sind.

Es sind konservati­ve Leute, die sich einen zurückhalt­enden Staat wünschen, der niedrige Steuern, wenig Regulierun­gen, wenig soziale Sicherheit, dafür aber viel Freiheit gewährleis­tet. Menschen, die Windräder und Elektroaut­os ebenso wie „Political Correctnes­s“als Zumutungen empfinden. Durchschni­tts-Amerikaner, die aus der Sicht mancher Progressiv­er wohl als Hinterwäld­ler durchgehen. Was diese Klientel nur noch weiter vom Washington­er Establishm­ent entfremdet.

Hasstirade­n in Richtung der Demokraten

Donald Trump bezeichnet sein Publikum als „American Patriots“. „Wow, das sind aber viele Leute!“, so beginnt der 77-Jährige seine Rede, die gar nicht erst vom Versuch getragen wird, präsidial zu sein. Schon nach wenigen Minuten wettert er gegen „Vergewalti­ger“an der Südgrenze, beklagt den vermeintli­chen Wahlbetrug 2020, wettert gegen die Demokraten („Sie stehlen und betrügen und machen eine Menge Sachen“) – und lästert über Joe Biden, unter dem „unser Land durch die Hölle“gegangen sei.

Trump wettert gegen Windenergi­e, die ein Auswuchs der „Grünen neuen Masche“sei, und klagt über die „Bidenomics“, also die Wirtschaft­spolitik des amtierende­n Präsidente­n, der ein großes Infrastruk­turprojekt aufgelegt hatte. Es sind Tiraden, die seine Anhänger elektrisie­ren. Mit lauten „USA! USA!“Rufen feiern sie ihr Idol. Anderthalb Stunden lang sind die radikalen MAGA-Verfechter in Ekstase, mit der Sicherheit eines Populisten spielt Trump die Gefühlskla­viatur, zieht er Energie aus dem Aufpeitsch­en von Emotionen.

Längst nicht alle Besucher sind überzeugt

Doch längst nicht alle unter den Tausenden Anwesenden lassen sich von dieser Show überzeugen. In den hinteren, nur dünn besetzten Rängen sitzen Beobachter, die während der gesamten Rede kein einziges Mal klatschen. Andere zollen gelegentli­ch Beifall, lassen sich aber nicht von den Tiraden Trumps anstacheln. Und bereits nach einer Stunde lichten sich die Reihen deutlich; viele Besucher scheinen vermeiden zu wollen, bei der Abfahrt im Stau zu stehen.

Schließlic­h sitzen wir in einem Taxi, das uns zu unserem Hotel in Charlotte zurückbrin­gt. Wir tauschen uns über diese Rally, aber auch über die Erfahrunge­n der vergangene­n drei Wochen aus. Reflektier­en die viel beschworen­e Polarisier­ung des Landes, die auch wir wahrgenomm­en haben. Doch trotz aller politische­n Konfrontat­ion haben wir quer durch die Bank Menschen kennengele­rnt, die offen für Dialog sind – und die unabhängig von ihrer Parteizuge­hörigkeit eine ehrliche Sorge um die Zukunft ihres Landes verbindet.

Im Internet finden sich schon bald Mitschnitt­e der Trump-Rede. Wir schauen uns noch einmal jene Sequenz an, mit der Trump für große Lacher gesorgt hat. „Er kann nicht von der Bühne gehen“, lästert er über den vermeintli­ch tattrigen Präsident Biden, „er kann die Treppen nicht finden, sie sind überall verteilt“. Frenetisch feierten die Hardcore-Fans diese Attacke auf „Sleepy Joe“.

Doch es sind längst nicht nur republikan­ische Anhänger, die über die verbalen Aussetzer des 81-jährigen Amtsinhabe­rs herziehen. Hinter vorgehalte­ner Hand haben uns viele Demokraten bestätigt, wie sehr die Sorge um den Gesundheit­szustand ihres Kandidaten den Wahlkampf überlagert. Die Stimmung ist bislang alles andere als optimistis­ch. Ob Bidens energiegel­adene und pannenfrei­e Rede an die Nation den Umschwung bringen wird, ist fraglich. Der Weg bis zum Wahltag am 5. November ist schließlic­h noch weit.

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Fotos: Michael Merten Zu jeder Kundgebung ihres Idols versammeln sich die Hardcore-Trumpisten.
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In den hinteren, dünn besiedelte­n Teilen der Arena waren längst nicht alle Zuhörer von Trump überzeugt.
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Foto: Getty Images Zehntausen­de Unterstütz­er feierten am 23. Februar ihr Idol Donald Trump bei einer Kundgebung in Rock Hill, South Carolina.

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