94.000 Menschen in Luxemburg leben mit einer Behinderung
Die Ergebnisse der Volkszählung 2021 sollen nun als Grundlage für politische Bemühungen im Kontext der Inklusion dienen
Rund 15 Prozent der luxemburgischen Bevölkerung leben mit einer Behinderung. Dies geht aus der Volkszählung 2021 hervor, die erstmals auch das Thema Behinderung behandelte. 94.000 Menschen sind betroffen: 15,2 Prozent sind Frauen und 14 Prozent Männer. 6,9 Prozent der Bevölkerung bewerten ihre Behinderung als schwer oder mittelschwer. Nie zuvor wurden in Luxemburg in diesem Umfang Daten über Menschen mit Behinderung erhoben.
„Rein statistisch betrachtet, ist das Handicap glücklicherweise ein begrenztes Phänomen. Deshalb war die Volkszählung eine exzellente Gelegenheit, um die Situation flächendeckend zu erfassen und die ganze Bevölkerung zu befragen“, erklärte Statec-Direktor Serge Allegrezza am Freitagvormittag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Familienministerium. „Zahlen sind wichtig, um zu wissen, wo die Politik ansetzen muss, um eine inklusive Gesellschaft ohne Barrieren zu schaffen“, sagte Familienminister Max Hahn (DP)
Sichtbare und unsichtbare Behinderungen
Die meisten Betroffenen leiden an einer Sehbehinderung (8,7 Prozent), wobei 6,3 Prozent von ihnen angeben, nur leicht beeinträchtigt zu sein. An zweiter Stelle folgt die eingeschränkte Mobilität mit 3,9 Prozent, die von 2,6 Prozent als schwerwiegend bezeichnet wird. Probleme mit dem Gehör haben 2,5 Prozent. Mentale und psychische Behinderungen, Lernschwächen und Autismus werden ebenfalls bei der Frage nach der Art des Handicaps berücksichtigt. Die Prävalenz einer Behinderung steigt mit zunehmendem Alter. Ab 70 Jahren ist jeder Vierte und ab 80 Jahren mindestens jeder Zweite aufgrund gesundheitlicher Probleme betroffen.
„Behinderung ist ein relativ komplexes Thema, es gibt nicht immer nur Schwarz oder Weiß. Deshalb haben wir uns für einen pragmatischen Ansatz entschieden und die Befragten gebeten, ihre eigene Situation einzuschätzen“, präzisierte Jean Ries aus der Statistikabteilung des Familienministeriums. „Die Ergebnisse zeigen uns, dass Behinderung viel vielseitiger ist, als manche vielleicht denken. Es ist nicht a priori der Mensch im Rollstuhl oder die ältere Person mit dem Gehstock. Wir müssen auch die nicht sichtbaren Behinderungen berücksichtigen“, ergänzte Hahn.
Niedrigeres Bildungsniveau und weniger auf dem ersten Arbeitsmarkt
Auffallend ist, dass Menschen mit einer Behinderung häufig ein niedrigeres Bildungsniveau haben: 42,8 Prozent haben nur die untere Sekundarstufe abgeschlossen (im Vergleich zu 23,2 Prozent der Menschen ohne Behinderung), 38,7 Prozent die Oberstufe, 18,5 Prozent haben einen Hochschulabschluss (im Vergleich zu 38,3 Prozent der Menschen ohne Behinderung). „Dieser große Unterschied könnte auf die Behinderung zurückzuführen sein. Das zeigt, dass in der Schule, wo schon viel getan wird, noch einiges verbessert werden kann“, meinte Ries.
Nur 57,1 Prozent der Menschen mit Behinderung im erwerbsfähigen Alter gehen einer Beschäftigung nach, allerdings häufig nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt. Viele von ihnen sind in geschützten Werkstätten (Ateliers protégés) beschäftigt.
Wo die Politik zuerst ansetzen will
Die Ergebnisse der Befragung sollen nun weiter analysiert werden. Erste Lehren wurden bereits gezogen: Die Zahl der Menschen mit Autismus (1,7 Prozent) und die vermutlich hohe Dunkelziffer machten deutlich, dass der Diagnoseprozess beschleunigt und Projekte wie die „heures silencieuses“in Geschäften ausgebaut werden müssten, sagte Hahn.
Die geschützten Werkstätten sollen ebenfalls ausgebaut und mehr teilautonome und autonome Wohnstrukturen geschaffen werden. In Zusammenarbeit mit dem Arbeitsministerium und der ADEM soll die Orientierung auf den ersten Arbeitsmarkt verbessert werden. Als wichtiges Element nannte der Familienminister den/die „Assistant/e à l’inclusion“. „Dieses Instrument funktioniert noch nicht so gut, wie wir uns das vorstellen“, räumte er ein. Auch die Kommunikation müsse barrierefrei gestaltet werden. Man sei dabei, ein Zentrum für barrierefreie Kommunikation aufzubauen. Last but not least soll eine zentrale Anlaufstelle für Menschen mit Behinderungen eingerichtet werden.
„Der positive Effekt dieser Erhebung ist für mich, dass Behinderungen sichtbar gemacht werden und damit die von uns eingeleiteten Maßnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit und Inklusion eine noch breitere Akzeptanz finden“, so noch der Familienminister.
Die Ergebnisse zeigen uns, dass Behinderung viel vielseitiger ist, als manche vielleicht denken. Max Hahn, Familienminister