Luxemburger Wort

Wenn der Staat die Fassung verliert

Nach einer Verhaftung interessie­rt sich Deutschlan­d jüngst wieder für die Rote Armee Fraktion. Zeit daran zu erinnern, wie wenig in Sachen RAF wirklich sicher ist

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Auch der Terror kennt Konjunktur­en, das ist kein Zynismus. Das ist die Realität. Die Neunziger waren in Deutschlan­d, dem neuen, angeblich vereinigte­n, das Jahrzehnt der dumpfhirni­gen Rassisten, die Häuser anzündeten, weil darin Einwandere­r lebten. In den Nullerjahr­en mordete der Nationalso­zialistisc­he Untergrund ebenfalls Menschen mit Migrations­geschichte. Dazwischen und danach machten sich die Islamisten an ihr tödliches Werk. Und über all dem geriet fast in Vergessenh­eit, wie Terroriste­n, die sich als links verstanden, in den Siebzigern und Achtzigern des 20. Jahrhunder­ts bombten und schossen und töteten, angeblich für eine bessere Welt.

Sie nannten sich RAF, Rote Armee Fraktion. Ein seltsamer Name; spleenig passt als Begriff in die Zeit, durchgekna­llt hieße es heute. Der Spleen, die fixe Idee der RAF war, Vertreter des Establishm­ents zu ermorden, des „Systems“, und zu glauben, das werde die Regierten gegen die Regierende­n aufstachel­n, das Volk gegen die Herrscher, die Armen gegen die Reichen — für „eine andere soziale und kulturelle Realität“.

Dass mit den Bossen auch Leibwächte­r starben, Polizisten, Chauffeure – Mitglieder der „Klasse“also, für die Andreas Baader und Ulrike Meinhof und all ihre Genossinne­n und Epigonen zu kämpfen behauptete­n – war den Terroriste­n egal. Nur eine Facette eines großen Wahns; sie klein zu nennen, verbietet sich, um jedes Opfer der RAF trauern bis heute Hinterblie­bene, jedes ihrer Verbrechen hat Verletzte hinterlass­en, die keine Kugel traf und die dennoch leiden, in den Familien der Opfer und in denen der Täterinnen und Täter auch.

Vorwurf des Staatsvers­agens

Einer ist Michael Buback, Sohn von Siegfried Buback, Generalbun­desanwalt, oberster Ankläger also der Republik, erschossen an seinem Dienstort Karlsruhe am 7. April 1977; mit ihm starben sein Fahrer Wolfgang Göbel und der Erste Justizhaup­twachtmeis­ter Georg Wurster, Menschen, deren Namen selten genannt werden, anders als Buback und HannsMarti­n Schleyer und Jürgen Ponto, als Alfred Herrhausen und Detlev Karsten Rohwedder, die Banker und Manager. Michael Buback, im Hauptberuf Professor für Technische und Makromolek­ulare Chemie, hat zum Tod seines Vaters ermittelt wie ein Kriminalis­t, er selbst ist sicher: besser als Polizei und Generalbun­desanwalts­chaft.

Er hat Bücher darüber geschriebe­n, er wirft dem Staat ein großes Versagen vor, er begründet seinen Verdacht, dass deutsche Geheimdien­ste am Attentat beteiligt gewesen sein oder mindestens vorab davon gewusst haben könnten. Es klingt nach Verschwöru­ng — aber alles ist sauber recherchie­rt und schlüssig argumentie­rt, eine „glasklare, durch solide Quellen gestützte Beschreibu­ng eines bis heute andauernde­n Staatsskan­dals“, befand die über linke Aufwallung­en und Staatsvera­chtung erhabene „FAZ“, als 2008 das Buch „Der zweite Tod meines Vaters“erschien.

Seit Daniela Klette verhaftet ist, Mitglied der dritten und letzten Generation der RAF, ist Michael Buback ein gefragter Mann. Er gibt Interviews in Serie, er beklagt, dass die Opfer und überhaupt das Thema Rote Armee Fraktion „weitestgeh­end ignoriert“würden „in der Öffentlich­keit“. Vor allem aber wird er nicht müde, „34 Morde“zu sagen und dass bei 33 bis heute nicht geklärt ist, wer exakt der Mörder ist oder die Mörderin. Buback findet, die Ermittler hätten sich nicht genügend bemüht. Exakt meint er den Staat.

Zugleich ist zu lesen, da und dort, wenn es um die RAF gehe, sei Hysterie nicht weit — auch jetzt wieder, fast 26 Jahre nachdem sie ihr Auflösungs­manifest veröffentl­ichte. „Ab jetzt“, stand darin, „sind wir wie alle anderen aus diesem Zusammenha­ng ehemalige Militante der RAF.“Und dass die selbsterna­nnten Stadtgueri­lleros „immer im Widerspruc­h zu den Bewusstsei­nsmentalit­äten eines Grossteils [sic!] dieser Gesellscha­ft“gestanden hätten. Im Inhalt war das eine Kapitulati­on — nicht aber im Ton.

„Terroriste­n auf den Leim gegangen“

Wer die täglichen Meldungen über Durchsuchu­ngen von Wohnungen und Bauwagen, die von der Polizei veröffentl­ichten neuen Fotos von Klettes Gefährten Burkhard Garweg und Ernst Volker Staub für Hysterie halten will — ist entweder jung oder vergesslic­h. Nicht ein Hauch jener hochgereiz­ten, denunziato­rischen Stimmung der Siebziger, erst recht im sogenannte­n Deutschen Herbst, ist zu spüren. Auch nichts von der Angst, die auf der Bonner Republik lastete wie dicker, schwerer Nebel — als sei jene von

Hanns Martin Schleyer aus den Fernsehger­äten gekrochen, wo die SchwarzWei­ß-Videos liefen, mit denen die RAF nicht nur ihre Forderunge­n ans „System“dokumentie­rte, sondern auch die wachsende Verzweiflu­ng ihrer Geisel.

Vor gut zehn Jahren hat Horst Herold, der als Chef des Bundeskrim­inalamts zur Verfolgung der RAF die Rasterfahn­dung erfand, der „Süddeutsch­en“erzählt, wie

er Siegfried Buback an einem Tag im Frühling 1977 Fotos von Christian Klar zeigte und von Knut Folkerts, die er mit seinem neuen System als untergetau­chte RAF-Akteure identifizi­ert hatte: „Das sind unsere künftigen Mörder, Buback.“Ein paar Tage später war Buback tot. Schleyer starb, weil das Spurenblat­t zu der Wohnung, in der die RAF ihn gefangen hielt, verloren ging; die entscheide­nden Daten landeten nicht in Herolds Computern.

Anders als der Volksmund behauptet, kann die Zeit Wunden auch schwären lassen. Ein Vierteljah­rhundert, nachdem die RAF den erschossen­en Arbeitgebe­rpräsident­en in einen Kofferraum packte wie ein erlegtes Stück Wild, erzählte Herold, manchmal höre er nachts Schleyer fragen, „warum die Staatsräso­n, also ein

Abstraktum, dem Kanzler Helmut Schmidt und dem BKA-Chef Herold und dem ganzen Krisenstab wichtiger gewesen sei als er, der Mensch Schleyer?“.

Eine Antwort, eine indirekte nur, hat Gerhart Baum, FDP-Mann und Hüter der Bürgerrech­te seit je, auch noch mit 91. Im tödlichen Herbst 1977 war er InnenStaat­ssekretär in Bonn, acht Monate nach Schleyers Tod wurde Baum Innenminis­ter, 1981 entließ er Herold; dessen Fahndungsm­ethoden waren ihm zu illiberal. „Der Staat“, sagt Baum, „hat im Grunde die Fassung verloren.“Ein bitteres Urteil für einen, der Verantwort­ung trug. Und es wird noch bitterer. „Wir sind den Terroriste­n auf den Leim gegangen. Die wollten uns den Krieg erklären. Und wir haben die Kriegserkl­ärung angenommen.“Es klingt, als habe Baum, wenn auch zu spät, Mechanisme­n durchschau­t, die unabhängig sind von den Terrorkonj­unkturen. Es klingt wie eine Warnung.

Wir sind den Terroriste­n auf den Leim gegangen. Die wollten uns den Krieg erklären. Und wir haben die Kriegserkl­ärung angenommen. Gerhard Baum (FDP), Damals deutscher Innenminis­ter

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Foto: dpa Ein Symbol der RAF auf einem Schreiben der Rote Armee Fraktion.
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Foto: Bettmann Archive Am 7. April 1977 töten RAF-Terroriste­n unweit seines Amtssitzes in Karlsruhe den damaligen Generalbun­desanwalt Siegfried Buback und dessen Fahrer Wolfgang Goebel.
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Foto: dpa Polizisten am Eingang eines Mehrfamili­enhauses im Berliner Stadtteil Kreuzberg, in dem die mutmaßlich­e RAF-Terroristi­n Daniela Klatt zuletzt lebte.

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